Stanley Kubrick - A Life in Pictures

Dokumentarfilm | Großbritannien 2000 | 144 Minuten

Regie: Jan Harlan

Porträt des Filmregisseurs Stanley Kubrick, dessen filmischer Kosmos auf der Grundlage seiner 13 Kinofilme eindrucksvoll vermittelt wird, wobei der ebenso vielschichtige wie informative Dokumentarfilm neue Einblicke und Sichtweisen ermöglicht. Auch der Mensch Kubrick wird durch eine Reihe bislang nicht veröffentlichter Archivmaterialien nahegebracht, ohne dass seine zeitlebens bestens gehütete Privatsphäre preisgegeben würde. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
STANLEY KUBRICK - A LIFE IN PICTURES
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Warner House
Regie
Jan Harlan
Buch
Jan Harlan
Kamera
Manuel Harlan
Schnitt
Melanie Viner Cuneo
Länge
144 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Dokumentation ist im Bonusmaterial der Special Edition zu "Full Metal Jacket" (fd 25 400) veröffentlicht.

Verleih DVD
Warner (FF, DD5.1 engl.)
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Diskussion
„Ganz oder gar nicht“, könnte seine Lebensdevise lauten, eine Formel, auf die viele der engsten Mitarbeiter, Freunde und Verwandten zurückgreifen, um die Besessenheit eines Künstlers zu beschreiben, der sich mit jedem neuen Film als Filmemacher neu erfand: Stanley Kubrick. Sein mit 13 Filmen verhältnismäßig schmales Œuvre ragt in der Filmgeschichte wie ein Monolith heraus. Mit jedem seiner Projekte, an denen er über immer länger werdende Zeiträume arbeitete, mit jeder Einstellung und jedem Bild, die seine Erzählungen zu visionären Denkrätseln machten, versuchte Kubrick nicht nur sein Publikum, sondern vor allem sich selbst immer wieder zu überraschen. Viele seiner Filme gelten als Meisterwerke ihrer jeweiligen Genres, dessen Grenzen sie sprengten, um neue Maßstäbe zu setzen. Mit dem Image eines technischen Perfektionisten und manischen Kontrollfreaks umgab ihn eine Legende, die sich mit den Jahren zu einem Mythos verselbständigte. Dass fast alle Arbeiten Kubricks bis heute nichts von ihrer bildmächtigen Suggestivität eingebüßt haben, ihre grandiose Ikonografie aus dem Kino-Gedächtnis nicht wegzudenken ist, lässt sich auf sein schon früh ausgeprägtes Bewusstsein für visuelle Stilmittel zurückführen, was ihm zuweilen den Vorwurf eines inhaltslosen Ästhetizismus einhandelte. Der Primat der Innovation, der Form in seinem Werk, und sein visuelles Gespür verweisen auf den Beginn seiner Laufbahn als Fotograf. Von Kubrick selbst gibt es jedoch kaum Bilder; veröffentlicht werden stets dieselben Porträts. Auch seine wenigen Interviews verfestigten das Kubrick-Klischee vom Einzelgänger und Misanthropen, dessen Leben ganz hinter das Werk zurücktritt. Dieses weitverbreitete (Vor-)Urteil nach Kubricks Tod zu revidieren, ist das Anliegen seines Schwagers und langjährigen Mitarbeiters Jan Harlan, der von „Uhrwerk Orange“ (fd 17 806) bis „Eyes Wide Shut“ (fd 33 836) sein ausführender Produzent war. In dem ursprünglich als dreiteilige Fernsehdokumentation konzipierten Dokumentarfilm lässt Harlan Kubricks Leben und das Werk des Künstlers am Leitfaden der Filme Revue passieren. Wer jedoch biografische Enthüllungen erwartet oder glaubt, der Film würde Geheimnisse lüften, liegt falsch. Harlans Film ist in erster Linie eine pietätvolle, ungemein informative Hommage, in der die Stationen einer künstlerischen Biografie chronologisch aufbereitet werden, Kubrick selbst jedoch nur ein einziges Mal verbal in Aktion zu erleben ist, in einer Szene auf dem Set von „Shining“ (fd 22 670) mit Shelley Duvall. Allerdings steht gerade diese Szene, in der Kubrick seiner Darstellerin zu verstehen gibt, dass sie ihm gehörig auf die Nerven gehe, für seinen nicht immer nachsichtigen Umgang mit den Schauspielern. Dass Harlans Dokumentation dennoch hochinteressant ist, verdankt er seltenen Film- und Fotoaufnahmen aus der Kindheit und bisher unveröffentlichtem Filmmaterial, das Einblicke in Kubricks Arbeitsweise vermittelt. Darüber hinaus porträtiert Harlan ein Leben jenseits der beruflichen