"Ich füge die kleine Geschichte über seinen Tod nur ein, um zu erklären, warum meine Schwestern und ich so eine große Menge Zement zur Verfügung hatten." Die registrierende Distanz, mit der der 13jährige Jack einleitend den Tod des Vaters kommentiert, bestimmt den Ton in lan McEwans Roman "Der Zementgarten". Ähnlich wie "Der Trost von Fremden" (1990 verfilmt von Paul Schrader, fd 28 602) kreist die rabenschwarze Geschichte um die Suche nach sexueller Identität und um die Faszination des Todes. Während Jack onaniert, erliegt der Vater einem Herzschlag -bei dem Versuch, den pedantisch kultivierten Garten mit einer Betondecke ein- für allemal vor der Anarchie der Natur zu bewahren.Jacks Familie lebt in einem einsamen Haus, dem Überbleibsel einer Siedlung, in der Planierraupen ganze Arbeit geleistet haben. Jenseits dieser "Mondlandschaft" drohen gigantische Wohnsilos. Der Abgeschiedenheit ist es zu verdanken, daß der Tod von Jacks Mutter nach wochenlanger Krankheit unbemerkt bleibt. Der Gedanke ans Waisenhaus läßt Jack und seine ältere Schwester Julie instinktiv handeln. Man "beerdigt" die Mutter im Keller in einer Zinkwanne voller Beton. Die jüngere Schwester Sue wird eingeweiht, nur den kleinen Tom läßt man im Ungewissen. Nun völlig auf sich allein gestellt, verstricken sich die Geschwister in mehr oder weniger versteckte Spiele um Macht und Erotik. Julie und Sue ermuntern Tom, sich immer öfter in Mädchenkleidern zu zeigen; Jack, der inzwischen jegliche Körperpflege vermeidet, lehnt Julies Führungsansprüche ab; Julie wiederum ist sich ihrer erotischen Wirkung auf den Bruder bewußt und kontrolliert das Spiel um Nähe und Distanz. Die merkwürdige Balance zwischen Zärtlichkeit und psychischer Gewalt gerät ins Wanken, als sich Julie häufiger mit einem jungen Mann trifft. Derek wird nicht nur zu Jacks Konkurrenten um die Zuneigung der Schwester; er droht auch die "Leiche im Keller" aufzuspüren, deren Geruch mittlerweile in die verwahrloste Wohnung dringt. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Der Außenseiter bedroht die Existenzgrundlage der Geschwister und muß abgewiesen werden. Julie verführt Jack - eine Liebe ohne Zukunft. Über der zärtlichen Umarmung flackert ein Blaulicht.Andrew Birkin liefert das, was man eine besonders werkgetreue Romanverfilmung nennen muß. Differenzen zur Vorlage beschränken sich auf Nebenschauplätze und die Gewichtung einzelner Episoden. Ganze Szenen jedoch sind "wortgetreu" übernommen, so die Geburtstagsfeier am Bett der sterbenden Mutter, die Julie zu einem provozierenden Handstand und Jack zu einem faszinierten Blick zwischen die Beine der Schwester nutzt. Solche Werktreue liegt nahe, benutzt McEwan doch einen ausgesprochen "filmischen" Erzählstil voller sinnfälliger Bilder. Und doch geht ein wichtiges Element verloren: die Perspektive des Ich-Erzählers Jack. Bei McEwan ist diese Perspektive selbst bereits Teil der Erzählung, ist jede Szene deutlich das Produkt einer persönlichen, voreingenommenen Wahrnehmung. Birkin ersetzt Jacks Augen durch die "objektive" Kamera und beraubt auf diese Weise manche Szene ihres Hintergrundes. So stellen sich vor allem im ersten Teil des Films manche Bezüge für den Betrachter nur schleppend her.Moralische Wertungen liegen Birkin ebensofern wie McEwan. "Der Zementgarten" schildert die inzestuöse Beziehung (auch dank der ausgezeichneten Darsteller) unspektakulär und einfühlsam. Sie ist ebenso Resultat der Einsamkeit und Isolation wie zärtliches Aufbäumen gegen diese Isolation. Gerade in dieser Doppeldeutigkeit liegt die düstere Faszination der Geschichte: Durch dieselben Risse im Beton, die von der Widerstandskraft des Lebendigen zeugen, bahnt sich der Tod als Bedrohung der Geschwister seinen Weg. Einfühlungsvermögen beweist Birkin auch in der behutsamen, aber unmißverständlichen Schilderung der Pubertätsnöte seines Protagonisten. Begehren und Onanie; die rettenden Ausflüge in die Fantasiewelten eines Science-Fiction-Buches; und immer wieder die scheinbar unvermeidlichen Schuldgefühle: "Ich habe meinen Vater nicht getötet, aber manchmal hatte ich das Gefühl, ihm dabei geholfen zu haben." (Vgl. auch Artikel Seite 18.)