Konzert im Freien

- | Deutschland 2001 | 88 Minuten

Regie: Jürgen Böttcher

Ein Jahrzehnt nach seinem letzten Film "Die Mauer" lädt der Maler und Regisseur Jürgen Böttcher zu einem filmischen Postskriptum zu seinem Leben und Werk ein. "Konzert im Freien" basiert auf bisher unveröffentlichtem 35mm-Material, das in den frühen 80er-Jahren für die DEFA gedreht wurde und den Bau des Marx-Engels-Denkmalskomplexes in Ost-Berlin verfolgt. Die alten Bilder werden mit neuen Szenen eines Konzerts zweier Free-Jazzer verbunden, wobei der experimentell-komische Abschied von der Vergangenheit am Ende des komplexen, assoziativen Films reizvoll gebrochen wird: Große Hoffnungen, aber auch Verbrechen des 20. Jahrhunderts werden noch einmal lebendig, die gelöste Heiterkeit weicht Trauer und Zorn. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
ö-Filmproduktion
Regie
Jürgen Böttcher
Buch
Jürgen Böttcher
Kamera
Thomas Plenert · Lars Lenski · Gunther Becher
Musik
Günther "Baby" Sommer · Dietmar Diesner
Schnitt
Gudrun Plenert
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Zehn Jahre hat es gebraucht, bis sich Jürgen Böttcher, einer der bedeutendsten Dokumentaristen der DDR, zu einem neuen Film durchrang. Eigentlich wollte er nach „Die Mauer“ (1990), seiner letzten DEFA-Produktion, das Kino aufgeben. Jenes Opus mit seinen kontemplativen Einstellungen vom Verschwinden des steinernen Monstrums im Zentrum Berlins war so etwas wie ein Schlusspunkt: das befreiende Aufatmen nach Jahrzehnten der - mehr oder weniger starken - Bedrückung. Böttcher hatte schon früh erfahren, was es bedeutet, gegen eine scheinbar allmächtige, mit dem Staat eng verbandelte Kulturbürokratie angehen zu müssen: Einer seiner frühesten Dokumentarfilme, „Drei von vielen“ (1961), war ebenso verboten worden wie sein einziger Spielfilm „Jahrgang 45“ (1966, fd 28 657), und auch als Maler wurde er offiziell boykottiert. Weil das so war, nutzte er nach 1990 die Chance, endlich auch seine bildende Kunst international präsentieren zu dürfen; und in der Tat steht sein zeichnerisches und malerisches OEuvre dem filmischen in keiner Weise nach. Nun also die Rückkehr ins Kino: „Konzert im Freien“, eine Art Postskriptum zu Leben und Werk, ein teils komischer, teils melancholischer Abgesang aufs 20. Jahrhundert mit seinen Idealen, Utopien, Irrtümern und Verbrechen. Zu Hauptfiguren hat Böttcher keine Geringeren als Marx und Engels auserkoren. Als vor rund 20 Jahren in der Nähe des Ost-Berliner Alexanderplatz ein Denkmal zu ihren Ehren geplant und aufgestellt wurde, war der Regisseur dabei und beobachtete die Bildhauer und anderen Künstler beim so genannten Schaffensprozess. Der Stoff ähnelte einer seiner vorangegangenen Arbeiten, der Pleinair-Studie „Im Lohmgrund“ (1977), nur dass er diesmal politisch viel „aufgeladener“ war. Über zehn Stunden 35mm-Material wurden belichtet, aber der fertige Film, der damals „Der Platz“ heißen sollte, kam dann doch nie zu Stande. Die DEFA verlor Mitte der 80er-Jahre, als er hätte montiert werden können, das Interesse - im selben Moment übrigens, als auch die SED-Führung die Entstehung des Denkmalskomplexes nur noch mit gewissem Argwohn betrachtete. Er war nämlich, trotz teurem Carrara-Marmor und Relief-Titeln wie „Die Würde und Schönheit freier Menschen“, kein monströser künstlerischer Ausdruck eines wie immer gearteten Sieges geworden, sondern etwas eher bescheiden Wirkendes, Nachdenkliches. Der Bildhauer Ludwig Engelhard, einer der beteiligten Künstler, sprach von „einer Art intensiver Raumzone“, nicht von übermenschlicher Höhe und Breite, wie es Erich Honecker zwischen Dom, Rathaus, Fernsehturm und Palast der Republik vermutlich lieber gewesen wäre. Böttcher selbst drängte damals nicht darauf, den Film, ein Auftragswerk, vollenden zu können. Auch jetzt wäre ein bloßes Hervorholen der alten Szenen, trotz einzelner starker Motive, etwa vom schwebenden Engels am Kran, vermutlich wenig aufregend gewesen. Doch der Regisseur kam auf die Idee, das Material zu brechen, zu verfremden. Dafür standen