Nachdem „Der Herr der Ringe – Die Gefährten“
(fd 35 197) neue Maßstäbe fürs Fantasy-Genre gesetzt hatte, durfte man darauf gespannt sein, ob Peter Jackson mit dem zweiten Teil der Trilogie das Niveau würde halten können, aber auch etwas besorgt darüber, wie er diesen heikelsten Abschnitt der Romanvorlage meistern würde; denn das Mittelstück eines Epos – ohne Exposition und Finale – bietet keine günstigen Voraussetzungen für die Dramaturgie. Eine weitere Herausforderung stellten Gollum und Baumbart dar, zwei zentrale Figuren, die im Computer entstanden und damit zur Nagelprobe dafür wurden, was digitale Tricktechnik wirklich vermag. Um es vorwegzunehmen: „Der Herr der Ringe – Die zwei Türme“ fügt sich nahtlos und mit denselben Stärken an den ersten Teil an und löst die Aufgaben mit Bravour. Seine Schwächen sind hauptsächlich auf Schwächen des Genres und der Vorlage zurückzuführen.
Die Gefährten wurden am Ende des ersten Teils getrennt, und folgerichtig geht das Epos nun an verschiedenen Schauplätzen weiter: Frodo und Sam suchen ihren Weg nach Mordor und fangen Gollum, der zu ihrem zweifelhaften Gefährten und Führer wird; Pippin und Merry werden von Uruk-hais verschleppt und geraten nach ihrer glückhaften Flucht in die zunächst bedrohlichen, dann hilfreichen Fänge Baumbarts, eines uralten Baumwesens im Zauberwald Fangorn; Aragorn, Legolas und Gimli verfolgen die Uruk-hais, bis sie einem gleißend strahlenden Zauberer begegnen, der ihnen offenbart, dass ihre Kampfkraft an anderer Stelle dringender gebraucht wird. Ganz zu Beginn steht aber die Wiederholung von Gandalfs tödlichem Sturz in den Abgrund, wobei er diesmal, unablässig mit Balrog kämpfend, durch einen endlosen Schlund verfolgt wird, sodass bereits jetzt deutlich wird, dass das Ende Gandalfs nur ein vermeintliches war. Er ist es, der den Gefährten als weißer Zauberer erscheint, mächtiger denn je. Aragorn, Legolas und Gimli schließlich reiten mit Gandalf nach Rohan, um dort König Theoden zu unterstützen. Sie treffen zu ihrem Entsetzen auf einen steingrauen Greis, der als nahezu unbewegliche Marionette des sinistren Grima Schlangenzunge dahinsiecht. Theoden ist, wie sich herausstellt, von Sarumans Geist besessen. Eine scheinbar hoffnungslose Lage, brennt es doch an allen Ecken Mittelerdes; und es bleibt kaum Zeit, denn unaufhaltsam rücken die Horden Sarumans vor – eine gigantische Übermacht, vor der es kein Entrinnen gibt.
Das Übermaß an kriegerischen Auseinandersetzungen und die dramaturgische Unausgewogenheit des zweiten Bandes hat Jackson geschickt zu bändigen verstanden. Behutsam und zielstrebig bearbeitet er die Vorlage so, dass wieder eine klassische Dramenstruktur entsteht – mit der gewaltigen Schlacht um Helms Klamm als Höhepunkt und vorläufigem Showdown mit einem provisorischen Happy End. Gleichzeitig verstärkt Jackson deutlich die ruhigen Momente der Geschichte, die er in erster Linie der mühseligen Wanderung Frodos und Sams nach Mordor abgewinnt. In ihrer Auseinandersetzung mit Gollum und dem Ring geht es um Besessenheit, Verzicht, Treue, Verrat und Freundschaft – ein Seelendrama, soweit das ein Fantasy-Film überhaupt zulässt. Noch erstaunlicher als die dramaturgische Umsetzung ist die Integration modernster Tricktechnik. Während digitale Effekte und Figuren sonst oft schwerelos und flüchtig wirken, erhält die Szenerie bei Jackson etwas Erdiges, Schweres und ungeheuer Wuchtiges. Die eigentliche Meisterleistung in tricktechnischer Hinsicht ist dabei Gollum, der gegenüber der Vorlage sogar an Tiefe und Vielschichtigkeit gewinnt. Vielleicht das erste Mal überhaupt, wird eine vollständig am Computer geschaffene Figur mit Leben erfüllt und zu einem Charakter, der sich nahtlos ins Ensemble der „Real-Schauspieler“ einfügt. Gollum ist der dunkle Spiegel von Frodos Seele und wird zum tragischen Bösewicht. Ein Dialog, in dessen Verlauf Gollum und sein zweites Ich Smeagol um die Vorherrschaft in diesem geschundenen Körper kämpfen, wird zur eindrücklichen Demonstration „digitaler Schauspielkunst“.
Natürlich kann man „Herr der Ringe – Die zwei Türme“ auch Schwächen anlasten, aber das sind weitgehend die Schwächen des Genres und der Vorlage. Fantasy-Filme sind nie und nimmer psychologische Kammerspiele, und die Kitschfalle lauert überall, wobei Jackson nur ganz selten hineintappt. Am ehesten dann, wenn er zu kaschieren versucht, dass Tolkien der Schöpfer einer Männerwelt war, in der Frauen allenfalls Statistenrollen spielen. Die Liebesszenen zwischen Aragorn und Arwen gehören deshalb, wie schon im ersten Teil, zu den schwachen, aufgesetzt wirkenden Momenten. Gelungener ist dagegen die Charakterisierung Eowyns als „Frau der Tat“, was sie bezeichnenderweise erst recht zum Teil dieser Männerwelt macht. Mit Sicherheit werden besorgte Mahner auch faschistoide Tendenzen diagnostizieren. Dieser Vorwurf lässt freilich außer Acht, dass Gut-Bös-Schemen, wie sie Tolkien und Jackson verwenden, uralte erzählerische Mittel sind; auch dass dem Guten im Kampf gegen das übermächtige und pure Böse nahezu alle Mittel der Gewalttätigkeit zugestanden werden, kennt man spätestens seit dem Alten Testament. Gut-Böse-Schema und Überwältigungsästhetik sind keine Erfindung des Faschismus, sondern eskapistische Urträume und erst dann gefährlich, wenn unser Weltbild nur noch aus Mittelerde besteht.
Zum Schluss drei Warnungen, die erste an jene, die den ersten Teil verpasst und das Buch nicht gelesen haben: Sie werden sich hier hoffnungslos verirren, da Jackson konsequent auf replizierende Hinweise verzichtet. Es handelt sich also nicht um Fortsetzungsfilme, sondern um einen Film in drei Teilen. Die zweite Warnung sollten jene beherzigen, die Fantasy für ein doofes oder zumindest uninteressantes Genre halten. Sie werden in ihrem Urteil bestätigt werden, weil es sich hier um den Fantasy-Film schlechthin handelt – so viel zumindest ist schon nach dem zweiten Teil klar. Und die dritte Warnung betrifft Eltern: „Herr der Ringe – Die zwei Türme“ ist noch viel weniger ein Kinderfilm als der erste Teil. Diese Filme sind für Erwachsene gedacht und von einem Regisseur gemacht, der viel mehr kann, als putzige Genrebildchen aneinanderzureihen. Was Fantasy betrifft, ist Peter Jackson unbestritten der Herr der Bilder.