In die Einsamkeit eines 16-Jährigen, der in seiner Kindheit durch eine Bluttransfusion mit AIDS infiziert wurde, dringt ein etwa gleichaltriges Mädchen. Die erste große Liebe ist ebenso von der verspielten Entdeckung aufkeimender Sexualität bestimmt wie von seiner tief sitzenden Angst, dass seine Krankheit diese Liebe bedroht. Ein ebenso berührendes wie unterhaltsames Jugenddrama, das flott und unverkrampft, aber nie oberflächlich die Suche zweier Jugendlicher nach Identität und Lebenssinn beschreibt. Subtil und voller Poesie verbinden sich Traum und Wirklichkeit zu einer glaubwürdigen Utopie, die von überzeugenden Hauptdarstellern getragen wird.
- Sehenswert ab 14.
Fickende Fische
Drama | Deutschland 2001 | 103 Minuten
Regie: Almut Getto
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- ICON/WDR/BR
- Regie
- Almut Getto
- Buch
- Almut Getto
- Kamera
- Andreas Höfer
- Musik
- Tom Deiniger · Sten Servaes
- Schnitt
- Ingo Ehrlich
- Darsteller
- Sophie Rogall (Nina) · Tino Mewes (Jan) · Annette Uhlen (Lena Borcherts) · Hans-Martin Stier (Hanno Borcherts) · Ferdinand Dux (Opa Borcherts)
- Länge
- 103 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Für Jan ist die Sache klar: Das Paradies ist dunkel, ruhig, nass und voller Fische, und durch das Wasser scheint die Sonne hindurch. Dagegen ist das Leben auf der Erde ein wahres Jammertal: ein Ort voller Kompromisse und Regeln, an dem man noch gar nicht herausgefunden hat, wie man lebt. Dass der stille, introvertierte und verträumte 16-Jährige mit großer Leidenschaft fürs Wasser und für Fische so denkt, hat einen Grund – Jan hütet ein Geheimnis, das er am liebsten nur mit seinen Eltern und den ihn behandelnden Ärzten teilen würde: In seiner Kindheit wurde er durch eine Bluttransfusion nach einem Autounfall mit dem HIV-Virus infiziert, sein Körper ist ein Pulverfass, das ihn jederzeit töten kann. Normalität ist etwas, das es für ihn nicht gibt – obwohl er sich nach nichts anderem als einem normalen Leben sehnt. In seiner Isoliertheit provoziert Jan extreme Situationen mit Langzeittauchen, Jonglieren auf einem Brückengeländer, dem Überqueren einer befahrenen Straße mit geschlossenen Augen – doch es passiert ihm nichts, außer dass er eines Morgens in ein etwa gleichaltriges Mädchen auf Inline-Skates knallt. Und so dringt die ahnungslose, quirlige, ungemein lebendige Nina in sein Leben und stößt für ihn – in jeder Hinsicht – bislang ungeahnte Fenster ins Leben auf. Ihre erste große Liebe ist eine wahre Explosion der Gefühle, ebenso bestimmt von der verspielten Entdeckung aufkeimender Sexualität wie von Jans tief sitzender Angst, dass seine Krankheit diese Liebe bedroht. Erst spät, fast zu spät offenbart er sich Nina, die zutiefst erschrickt und sich zunächst zurückzieht. Doch schon längst ist ein Gefühl in ihr Leben eingezogen, das tiefer sitzt als jede Angst, und als Jan ihr sagt, dass es verdammt beschissen sei, auf den Tod zu warten, antwortet sie ihm, dass es ebenso beschissen sei, auf das Leben zu warten.
