Eine junge Pianistin kommt in das Haus eines bekannten Pianisten und seiner Frau, der Besitzerin einer Schokoladenfabrik, weil sie vielleicht bei der Geburt mit dem Sohn des Pianisten vertauscht wurde. Der Pianist wird ihr Lehrer und Ersatzvater, was die Ehefrau und der Sohn nicht gerne sehen. Es kommt zu einem rätselhaften Unfall. Subtiler, fast kammerspielartig inszenierter Psychothriller über kleine Geheimnisse, die zu großen Katastrophen führen, weil sich alle bemühen, nicht zu zeigen, was sie denken. Meisterhaft inszeniert und gespielt, schafft Claude Chabrol einen sozialen Mikrokosmos als "film noir" in Farbe.
- Sehenswert ab 16.
Chabrols süßes Gift
Literaturverfilmung | Frankreich 2000 | 101 Minuten
Regie: Claude Chabrol
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Filmdaten
- Originaltitel
- MERCI POUR LE CHOCOLAT
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2000
- Produktionsfirma
- MK2 Productions
- Regie
- Claude Chabrol
- Buch
- Claude Chabrol · Caroline Eliacheff
- Kamera
- Renato Berta
- Musik
- Matthieu Chabrol
- Schnitt
- Monique Fardoulis
- Darsteller
- Isabelle Huppert (Marie-Claire "Mika" Muller) · Jacques Dutronc (André Polonski) · Rodolphe Pauly (Guillaume Polonski) · Anna Mouglalis (Jeanne Pollet) · Brigitte Catillon (Louise Pollet)
- Länge
- 101 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Literaturverfilmung | Psychothriller
Heimkino
Diskussion
„Misstraue deinem Nächsten“ könnte als Warnung über den Thrillern von Claude Chabrol stehen, nicht als wortspielerische Abwandlung des Gebotes, sondern als lebensnotwendige Ergänzung. Auch in Chabrols neuem Film mit dem liebenswerten Originaltitel „Merci pour le chocolat“ („Danke für die Schokolade“) sind es diejenigen, mit denen man täglich zusammen ist, die man am wenigsten kennt. Das Neue an diesem 52. Kinofilm des nunmehr 70-jährigen Chabrol ist die Eleganz und Beiläufigkeit, mit der einer dem anderen das Leben schwer macht - und die Tatsache, dass sich alles innerhalb nur einer Klasse, des Bürgertums, und fast kammerspielartig in wenigen Räumen abspielt.
Der wichtigste Raum ist die Wohnung des Ehepaars Muller/Polonski in Lausanne. Mika Muller, Anfang 40, Chefin der ererbten Schokoladenfabrik, hat gerade den Mann geheiratet, den sie schon immer wollte: den Pianisten André Polonski. Er hat einen Sohn im Studentenalter, der seit dem mysteriösen Unfalltod seiner Mutter lethargisch vor sich hin lebt. Bis Jeanne kommt. Sie besucht die Polonskis, um einer merkwürdigen Sache auf den Grund zu gehen: Sie wurde am selben Tag im selben Krankenhaus wie Guillaume Polonski geboren, angeblich waren die Babys sogar kurzzeitig vertauscht worden, und es ist doch bestimmt kein Zufall, dass auch sie so gut Klavier spielt, meint sie neugierig. Auch wenn sich herausstellt, dass sie nicht Polonskis Tochter ist, darf sie gerne im Haus blieben. André taut richtig auf im Beisein der jungen Pianistin, schließt sie in sein Herz und übt mit ihr für den Klavierwettbewerb tagelang schwere Kost von Liszt und Debussy, sodass Guillaume schon eifersüchtig wird. Mika nimmt alles gelassen und serviert die Trinkschokolade, seltsamerweise in einer Thermoskanne. Und manchmal ist die selbstsichere, immer adrette und höfliche Mika erstaunlich ungeschickt und verschüttet sie.
Es sind solche kleinen Zeichen, auf die man bei Chabrol achten muss, auch der Titel des Videos, das Mika Guillaume schenkt („Das Geheimnis hinter der Tür“ von Fritz Lang), gehört dazu oder der des Klavierstücks, das André mit Jeanne so intensiv übt: „Les Funérailles“ von Liszt. Hinter der Idylle lauert die größte Gefahr, und wenn Mika sagt, es komme nur darauf an, den Schein zu wahren, dann weiß sie, wovon sie spricht. Sie war nur eine Adoptivtochter, deshalb kämpft so um ihr neues Familienglück, in dem Jeanne der Störenfried ist, was sie aber nie sagen würde. Aber eines Abends kippt sie Guillaume aus Versehen heißes Wasser über die Füße, nachdem sie es vorher schon versäumt hatte, Andrés Tabletten aus der Apotheke zu besorgen. Selbstlos bietet sich Jeanne an, trotz der späten Stunde die Serpentinen hinunter in die Stadt zu fahren, um das Medikament zu besorgen, gestärkt von dem Kaffee, den ihr Mika servierte, und begleitet von Guillaume. Sie haben einen Unfall, so wie Jahre zuvor schon Guillaumes Mutter unter ähnlichen Umständen im Auto ums Leben kam. Aber das ist noch nicht das Ende.
Wenn André (Jacques Dutronc, überzeugend als ganz in seiner Kunstwelt lebender Pianist) in seine Musik versunken am Klavier sitzt und spielt, tut er das nicht auch, weil er weiß, wie Guillaumes Mutter ums Leben kam, aber es sich um des neuen Familienglücks willen nicht anmerken lassen will? Und was ist mit dem introvertierten, manchmal debil wirkenden Guillaume? Versucht er nicht auch, etwas zu verstecken, was er nicht verarbeitet hat? Jeannes Prüfung kommt, als sie erfahren muss, dass sie weder die Tochter Andrés ist, noch die des toten Architekten, sondern ihre Mutter sich von einem Fremden hat künstlich befruchten lassen. Hinter jeder Tür lauert ein Geheimnis, und wer genau hinsieht, entdeckt Abgründe, die man nie geahnt hat. Natürlich ist das immer bei Chabrol so, diesmal aber hat er ein besonders vielschichtiges psychologisches Geflecht aus Beziehungen, Wunschträumen und Bösartigkeiten entworfen, das sich nicht mit einem lauten Knall wie in „Biester“ (31 600) entlädt, sondern eigentlich gar nicht. Letztlich dreht keiner richtig durch, und niemandem kann man seine verachtenswerten Gedanken und Taten wirklich nachweisen - und selbst wenn, würde man sie dem geliebten Menschen nicht doch verzeihen? Daraus wachsen die Spannung und der wahre Horror in diesem meisterhaft inszenierten „film noir“. Die alle leicht unterkühlt agierenden Darsteller, das sorgsame Ambiente, die mit bedeutungsvollen Schatten und Spiegelbildern angereicherten Bildern vom täglichen Leben der Reichen und Gebildeten - nur die unheilschwangeren stimmungsvollen Musikstücke von Liszt und Debussy stören da gelegentlich die vorbildliche Ruhe und Harmonie. Und die Schokolade, die manchmal Flecken hinterlässt, wie in anderen Filmen Blut. Je häufiger man sich den Film ansieht, umso mehr versteckte Hinweise, subtile Gesten- und Minenspiele und doppeldeutige Worte wird man entdecken und hoffentlich anfangen, im eigenen Leben nach den Heimlichkeiten zu suchen, die man (un)bewusst versteckt.
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