Orlacs Hände

Horror | Österreich 1924 | TV: 99 DVD: 104 (Filmarchiv A, 20 B./Sek.) DVD: 95 (absolut) BD: 99 (absolut) Minuten

Regie: Robert Wiene

Einem Pianisten, der bei einem Zugunglück seine Hände verloren hat, werden die Hände eines hingerichteten Raubmörders transplantiert. Fortan wird er von panischen Angstzuständen heimgesucht, die erst ein Ende finden, als er ein teuflisches Komplott aufdecken kann. Spätexpressionistischer Stummfilm, der realistische Kriminalfilm-Motive mit Elementen der seinerzeit noch jungen Wissenschaft der Psychologie verbindet und damit die Bewusstseinslage der unsicheren 20er-Jahre zum Ausdruck bringt. Ein beeindruckendes Spiel mit Licht und Schatten. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ORLACS HÄNDE
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1924
Produktionsfirma
Pan-Film
Regie
Robert Wiene
Buch
Ludwig Nerz
Kamera
Günther Krampf · Hans Androschin
Musik
Henning Lohner · Johannes Kalitzke
Darsteller
Conrad Veidt (Paul Orlac) · Alexandra Sorina (Yvonne Orlac) · Fritz Kortner (Nera) · Carmen Cartellieri (Regine) · Fritz Strassny (Orlacs Vater)
Länge
TV: 99 DVD: 104 (Filmarchiv A, 20 B.
Sek.) DVD: 95 (absolut) BD: 99 (absolut) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Horror | Krimi
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Auf DVD erschienen in einem wertigen Schuber zusammen mit einer Anthologie zum Film (Edition Film + Text 12). Der Film ist in zwei verschiedenen Vertonungen enthalten. Die 2019 erschienene Edition (absolutMEDIEN) enthält den Film mit einer Musik von Johannes Kalitzke, eingespielt vom Stuttgarter Kammerorchester (2018).

Verleih DVD
Film Archiv Österreich & absolutMEDIEN (FF, DD2.0)
Verleih Blu-ray
absolutMEDIEN (FF, DD2.0)
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Diskussion
Bei einem furchtbaren Zugunglück verliert der berühmte Pianist Paul Orlac beide Hände. Seine Ehefrau Yvonne bittet Professor Serral, einen renommierten Chirurgen, jede Chance einer Rettung zu versuchen. Der Arzt transplantiert dem Musiker die Hände des gerade hingerichteten Raubmörders Vasseur, und die Operation wie die Heilung gelingen. Doch als Orlac von den „Mörderhänden“ erfährt, befallen ihn panische Angstzustände. Die Liebe zum Klavierspiel und zu seiner Frau erlöschen. Vom finanziellen Ruin bedroht, ersucht Yvonne ihren Schwiegervater, einen maßlosen Geizhals, um Hilfe. Wenig später findet der Sohn den Vater ermordet auf. Der schreckliche Verdacht, das Verbrechen selbst begangen zu haben, treibt Orlac durch die nächtlichen Straßen. In einer Spelunke trifft er auf Nera, einen unheimlichen Fremden, der eine Million vom väterlichen Erbe fordert. Als seine Frau ihn zur Aussage bei der Polizei drängt, wird das mörderische Spiel des Erpressers durch das Geständnis von Orlacs Zofe, die unter dessen Einfluss steht, aufgedeckt. Nera, der ehemalige Gehilfe von Professor Serral, ist als Täter überführt. Orlac feiert, von den Seelenqualen erlöst, wieder erste Erfolge. Der Stummfilm „Orlacs Hände“ ist ein spätexpressionistischer Ausläufer, von Robert Wiene, dem Regisseur des wohl berühmtesten deutschen Stummfilms, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (fd 24 620), in seiner zweiten Schaffensperiode als psychologischer Thriller angelegt. Jahrzehntelang blieb dieses Werk einer gezielten Neubewertung und Analyse vorenthalten. Selbst Uli Jung und Walter Schatzberg konnten für ihr 1995 erschienenes und damit erstes Buch über Wiene nur auf stark gekürzte 16mm-Kopien und zeitgenössische Quellen zurückgreifen. Das Deutsche Institut für Filmkunde entdeckte dann, nach Recherchen in allen europäischen Filmarchiven, 1995 in der Belgrader Kinemathek eine 35mm-Kopie mit den originalen deutschen Zwischentiteln, die man in Kooperation mit der Murnau-Stiftung zur Grundlage einer umfassenden Rekonstruktion heranzog. Dank der überlieferten Zensurkarte des Films und Ergänzungen aus Materialien des Bundesarchivs/Filmarchivs war es möglich, eine inhaltlich schlüssige und annähernd integrale Fassung herzustellen. Die Länge der rekonstruierten Version beträgt nunmehr 2357 Meter, was bei einer Geschwindigkeit von 20 Bildern pro Sekunde 99 Minuten Sendelänge entspricht. Gegenüber dem Original von 2507 Meter bei der Uraufführung am 24. September 1924 in Berlin fehlen somit noch etwa acht Minuten, die aber nach dem letzten Kenntnisstand als verloren gelten müssen. „Orlacs Hände“ wurde 1925 von Publikum und Kritik als Meisterwerk und „Synthese von Phantastischem und Realem“ gefeiert, das die psychologische Klaviatur des Künstlers, von Conrad Veidt traumwandlerisch verkörpert, glaubhaft mache. Die Geheimnisse einer Seele, das Motiv der gespaltenen Persönlichkeit, des Anderen in uns, die Gratwanderung zwischen Gut und Böse, zwischen anständigem Bürger und Verbrecher sind durchaus mit „Caligari“ verwandt. Die Kombination von realistischen Kriminalfilmmotiven mit Elementen der noch jungen wissenschaftlichen Disziplin der Psychologie wird von der experimentellen, stellenweise gewöhnungsbedürftigen Musik des deutsch-amerikanischen Komponisten Henning Lohner betont. Seine Quartett-Besetzung (Klarinette, Posaune, Cello und Klavier), eingespielt vom Ensemble Avance, arbeitet, von Live-Elektronik und Dialogeinwürfen unterbrochen, mit avantgardistischen Klangbildern. Aber das Vorhaben, den Film als „Modell zu allen Horrorfilmen“ zu nehmen, erreicht zumindest teilweise einen eher paradoxen Effekt. Das subtile Spiel von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel soll der „stummen Sprache des Films den Schrei, der in Orlacs hermetischer Welt nicht hörbar ist“, entlocken. 1996 war in einer Wiesbadener Open-Air-Veranstaltung mit dem „Metropolis Projekt“ eine ebenfalls kritische musikalische Interpretation von „Orlacs Hände“ zu hören. Das Dämonische und Fantastische, das über allem Rationalen, Sozialem und Gesellschaftlichem schwebt, und etwa in Pabsts „Die freudlose Gasse“ oder Murnaus „Der letzte Mann“ seine zeitliche Entsprechung fand, das Unsichere der 20er-aufblitzen ließ, es signalisiert die heraufziehenden ökonomischen und politischen Zusammenbrüche. Hier fungiert der Film tatsächlich als seismografisches Instrument latenter Bewusstseinsdispositionen, ohne gleich den Kracauerschen Theorieansatz zu bemühen.
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