Sphäre, das Kubrick seit 1958 mit seiner Ehefrau Christiane teilte. Neben raren Fotos stellte Christiane Kubrick unbekannte Aufnahmen zur Verfügung, die ihn in seinem ländlichen Refugium nahe London im Kreise der Familie und Freunde zeigen. Sie gibt auch Auskunft über den Menschen Kubrick, der sich in den letzten Jahren Spekulationen und Verleumdungen ausgesetzt sah. Über 30 Freunde und Kollegen hat Jan Harlan vor die Kamera geholt, zahlreiche berühmte Weggefährten kommen zur Wort: u.a. der Produzent James B. Harris, Production Designer Ken Adam, „2001“-Autor Arthur C. Clarke, Wendy Carlos, der für die Musik-Scores verantwortlich war, Tom Cruise (der auch als Erzähler fungiert), Nicole Kidman, Malcolm McDowell, Jack Nicholson, Martin Scorsese, Steven Spielberg, Alan Parker und Woody Allen, mit dem Kubrick nach der Vollendung des bahnbrechenden Science-Fiction-Epos „2001 – Odyssee im Weltraum“ (fd 15 732) bereits Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ verfilmen wurde, die dann Vorlage seines letzten Films „Eyes Wide Shut“ war. Gerade die Aussagen seiner Mitarbeiter, die sich von ihm zwar gefordert, aber immer fair behandelt fühlten, widerlegen das Bild vom monomanen Monster, ohne Kubrick freilich von dem „Vorwurf“ des Perfektionismus frei zu sprechen. Ob die zahlreichen Takes, die er auch für einfache Szenen benötigte, oder die absurden Ängste, beispielsweise im Verhältnis zu seinen vielen Katzen – keine der Legenden wird ausgeräumt, auch wenn Kubrick als netter Zeitgenossen und liebevoller Familienvater geschrieben wird. Dass Stanley Kubrick das Kino liebte und obsessiv die Grenzen dieses Mediums auslotete, belegen Anekdoten, die sich um technische Innovationen ranken – etwa die Suche nach altmodischen Mitchell-BNC-Kameras, den einzigen, in die die riesigen Zeiss-Linsen passten, die für die Satelliten-Aufnahmen der NASA hergestellt wurden. Mit ihrer Hilfe drehte Kubrick die berühmten Kerzenlicht-Szenen in „Barry Lyndon“ (fd 19 995). Um die Zuschauer ins 18. Jahrhundert zu versetzen, verwendete er auch ein Zoom-Objektiv, das das Filmbild verflachte und wie ein Gemälde jener Zeit erscheinen ließ. Richtungsweisend auch die verfremdende und kontrapunktische Anwendung klassischer Musik in Kubricks Werk: Ob Johann Strauß’ Donauwalzer und Richard Strauß’“Also sprach Zarathustra“ in „2001“, Beethovens „Neunte“ in „Uhrwerk Orange“, Händels Sarabande-Motiv und Schuberts Klaviertrio in „Barry Lyndon“ oder atonale Stücke von Ligeti und Penderecki in „Shining“ – ihr ironisierender und akzentuierender Einsatz hatte stets die Qualität eines präzisen Kommentars. Kein Wunder, dass einer von Harlans Interviewpartner die Geschichte des Kinos in eine Ära vor und nach Kubrick einteilt. Auch Woody Allens Diktum, Kubrick wäre der Zeit um Jahre voraus, was ihm durch seine anfänglich ablehnende Haltung zu „2001“ bewusst geworden sei, ist ein Indiz für Kubricks Radikalität und spiegelt sich in der Rezeptionsgeschichte: Kubrick hatte ebenso harsche Kritik wie rückhaltlose Bewunderung erfahren; die Branche aber und die amerikanischen Filmkritiker taten sich mit seinen Filmen schwer. Wieweit die von US-Journalisten veranstaltete „Hinrichtung“ nach der Premiere von „2001“ ging, illustriert Pauline Kaels Urteil, „2001“ sei „the biggest amateur movie of them all“. Trotz schlechter Kritiken sowie der Eingriffe der Zensur erwiesen sich Kubricks Filme zehn Jahre nach ihrer Premiere als Klassiker. Ein Grund dafür dürfte auch Kubricks Rigorosität bei der Auswahl, aber auch beim Verwerfen seiner Projekte gewesen sein: Das geplante „Napoléon“-Monumentalepos gab er auf, als Sergej Bondartschuks „Waterloo“ 1969 in die Kinos kam; die Adaption des Holocaust-Bestsellers von Luis Begley „Wartime Lies“ überschnitt sich mit „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg. „Bloß keine Wiederholungen“, könnte ein anderes Motto des Autodidakten heißen, von dem man weiß, dass er „keinen vergeudeten Augenblick auf der Leinwand“ geduldet hat.
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