Krimi | Frankreich 2002 | 111 Minuten

Regie: François Ozon

Acht Frauen werden mit dem Mord an einem Mann konfrontiert, zu dem sie alle in einem verwandtschaftlichen, amourösen und/oder arbeitstechnischen Abhängigkeitsverhältnis standen. Während sie unter sich die Täterin suchen, müssen sie ihre Fassade fallen lassen, sich Lügen eingestehen, Geheimnisse offenbaren und etwas von sich preisgeben, was bislang sorgfältig verborgen war. Mitreißende Melange aus trivialem Krimi, Drama, Musical, Satire und Porträtstudie, zugeschnitten auf acht faszinierende Darstellerinnen, die virtuos mit ihrer jeweiligen Ausstrahlung spielen. Ein betont antinaturalistisches, subtil und stilsicher inszeniertes Spiel voller kluger Anspielungen auf die Filmgeschichte. (Auch O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
8 FEMMES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Centre National de la Cinématographie (CNC)/Fidélité/France 2 Cinéma/Gimages 5/Le Studio Canal +/Mars Films
Regie
François Ozon
Buch
François Ozon · Marina de Van
Kamera
Jeanne Lapoirie
Musik
Krishna Levy
Schnitt
Laurence Bawedin
Darsteller
Catherine Deneuve (Gaby) · Isabelle Huppert (Augustine) · Emmanuelle Béart (Louise) · Fanny Ardant (Pierrette) · Virginie Ledoyen (Suzon)
Länge
111 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung | Musical
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Verleih DVD
Universum
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Diskussion
Als François Ozon hierzulande noch weniger bekannt war – und das ist erst knapp zwei Jahre her –, da beobachtete man skeptisch und leicht misstrauisch, was dieser junge Franzose wohl aus einem frühen, unbekannten Fassbinder-Bühnenstück machen würde. Umso größer war das Erstaunen, als Ozon in „Tropfen auf heiße Steine“ (fd 34 602) so lustvoll wie leidenschaftlich Kitsch und Künstlichkeit aufkochte, ohne die Substanz des Stücks, eine Etüde um Trauer, Vereinsamung und Identitätsverlust, in Frage zu stellen. Als dann die Protagonisten auch noch förmlich aus der Handlung heraustraten und zu 70er-Jahre-Schlagern tanzten und sangen, hatte Ozon die (meisten) Zuschauer auf seiner Seite, weil kaum noch jemand so spielerisch-elegant und witzig zugleich mit den „Ritualen“ der Trivialkultur zu jonglieren versteht. Man ist also vorbereitet, wenn sich auch in „8 Frauen“ eine Darstellerin nach der nächsten in Positur wirft und, ganz ihrem jeweiligen Charakter und Lebensgefühl entsprechend, ein Chanson zum Besten gibt: entweder aufmüpfig und lebensfroh, lasziv-erotisch, feminin-elegant, melancholisch, sehnsüchtig oder ernüchtert-resignativ. Dabei sind es nicht irgendwelche Interpretinnen, die Ozon vor der Kamera vereint: von Ludivine Sagnier bis Danielle Darrieux präsentiert er gleich mehrere Generationen des französischen Star-Kinos der Nachkriegszeit und verschafft all diesen großen Damen eine repräsentable, beziehungs- und anspielungsreiche Plattform. Welch ein Genuss, ihnen zuzusehen! Stets signalisiert Ozon, dass es nur ein Spiel ist, dass er mit subtiler Delikatesse und fintenreicher Stilsicherheit zum Zwecke der Unterhaltung und des puren Vergnügens arrangiert: antinaturalistisch, voller kluger Anspielungen auf die (französische wie amerikanische) Filmgeschichte, vor allem aber auf die zahlreichen Konnotationen, die die acht Darstellerinnen im Lauf ihrer mal längeren, mal kürzeren Karrieren als Ikonen des französischen Kinos kreiiert haben. Die Folie ist ein triviales Bühnenstück mit angestaubtem Agatha-Christie-Flair, das sich um den klassischen Krimiplot des „One Locked Room“ rankt: An einem Wintertag, während dem es draußen ununterbrochen schneit, treffen sich acht Frauen im mondänen Landhaus des Industriellen Marcel: seine Frau Gaby, die Töchter Suzon und Catherine, seine Schwiegermutter Mamy und die Schwägerin Augustine, seine Schwester Pierrette sowie die beiden Hausangestellten, die Köchin Chanel und Louise, die Kammerzofe. Louise ist es, von der (nach ersten Begrüßungen, koketten Anspielungen und verbalen Giftpfeilen, die bereits ahnen lassen, dass unter der Oberfläche so manche Spannung brodelt) ein Schreckensschrei aus der ersten Etage hinab in die große Wohnhalle dringt, in der nahezu alle Szenen spielen: Marcel liegt im Bett, in seinem Rücken steckt ein Messer! Der Täter kann nur einer von ihnen sein. Ein Kontakt zur Außenwelt erweist sich als unmöglich, und so suchen die Frauen unter sich den Mörder jenes Mannes, der ihrer aller