Kleine Sünden

- | Spanien 1998 | 92 Minuten

Regie: Ramón Barea

In einem spanischen Nonnenkloster kommt es zu bösartigen Grabenkämpfen zwischen Fundamentalisten und Erneuerern, als eine junge Oberin die Spezialität des Ordens, eine Süßigkeit, mit modernen Marketing-Methoden unters Volk bringen will. Die explosive Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, als der als Reliquie verehrte Leichnam der Ordensgründerin entführt wird. Eine volkstümliche Posse mit antiquiertem Humor und derben Kalauern. Auch die Kirchenkritik wirkt veraltet und schwankt unentschlossen zwischen satirischem Biss und humoristischem Biedersinn. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
PECATA MINUTA
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
José Maria Lara P.C./Alokatu S.L.
Regie
Ramón Barea
Buch
Felipe Loza · Ramón Barea
Kamera
Kiko de la Rica
Musik
Ramón Torre Lledó
Schnitt
Julia Juániz
Darsteller
Elena Irureta (Rufina) · Loli Astoreka (Asun) · Ane Gabarain (Rosarito) · Aitzpea Goenaga (Remedios) · Itziar Lazkano (stellv. Äbtissin)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-

Diskussion
In dem abgeschiedenen Nonnenkloster „Santa Maria de la Huerta“ scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Zwar bröckelt in der ländlichen Idylle der Putz von den Wänden, doch die Nonnen gehen friedlich ihrem Tagwerk im Garten und in der Küche nach - auch wenn die Hälfte schon im Greisenalter ist. Schon weit über dieses Alter hinaus ist der unversehrte Leichnam der Gründerin des Ordens, für die Schwestern die höchste Reliquie. So könnte alles immer und ewig weitergehen, würde in dem für seine Süßigkeiten bekannten Kloster nicht ein gnadenloser Kampf zwischen Reformern und Fundamentalisten toben: Die junge Oberin setzt auf Modernisierung, Werbung und ein neues Image, und in einer Fernsehsendung kündigt sie ein neues Schokoladenprodukt an - „Los huevos de Santa Clara“. Doch diese Öffnung hin zur Marktwirtschaft gefällt weder dem Bischof noch den fundamentalistischen Nonnen um die stellvertretende Äbtissin. Und dann streckt auch noch der unverweste Leichnam der Gründerin die Zunge aus seinem leichengelben Gesicht - wie immer, wenn die heilige Ordensregel in Gefahr ist: Bereits am 14. April 1931, als die spanische Republik ausgerufen wurde, hatte die Leiche beleidigt die Zunge herausgestreckt, was sich wiederholt, als ihr am 14. Oktober 1938 die Roten im spanischen Bürgerkrieg den Ordensstab raubten. Dies geschehe, „weil sich das Wetter ändert“, entgegnet die junge Priorin mit dem rationalen Impetus des Reformers. Das aber widerspricht dem mystischen Ehrgeiz manch junger Ordensschwester: „Wenn die heilige Schwester auf ihre Oberin gehört hätte, wäre sie nie berühmt geworden.“ Drei Nonnen wollen derweil nach 20 Jahren Klosterleben den Orden verlassen, weil sie die Welt sehen wollen; sie graben einen Tunnel unter dem Beichtstuhl, der sie in die Freiheit führen soll. Zeitgleich eskalieren die Spannungen im Kloster. Was sich nicht einmal die Kommunisten im spanischen Bürgerkrieg getraut haben, ist eingetreten: Der Leichnam der Gründerin wurde entführt. Zornig rufen die traditionsbewussten Schwestern den Bischof um Hilfe.

Der Baske Ramón Barrea ist ein großartiger, humorvoller Schauspieler, der fantastische Rollen mit Leben füllte, etwa die eines alten Falangisten in Gracía Querejetas Film „Cuando vuelvas a mi lado“ oder die eines Arbeitslosen in Enrique Gabriels „En la puta calle“. Im Baskenland wurde er bekannt durch seine Theaterarbeit, weniger bekannt sind seine Kurzfilme, etwa „Adios, te quiero“ („Adios Tobi, ich liebe dich“), in dem sich eine Kleinbürgerfamilie bemüht, ihren nicht stubenreinen Hund zu beseitigen. Barrea inszeniert derbes Volkstheater; sein erster langer Spielfilm „Kleine Sünden“ basiert auf seinem eigenen gleichnamigen Theaterstück aus dem Jahr 1994, in dem viele eine unterschwellige Parodie auf den offiziellen Katholizismus der baskischen Regierungspartei PNV sahen. Das Kloster ist ein beliebtes Subgenre im spanischen Film, sei es als Melodram (wie „Cancion de Cuna“ von José Luis Garci, 1994), als schrille postmoderne Drogenkomödie (wie Pedro Almodóvars „Entre Tinieblas“, 1984) oder als Ausgangspunkt bizarrer Geschichten (wie in Alex de la Iglesias „El dia de la bestia“ oder José Luís García Sánchez’ „Suspiros de España y Portugal“); stets steht es für eine isolierte, oft zurückgebliebene Gemeinschaft. In diesem Kontext wirkt Barreas Film merkwürdig antiquiert und verweist weniger auf Almodóvar als auf den spanischen Film der 50er-Jahre. Ein oft brachialer Humor paart sich mit einer gewissen Harmlosigkeit, wobei der Humor, der in den Zeiten der Franco-Diktatur oft eine allgemein verständliche Doppeldeutigkeit hatte, heute angestaubt wirkt. Durch „Kleine Sünden“ geistert ein Hauch „Don Camillo und Pepone“, selbst die Kritik am Klerikalen bleibt bieder, so, wenn Schwester Rufina vor der Flucht deklamiert: „Die Kirche kann doch nicht nur für die Männer da sein? Gott, der Papst, die Kardinäle, die Bischöfe: Männer! Und wir? Löffelbiskuits backen und beten?“ Ein Potpurri sympathischer Nebenfiguren garniert den Reigen, etwa eine uralte Nonne, die vom Balkon lauthals ihre Sorgen um das Essen herunterschreit, schwarzafrikanische Novizinnen, ein debiler Bursche und Bote als Faktotum des Klosters, eine alte Kleptomanin, die nachts die Monstranz vom Altar stiehlt, schließlich eine Schwester, die sich vom Heiland schwanger wähnt. Manchmal macht Barrea dann doch Anleihen bei Almodóvar, so, wenn die übergewichtige Schwester Fanny als Novizin in den Orden kommt, nachdem sie vorher bei den Hare Krishnas und anderen spirituellen Sekten war. Damit hat der Film zwar viele witzige Momente, insgesamt aber gelingt es ihm nicht, eine dauerhafte Stimmung aufzubauen: Ihm fehlt eine gewisse Eleganz im Rhythmus, die Inszenierung ist oft nur derb und stereotyp, ein Rosenkranz zahlloser Kalauer. Unentschlossen verharrt er zwischen satirischem Biss und humoristischem Biedersinn.
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