ihm zwei Free-Jazz-Musiker zur Verfügung, Günter „Baby“ Sommer (Percussion) und Dietmar Diesner (Saxophon), die zu Füßen von Marx und Engels, bei Tag und bei Nacht, Regen und Sonne, allein oder mitten unter Touristen, fröhlich drauflos musizieren. Böttcher nutzt Sommer und Diesner als groteske Pendants zu den versteinerten Heroen des Kommunismus; während Marx und Engels stumm auf ihren Plätzen verharren, tanzen die Clowns um sie herum, pusten, prusten, zwitschern, gackern, schmeicheln, schimpfen. Sie spielen mit den „Heiligen“ und gegen sie an. Ihr magischer Jazz ist beinahe der einzige Kommentar, den sich der Regisseur leistet. Auf verbale Auslassungen, so zur Geschichte des Denkmalsprojekts oder zur Verfilzung von Kunst und Macht in der DDR, verzichtet er fast ganz. Wer meint, Böttcher mache es sich damit zu einfach, verlangt von ihm etwas völlig anderes als er jemals leisten könnte und wollte. Von Böttcher sind eben keine „entlarvenden“, investigativen Reports zu erwarten, sondern immer „nur“ filmische Meditationen. Dabei bringt er sich und seine Biografie, seine eigenen Hoffnungen, Verwirrungen und Verwicklungen durchaus ein, kommentiert einen Teil der eigenen Vita. Dass der Regisseur die beiden Musiker gegen die versteinerte Vergangenheit anspielen lässt, kann schließlich auch als Abschied von jenen bestellten Auftragsfilmen interpretiert werden, die Böttcher vor allem in den 60er- und 70er-Jahren aus Überlebensgründen drehen musste. Der assoziative Umgang mit alten Bildern und neuen Tönen, die unbeschwerte Montage dieses schon im Titel mehrdeutigen „Konzerts im Freien“ führt propagandistisch biedere Filme wie zum Beispiel „Wir waren in Karl-Marx-Stadt“ (1967) oder „Dialog mit Lenin“ (1970) gnadenlos ab absurdum. Auch diese Relikte der Vergangenheit verdienen nur noch angeblasen und umspielt zu werden. So, wie es Sommer, Diesner und Böttcher tun - und jene jungen Leute, die Inline-Skater, Frisbee-Spieler und Roller-Blader, die fröhlich um Marx und Engels tanzen, auf ihnen herumklettern, sie ohne jede Furcht als Klettergerüst oder Fotomodell nutzen. Bei aller Fröhlichkeit verzichtet der Regisseur am Ende seines Films freilich nicht auf einen Moment der Besinnung. Die Kamera fährt nahe an die Stahlstelen des Marx-Engels-Forums heran, zeigt die darin eingebrannten, von dem Fotografen Arno Fischer und dem Filmdokumentaristen Peter Voigt seinerzeit sorgsam ausgewählten Fotos in Großaufnahme. Es regnet, und Tropfen perlen über die klassischen schwarz-weißen Motive, von denen einige längst zu Ikonen der Fotokunst geworden sind. Über die Pariser Kommunarden von 1871, die Spanien-Kämpfer, den vietnamesischen Greis mit den verbundenen Augen, über den Kommunistenführer Ernst Thälmann in der Gefängniszelle oder Rosa Luxemburg. Die Tropfen assoziieren Tränen, auch Blut. Tränen über ein Jahrhundert der Irrwege, der Kriege und der Angst, der sinnlosen Odyssee einer aus den Fugen geratenen Zivilisation. Es ist eine sentimenale Sequenz, in der das Ironische und Surreale, das den Film sonst ausmacht, für einen Moment ausgedient hat, eine Sequenz voller Trauer und Zorn. Ein grandioses Finale - das stärkere des Films, auch wenn es Böttcher noch einmal durch einen weiteren Schluss, einen Trommelwirbel, bricht. Ein Jahrzehnt nach seinem letzten Film „Die Mauer“ lädt der Maler und Regisseur Jürgen Böttcher zu einem filmischen Postskriptum zu seinem Leben und Werk ein. „Konzert im Freien“ basiert auf bisher unveröffentlichtem 35mm-Material, das in den frühen 80er-Jahren für die DEFA gedreht wurde und den Bau des Marx-Engels-Denkmalskomplexes in Ost-Berlin verfolgt. Die alten Bilder werden mit neuen Szenen eines Konzerts zweier Free-Jazzer verbunden, wobei der experimentell-komische Abschied von der Vergangenheit am Ende des komplexen, assoziativen Films reizvoll gebrochen wird: Große Hoffnungen, aber auch Verbrechen des 20. Jahrhunderts werden noch einmal lebendig, die gelöste Heiterkeit weicht Trauer und Zorn. - Sehenswert ab 16.
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