Leben bestimmte und prägte, von dem sie emotional und/oder auch wirtschaftlich abhängig waren. Während die Töchter mit Fragen à la Holmes und Watson ermitteln, brechen abwechselnd Hysterie, (gespielte?) Trauer, Streitereien und Wutanfälle aus den Frauen hervor; jede muss ihre Fassade fallen lassen, Lügen eingestehen, Geheimnisse offenbaren und etwas von sich preisgeben, was bislang sorgfältig hinter Körperhaltung, Kleidung und Make-up verborgen lag. Unwillkürlich denkt man an Ozons vorherigen Film „Unter dem Sand“ (fd 35 132), in dem die grandiose Charlotte Rampling über die unerklärliche Abwesenheit ihres Mannes trauerte und Wege suchte, um zu verstehen und weiterleben zu können. In „8 Frauen“ ist es ganz ähnlich, zwar weit verspielter und spielerischer, wobei aber auch hier bei aller Turbulenz immer wieder Raum für „intime“, stille Szenen entsteht, in denen man kurzzeitig in die Seelen der Frauen blickt und ihre Enttäuschungen, Schmerzen und Verbitterungen begreift. Ozons virtuoses Spiel bewegt sich innerhalb eines überreichen Koordinatensystems zwischen den Polen Karikatur und Ernsthaftigkeit, was vor allem ohne ein großes Hollywood-Vorbild nicht denkbar wäre: wie in George Cukors „Die Frauen“ (fd 29 072), wo ebenfalls kein Mann auftritt und sich trotzdem alles um einen einzigen dreht, wird auch hier ein spitzzüngiges Spiel um Intrigen und Rivalitäten entfesselt, was Ozon freilich nicht in einem historisch exakten Ambiente ansiedelt, sondern zu einem delikaten Stilmix aus 30er- bis 50er-Jahre-Kleidern à la Dior und Einrichtungsobjekten einer mondänen „Landhausaristokratie“ veranlasst, der ganz der betont femininen Ausstrahlung seiner Protagonistinnen verpflichtet ist. Der Assoziation über weitere filmische Bezüge ist dabei Tor und Tür geöffnet; das Spektrum reicht von der schwebenden Kamerafahrt der Einleitung, wo Bild und Musik geschickt die Nähe zu Orson Welles‘ Schloss Xanadu in „Citizen Kane“ (fd 10 261) paraphrasieren, bis zum wehmütigen Charme einer Gesellschaftskomödie wie Stanley Donens „Vor Haufreunden wird gewarnt“ (fd 10 144), in der es auch um „Gefühlskriege“ geht. Ob das Ganze nun Krimi, Drama, Musical, Satire, Groteske oder Porträtstudie ist: im Zentrum stehen stets Ozons acht Frauen, die emphatisch, lustvoll, manchmal sogar obsessiv mit ihrer ureigenen Ausstrahlung spielen, ihrer Erotik und Sinnlichkeit, und damit das aufbieten, was sie groß und berühmt gemacht hat: französisches Star-Kino in der Tradition von Claude Chabrol, François Truffaut und Jacques Demy. Es ist faszinierend anzusehen, wie geschickt die Kamera spannungsreiche Bezüge herstellt: zwischen der großartig chargierenden Isabelle Huppert als grantige, verbitterte „Zicke“ voller übertriebener Gesten, der (fast) stets überlegenen Fanny Ardant in Rot und Schwarz, die Leinwand-„Göttinnen“ wie Ava Gardner und Rita Hayworth adaptiert, der „reifen“, zeitlos-eleganten Schönheit von Catherine Deneuve, aber auch zwischen dem jungen, quirlig-„aufblühenden“ Nachwuchs, den Virginie Ledoyen und Ludivine Sagnier repräsentieren. Manchmal vollzieht sich das Gespräch zwischen den Frauen nur als stakkatohafte Abfolge von nahen Einstellungen ihrer Gesichter, ohne dass dabei der Fluss des Dialogs stocken würde; im nächsten Moment kommt es zu spannungsreichen Zweier- oder Dreierkonstellationen, deren Intensität sich quasi auf einer Metaebene weit über der eigentlichen Handlung knisternd entlädt: Catherine Deneuve, die glaubt, in einem Spiegel in ihre eigene Jugend zu schauen, als sich Emmanuelle Béart die Frisur öffnet und unter ihrem blonden Haar lasziv zu ihrem Gegenüber aufblickt; und noch einmal Catherine Deneuve, die sich einen handfesten Ringkampf mit Fanny Ardant liefert, der in einen leidenschaftlichen Kuss der Beiden mündet und das „Gipfeltreffen“ der Stars zu einer anspielungsreichen „skandalösen“ Pointe führt. Danielle Darrieux, der großen alten Dame, bleibt es schließlich vorbehalten, das leicht ernüchternde Resumee aller Anstrengungen zu ziehen: „Wenn wir wissen, wie das Leben ist“, singt sie, „dann ist es auch schon zu spät.“ Es gibt kein Liebesglück, heißt es im Refrain ihres Chansons – immerhin aber gibt es die faszinierende Vielfalt, die lebenshungrige, ebenso witzige wie traurige Suche danach; ein (Lebens-)Weg, der vielleicht faszinierender ist als das Ziel, zumindest wenn acht tolle Schauspielerinnen dermaßen lustvoll darüber räsonnieren.
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