Eine junge Frau steht am Sunset Boulevard in Los Angeles und berichtet direkt in die Kamera von ihrer schönen und traurigen Liebesgeschichte mit einem Mann, den sie noch immer liebt, obwohl er sie betrogen und bestohlen hat. Ein quasi-dokumentarisches Spiel mit den Wirklichkeitsebenen, wobei es die großartige, äußerst lebensecht wirkende Leistung der Hauptdarstellerin dem Zuschauer ermöglicht, die Geschichte im Kopf (nach) zu erleben. Ein gelungenes Experiment jenseits üblicher Erzählstrukturen.
- Sehenswert.
24/7. Sunset Boulevard
- | Deutschland/USA 2001 | 90 Minuten
Regie: Eckhart Schmidt
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/USA
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Raphaela Film/Palm Production
- Regie
- Eckhart Schmidt
- Buch
- Eckhart Schmidt
- Kamera
- Steve Elkins
- Musik
- Studio F/S
- Schnitt
- Raoul Sternberg
- Darsteller
- Colette Divine (Laura)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Wenn sie von Momenten der Lust und von Tagen und Wochen der Liebe erzählt, scheint es, als habe sie einst den Himmel selbst betreten, und als vergegenwärtige sie diesen Zustand ohne Reibungsverluste. Und wenn sie von den Zeiten erzählt, die weniger schön waren, weint sie fast unmerklich, stets um Fassung bemüht. Laura spricht direkt in die Kamera, mehr passiert eigentlich nicht in Eckhart Schmidts Film. Aber in dem Maße, wie die Erzählerin die Geschehnisse vor ihrem inneren Auge neu erlebt, werden Einbildungskraft und Erinnerungsvermögen des Zuschauers genügend angeregt, um eine eigene Geschichte zu imaginieren. Der Film, auf Video gedreht, kommt wie das dokumentarische Porträt einer jungen Frau im Los Angeles von heute daher, die wie so viele ihres Alters und ihrer Herkunft von einer Karriere als Schauspielerin träumen. Ob diese Frau von tatsächlichen Ereignissen berichtet, oder ob sie einfach nur, wahrscheinlich in ihren eigenen Worten, eine erfundene Geschichte darbietet, was offenbar der Fall ist, ist ohne Belang. Entscheidend ist, dass die Geschichte großartig erzählt und gespielt wird. Laura selbst berichtet von ihren Übungen am Actor’s Studio, Lee Strasbergs legendärer Schauspielschule, die einst Stars wie Brando, Newman und De Niro hervorgebracht hat und deren Glanz inzwischen ein wenig verblasst ist. Eine von Strasbergs Methoden war die Vergegenwärtigung tatsächlicher Emotionen während des Spielens, aber Colette Divines Darstellung, die ihre Kraft zweifellos auch aus dem Charakter der Schauspielerin zieht, ist weitaus direkter und ungezwungener als viele der üblichen, in Szenen und Dialogen geführten Rollen. Sie erzeugt etwas sehr Seltenes, Neues: eine quasi-dokumentarische Intensität.
Laura ist Mitte 20, schwarz, mag knapp sitzende Kleidung, hat als Kellnerin und Stripperin gearbeitet. Das ist alles, was man von ihrer Person erfährt – abgesehen von sämtlichen Details aus ihrer Liebesbeziehung mit Raoul, den man nie zu Gesicht bekommt, weil er längst aus ihrem Leben verschwunden ist und außerdem zurzeit im Knast sitzt. Sehr genau und offen erzählt sie von ihrer ersten Begegnung, dem ersten Blickkontakt, der ersten Berührung und davon, was sich damals in ihrer Seele und an ihrem Körper abgespielt hat. Als sie ihn, während ihrer Arbeitszeit als Kellnerin, zu einem Treffen auf der Toilette auffordert, scheint er zunächst verschwunden, wie er es noch öfter tun wird, und zum ersten, aber keineswegs letzten Mal fühlt sich Laura dumm und albern. Dann aber findet sie ihn, sie küssen sich, gehen zum Wagen – und werden erwischt. Die Schilderungen von Laura sind derart lebendig, dass man manchmal ein leises Lachen aus dem Off hört, als könne der Kameramann nicht mehr an sich halten angesichts der Komik der Geschichte. Wo genau die Grenze zwischen Fiktion und sachlicher sowie emotionaler Wirklichkeit verläuft, lässt sich nicht nachvollziehen, und genau das macht den Reiz des Filmexperiments aus. Die Tragik in Lauras Geschichte ist, dass Raoul ein echter Schuft zu sein scheint, der sich skrupellos mit anderen Frauen und auch Männern einlässt, sie bestohlen und sitzen gelassen hat – woraufhin Laura sich vor allem selbst Vorwürfe macht: Vielleicht hat sie ja versagt. Bei all diesen Offenbarungen steht die junge Frau meistens direkt am Sunset Boulevard, jener legendären Straße, die sich vom Pazifik aus viele Kilometer lang durch Los Angeles bis nach Hollywood schlängelt. Der Autoverkehr rauscht vorbei, mancher Passant blickt kurz herüber. Aber die Orte sind nicht willkürlich gewählt, sondern zeigen die Schauplätze ihrer Liebesgeschichte, die alle auf oder in der Nähe des Boulevards liegen. So, wie dieser für den Traum von einem glanzvollen Leben steht, träumt Laura von einem Leben voller hingebungsvoller Liebe, und sie scheint bereit, diesen Traum gegen alle Widrigkeiten verteidigen zu wollen. Nicht zufällig zitiert sie „Boulevard der Dämmerung” (fd 1149), jenen Billy-Wilder-Film, in dem die Hauptfigur bis zuletzt ein Leben in Illusionen führt. Schmidts Filmtitel bezeichnet dementsprechend keine Adresse, sondern steht für bedingungslose Liebe: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – so definiert die junge Laura jedenfalls Liebe für sich. Vielleicht aber auch Colette Divine.
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