„Fickende Fische“ ist ein Glücksfall fürs deutsche Kino: Die existenziell so entscheidende Frage, was es bedeutet, sich auf der Suche nach Identität und Lebenssinn von normierten gesellschaftlichen Vorgaben zu befreien, wird hier einmal nicht zur übertrieben bedeutungsschweren, kopflastigen Seelenqual, und auch das kokett-verklemmte Lustspielgekicher ums „erste Mal“, das das gedankenarme aktuelle Mainstream-Jugendkino prägt, dringt nicht annähernd in die Lebeswelt von Jan und Nina. Dabei provoziert an „Fickende Fische“ allenfalls der Filmtitel, verbirgt sich dahinter doch ein ebenso berührendes wie ausgesprochen unterhaltsames Jugenddrama, das sich zwar durchaus der flotten narrativen Mittel des aktuellen Trendkinos bedient, um dann aber umso subtiler und voller Poesie unter die (Wasser-)Oberfläche einer vermeintlich „flippigen“ Jugendkultur zu blicken. Das Thema AIDS ist der prägende Hintergrund für die existenzielle Ernsthaftigkeit der Fabel, doch in dem Maße, wie Jan das Aussprechen seiner Krankheit lange Zeit vermeidet, paraphrasiert auch Almut Getto eher zurückhaltend, wenngleich nie unscharf den Umgang damit – womit sie auf sehr natürliche Weise deutlich macht, dass es auch bei einem weniger katastrophalen Lebensextrem Sinn macht, an die eigenen Träume, Wünsche wie Ängste, Lebensperspektiven und -vorstellungen zu glauben. Präzise fließen die beiden verschiedenen sozialen Milieus der Jugendlichen mit ein: hier das relativ wohlhabende Elternhaus, in dem Jan von seinen besorgten Eltern so sehr behütet und umsorgt wird, bis er sich regelrecht eingeengt fühlt, dort das eher „ungeordnete“ Leben Ninas mit einer zerbrochenen Elternbeziehung, das ihr zwar immer noch Geborgenheit und Zuneigung bietet, was Nina aber lange nicht sehen und anerkennen will. Solch genau konturiertes soziales Umfeld verbindet sich immer wieder erstaunlich souverän mit den vielen eingeflochtenen Traum-Sequenzen: Geprägt von sattem Ultramarinblau, treibt man zunächst mit Jan, später auch mit Nina durch die betörenden Unterwasserbilder ihrer Empfindungen und beobachtet fasziniert, wie diese in dem Maß auf die Realität „abfärben“, in dem Jan und Nina schrittweise ihren Liebes- und Lebenstraum verwirklichen. Dann werden die Zimmerwände und ihre Körper blau wie das Wasser, ihre Haare leuchten wie die Körper der Fische, und das Motiv des Aquariums – zu Beginn noch Metapher fürs hermetische Eingesperrtsein im bedrückenden Alltag – wandelt sich allmählich zum Sinnbild für eine ganz andere, große Welt voller Entdeckungen und Möglichkeiten.
Es ist verblüffend, wie kontrolliert und beherrscht Almut Getto dabei mit den Bild- und Tonebenen jongliert, um geschickt die Nähte zwischen Traum und Wirklichkeit, Schein und Sein zu verwischen, sodass man schon genau hinsehen und - hören muss, um ihr inszenatorisches Spiel mit den Übergängen und Durchlässigkeiten mitzubekommen. So funktioniert auch die finale Metapher von der endgültigen „Befreiung“ Jans und Ninas nur ganz vordergründig als Selbstmord, bei dem sie sich, im Auto sitzend, von einer Brücke stürzen. In Wahrheit ist es wohl „nur“ ihr symbolisch radikaler Ausstieg, der zugleich der mutige Aufbruch zu eigenen Ufern ist. Dass sich die Regisseurin ein solches Sinnbild zum Ende überhaupt leisten kann und die Zuschauer dies akzeptieren und verstehen, ist zweifellos den faszinierenden Darstellern Sophie Rogall und Tino Mewes zu verdanken, die mit ihrem unverkrampften, natürlichen Spiel die Balance zwischen bewusst gelebten Träumen und „handfester“ Bodenhaftung in der Wirklichkeit halten. Prosaisch und sympathisch hat Tino Mewes in einem Interview seine eigene Einschätzung des Films auf den Punkt gebracht, der man sich gerne anschließt: „Für mich ist dies ein Film, der die ganze Welt, wo natürlich auch Grausamkeit herrscht, auf einmal schön erscheinen lässt – mit Kleinigkeiten. Es wäre schön, wenn die Leute aus dem Film kommen und sagen: Das Leben ist lebenswert.“
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