„Ride with the Devil“ beginnt und endet mit einer Hochzeitszeremonie. Es ist nicht dieselbe Hochzeit. Zwischen den beiden Feiern liegt ein Krieg, der eine ganze Nation geprägt hat. Die erste Hochzeit besitzt den Charme ländlich-bourgeoiser Ereignisse; nur die Gegenwart bewaffneter Männer weist auf die Bedrohlichkeit der politischen Lage hin. Bei der zweiten Hochzeit weiß man um die Hartnäckigkeit, mit der sich der Norden und der Süden bekämpfen, weiß man um die Gräueltaten und Fragwürdigkeit der Versprechen von Freiheit und Selbstbestimmung. Es ist eine frugale Hochzeit unter Menschen, die ihre Illusionen verloren haben. Ang Lee liebt Szenen wie diese als Anker in einem weit ausholenden Drama. Er tat Ähnliches in „Sinn und Sinnlichkeit“
(fd 31 819) und „Der Eissturm“
(fd 32 888). Der gebürtige Taiwaner ist kein Regisseur atemberaubender Action, seine Kernszenen sind leise, unscheinbare Intermezzi, genau jene Episoden der Erzählung, die von anderen Regisseuren als Beiwerk behandelt würden. In „Ride with the Devil“ offenbart sich der Sinngehalt der Story weniger in den Schlachtengemälden als bei einem primitiven Winter-Biwak, in dessen ereignislosen Stunden der junge Held seinen Freunden aus erbeuteten Briefen der Mütter von Unionssoldaten an ihre im Feld kämpfenden Söhne vorliest. Oder während eines Moments kontemplativer Ruhe, als der 19-jährige Konföderierte feststellt, dass sich der Stummel seines im Kampf verlorenen Fingers vorzüglich dafür eignet, ein Baby vom Schreien abzuhalten.
Wer unvorbereitet in einen Film von Ang Lee gerät, braucht kostbare Zeit, um sich in der ungewohnten Erzählweise zurechtzufinden. Ein Film mit dem Titel „Ride with the Devil“ klingt ohnehin wie einer jener Kavalleriewestern, die in den 40er- und 50er-Jahren beliebt waren. In der Tat muss man so weit zurückgehen, um die Thematik in anderen Filmen wieder zu finden. „Schwarzes Kommando“ (fd 1335), „Reiter ohne Gnade“ (fd 4725) und „Die Kanaille von Kansas“ (fd 8145) - alles Kinostücke unserer Väter-Generation - berichteten von William Quantrill und den „Bushwhackers“, jungen enthusiastischen, aber nicht weniger zur Brutalität entschlossenen Südstaatlern, die es vorzogen, nicht in der Armee der Konföderierten zu kämpfen, sondern in kleinen Partisanengruppen. Obwohl es auch in Ang Lees Film um dieses abseitige, selbst von vielen Historikern nur am Rande behandelte Kapitel des amerikanischen Bürgerkriegs geht, hat „Ride with the Devil“ wenig mit seinen filmischen Vorgängern gemein. Lee ist nicht sehr am Offensichtlichen interessiert, sondern mehr am Verborgenen: an der sozialen Struktur, die Menschen wie diese Bushwhackers hervorbrachte, am Denken und Fühlen der blutjung in einen vorgeblich idealistischen Krieg Geworfenen und daran, was dieser Krieg aus Ihnen gemacht hat.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Jake Roedel, der Sohn eines deutschen Immigranten, den sie deshalb auch Dutchie nennen. Obwohl sein Vater es - wie alle Deutschen - mit den Unionisten hält, fühlt sich Jake durch seinen Umgang und seine Freunde zu den Konföderierten hingezogen. Mit ihnen schlägt er sich in den Hinterhalt der Wälder und Berge seiner Heimat, dem Grenzgebiet zwischen Missouri und Kansas. Es ist ein grausamer Krieg gegen Bekannte und Nachbarn, nur weil diese anderer Gesinnung sind. Man streift sich die Blauröcke des Feindes über, um sich ungehinderten Zugang zu verschaffen, dann beginnt das Morden und Brandschatzen. Der (äußere) Höhepunkt des Films, ein blutrünstiger Überfall auf die Stadt Lawrence, bei dem mindestens 150 Zivilisten umgebracht wurden, ist historisch verbürgt. Aber, wie gesagt, das sind nicht die Szenen, die Lee primär interessieren. Deshalb drängt er alles, was normalerweise in einem Film wie diesem die Basis der Handlung abgeben würde, auf irritierende Weise an den Rand, während sich scheinbar periphere Seitenlinien zum Zentrum verdichten. Die wichtigsten sind eine sich langsam entwickelnde Freundschaft zwischen Jake und einem Schwarzen, der für die Sache der Südstaatler kämpft (!), und eine der absurdesten Liebesgeschichten des Kriegs-Western zwischen Jake und der Freundin eines gefallenen Kameraden. Mit ihnen rückt Lee den Widersinn, der auch hinter diesem Krieg steht, stärker in den Blickpunkt als es je ein Film über den „Civil War“ getan hat. Nur ein seiner Herkunft nach nichtamerikanischer Regisseur war wohl imstande, allen historischen Ballast und Patriotismus so ungerührt beiseite zu schaffen, wie es hier geschieht, und dafür die Ungereimtheiten dieses Kampfs von Nachbarn gegen Nachbarn allmählich in die einzig sinnvolle - humanistische - Perspektive zu rücken.
Auch für einen Kriegsfilm weicht Lee nicht von seinem bedachten, distanzierten Stil ab. „Ride with the Devil“ lässt sich viel Zeit, Charaktere und Konflikte zu entwickeln. Lees Zurückhaltung gegenüber jeder klischeehaften Situation und sein Misstrauen gegen jede genreübliche Szenerie machen sicher allen Zuschauern mit einer falschen Erwartunghaltung den Film, der mit 138 Minuten für heutige Verhältnisse nicht einmal überlang ist, oft schwer erträglich. Vermutlich deshalb wurde er nach einer viel versprechenden Premiere beim Toronto-Filmfestival in den USA hauptsächlich in kleinen Kinos versteckt. Es sei nicht geleugnet, dass „Ride with the Devil“ Geduld und erhöhte Aufmerksamkeit verlangt und dass Lees Filme vielleicht das äußerste Gegengewicht zur hektischen Fernsehdramaturgie unserer Tage und zu dem provokatorischen Inszenierungsstil heute beliebter Regisseure wie David Fincher, Michael Bay und die Brüder Wachowski ist. Doch Filme wie dieser wachsen, je bereitwilliger und eingehender man sich mit ihnen beschäftigt.