Geheime Wahl
Drama | Iran/Kanada/Italien/Schweiz 2001 | 105 Minuten
Regie: Babak Payami
Filmdaten
- Originaltitel
- RAYE MAKHFI | SECRET BALLOT
- Produktionsland
- Iran/Kanada/Italien/Schweiz
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Payam/Sharmshir/Fabrica/RAI/TSI
- Regie
- Babak Payami
- Buch
- Babak Payami
- Kamera
- Farzad Jadat
- Musik
- Michael Galasso
- Schnitt
- Babak Karimi
- Darsteller
- Nassim Abdi (Wahlleiterin) · Cyrus Abidi (Soldat) · Youssef Habashi · Farrokh Shojaii · Gholbahar Janghali
- Länge
- 105 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dieses Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, das Payami vertraut sein dürfte – nach einem Filmstudium in Toronto kehrte der Iraner 1998 in seine Heimat zurück –, bildet den allegorischen Faden in „Geheime Wahl“. Formal verknüpft er Elemente symbolistischer Strömungen des iranischen und asiatischen Kinos mit dem Erzählgestus europäischer und amerikanischer Avantgarde- und Kunstfilmer der 1980er-Jahre. Dem filmischen Mainstream scheint sich Payami hingegen mit einer Reihe selbstauferlegter „Dogmen“ (kein Kunstlicht, nur Originalschauplätze, ausschließlich – überzeugende – Laiendarsteller) programmatisch entziehen zu wollen; sein stilles fotografisches Beharren gestaltet dabei ein filmisches Gegenmodell zum turbulenten empathisch-voyeuristischen Sensationskino, dem es immer wieder gelingt, gemäldeartige Impressionen voll sinnlicher Schönheit und sinnbildlicher Aussagekraft entstehen zu lassen, das bisweilen aber auch in anstrengenden Formalismus abgleitet. Die durchgängig präsente Absurdität des Geschehens vermag die Steifheit der Gestaltung nur selten so treffsicher aufzulockern, wie bei der ersten Begegnung der Hauptfiguren mit einem potenziellen Wähler, den sie erst einfangen müssen, um ihn „freiwillig“ wählen zu lassen. Die Botschaft in dieser Szene ist deutlich: Der wählenden Bevölkerung fehlt das Vertrauen in die Regierung, sie ist auf die Demokratie nicht vorbereitet.
Dieser Umstand bestimmt die episodisch erzählte Reise der Wahlleiterin und des Soldaten. Bei jeder Station, an der sie Halt machen, wird ein neuer Aspekt des Widerspruchs zwischen dem naiven, weltverbesserischen Anspruch der Wahlleiterin und der Lebenswirklichkeit vor Ort beleuchtet. Viele der Inselbewohner leben in festgefügten patriarchalischen Gemeinschaften, die wenigsten Frauen können schreiben oder lesen, und längst nicht alle trauen sich zur Wahl. Das abstrakte Wahlrecht vermag sich gegen das konkrete Wahlverbot der Sippe nicht durchzusetzen. Kaum jemand kennt die Kandidaten, und die Grundprinzipien der Demokratie werden in Frage gestellt. Je länger die Reise geht, umso mehr entfernt sich die Wahlleiterin vom Einfluss der Außenwelt, umso tiefer dringt sie ein in abgeschlossene, archaische und wenigstens teilweise funktionierende Gesellschaften, bis sie selbst am Sinn ihrer Mission zweifelt und einräumt, dass zentrale Wahlen nicht nötig sind, wo längst im kleinen Kreise autonome „Regierungen“ gebildet wurden. Trotzdem mündet der Film nicht in der Ablehnung des Demokratisierungsprozesses als Ganzem; kritisiert wird lediglich die Rücksichts- und Gedankenlosigkeit seiner zentral geleiteten Umsetzung. Eine zwanghafte Einführung der Demokratie von außen, ohne dass zuvor die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, die lokalen Verhältnisse berücksichtigt werden und sie auf dem Willen der Bevölkerung basiert, das ist ebenso sinnvoll wie eine Ampel in der Wüste, die Payami zeigt. Eine zeitlang bleiben der Soldat und die Frau davor stehen, nur um sich ans Gesetz zu halten. Nach einer Weile aber fahren sie weiter, weil das Gesetz hier keinen Sinn macht.
„Geheime Wahl“ ist kein realistischer Film, behandelt keine eigentliche Wahl, kein Ereignis der Zeitgeschichte. Aber das Geheimnis, das im Grundprinzip der Wahl liegt, wird nicht immer sorgfältig gehütet. Ein wenig zu penetrant drängen die allgegenwärtigen Synekdochen und Metaphern nach ihrer Entschlüsselung. An ihrer politischen Brisanz verliert die groteske Allegorie dadurch jedoch nicht; löst man die Verweiskette aus einer globalen Perspektive auf, wird der Ort des Geschehens austauschbar und hinter der Zentralregierung lässt sich die Weltmacht USA erahnen. Eine Anklage ist der Film, der vor dem Irak-Krieg entstand, dennoch nicht. Am Ende überwiegen die versöhnlichen Töne. Nicht nur der Soldat und die Wahlhelferin kommen sich näher, sondern auch die Prinzipien, die sie repräsentieren.