Die Polizistin (2000)

- | Deutschland 2000 | 97 Minuten

Regie: Andreas Dresen

Eine 27-jährige Polizeimeisterin tritt ihren neuen Dienst unter lauter männlichen Kollegen in Rostock an, wobei ihre Hoffnung auf einen beruflichen wie privaten Neuanfang mit der tristen Realität in ihrem neuen Umfeld kollidiert. Ein hervorragend inszeniertes, faszinierend authentisches, von einer hervorragenden Hauptdarstellerin geprägtes Sozialdrama, das sich selbst in den dunkelsten Momenten Optimismus und trockenen Humor bewahrt. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Universum Film/WDR
Regie
Andreas Dresen
Buch
Laila Stieler
Kamera
Michael Hammon
Schnitt
Monika Schindler
Darsteller
Gabriela Maria Schmeide (Anne) · Axel Prahl (Mike) · Jevgenij Sitochin (Jegor) · Katrin Saß (Frau Kubitschek) · Horst Krause (Albert)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Eine lange Fahrt durch Plattenbauten, Hochhäuser, die quadratisch angelegte Vorstadttristesse der ehemaligen DDR. Die 27-jährige Anne Küster fängt hier einen neuen Lebensabschnitt an: als Polizeimeisterin unter lauter männlichen Kollegen. Dabei hofft die sensible Frau, die durchaus kräftig zupacken kann, auch auf einen privaten Neuanfang: „Ich möchte mal wissen, ob’s die große Liebe wirklich gibt oder alles nur ein Roulettespiel ist.“ Doch Annes Illusionen verfliegen schnell, denn in ihrem neuen Umfeld ist sie mit allen Facetten menschlichen Elends konfrontiert. Geschrei, Auseinandersetzungen, kleinlicher Zank um eine Autobeule. Warum sie eigentlich zur Polizei gewollt hätte, fragt sie ihr Vorgesetzter: „ Ich habe gern etwas mit Menschen zu tun. Was Solides.“ Die Protagonistin bezaubert vom ersten Moment an durch die eigenwillige Mischung aus Entschlossenheit und Blauäugigkeit, die über ihre traurig-zweifelnde Miene irrlichtert. Wenn in kurzen Momenten ein glückliches Lächeln ihr Gesicht zum Strahlen bringt, wirken ihre Augen ebenso kindlich wie uralt und weise. Gabriela Maria Schmeide ist ein Glücksfall für den Film; für die ehemalige Schauspielerin des Berliner Ensembles war es die erste Filmrolle. Anne bewegt sich in ihrer neuen Umgebung wie Alice im Wunderland. „Wer Geld hat, zieht weg, wer keines hat, bleibt hier“, erklärt ihr Kollege Mike die Situation. Polizisten als Notpflaster für den sozialen Notstand: Familien und Ehestreit, der Hund, der aus dem Fenster flog. Da ist die verwirrte Greisin auf der Stadtautobahn, die immer wieder von der Streife ins Heim zurückgebracht wird, der zehnjährige Benny aus einer zerrütteten Familie, der im Supermarkt klaut. Polizeialltag zwischen abgenutzten Resopal-Büromöbeln und endlosen Streifenfahrten – bestimmt von zäher Bürokratie und der täglichen, mehr oder weniger sinnvollen Auseinandersetzung mit Gesetzesverstößen aller Art. „Du musst dir eine dickere Haut zulegen“, sagen ihre Kollegen immer wieder, aber Anne versucht auf ihre Art, intuitiv Gerechtigkeit zu schaffen – indem sie etwa eine gestohlene Geldbörse bei der heruntergekommenen Prostituierten einfach übersieht. Auch bei Benno erkennt Anne, dass er in seinem familiären Umfeld keinen Halt findet und beschließt, sich um ihn zu kümmern. Die Kollegen werden auf unterschiedliche Weise mit der täglichen grauen Routine fertig: Mike (Axel Prahl, ehemaliger Schauspieler des Berliner „Grips“-Theaters) mit flapsiger Jovialität; der dicke Albert (Horst Krause) als Vorkämpfer von Law and Order, der bei der Verbrechensbekämpfung einen fast psychotischen Jagdeifer an den Tag legt. „Die Polizistin“ erzählt von der grauen Routine des Polizeialltag: den abgewetzten Möbeln, der Neonbeleuchtung und einer Dusche für alle, während große und kleine Ereignisse fast beiläufig passieren, Verhaftungen, Verfolgungen. Der authentische Charakter des Films resultiert aus dieser Beiläufigkeit, die ihn wohltuend von herkömmlichen Polizeifilmen unterscheidet. Er idealisiert die Polizei keine Sekunde lang, verteufelt sie aber auch nicht. Man spürt, dass Anne die Jagd nach Verbrechern immer fragwürdiger wird. Ihre Sinnkrise verdichtet sich in einer Szene, in der sie keuchend hinter einem Tankstellenräuber her rennt, obwohl sie ihn längst aus den Augen verloren hat. „Die Polizistin“ ist auch ein Film über Sehnsucht nach Liebe und den Umgang mit dieser unerfüllten Sehnsucht – das Verhältnis Annas zu ihrem Kollegen Mike ist zwiespältig, sie fühlt sich von ihm angezogen, weiß aber, dass er Familienvater ist. Auch in ihrer Beziehung zu dem Russen Jegor spürt sie, dass sie die Barrieren nicht überwinden kann, die ihre Welten trennen. Vielleicht ist der Gedanke an Liebe aber auch so absurd wie die wackelnden Spielzeuge im Kaufhaus. Zwischen Plattenbauten und um eine Kaufhalle herum konstruiert der Film eine bedrückende kleine Welt und verfällt doch nie in depressive Larmoyanz, weil die Protagonisten auch in der auswegslosesten Situation mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Andreas Dresen ist ein faszinierend authentisches Sozialdrama gelungen. Geschichte und Kameraführung – Handkamera mit minimaler Beleuchtung – sind perfekt aufeinander abgestimmt; aber auch die Drehbuchautorin hat es verstanden, Spannungsbögen zu konstruieren und Handlungsstränge zu straffen, ohne sie in den Vordergrund zu spielen. Dabei bewahrt der Film selbst in seinen dunkelsten Momenten Optimismus und einen trockenen Humor. Es gelingt, auch die heruntergekommenste Nebenfigur als interessanten Menschen in seiner Würde darzustellen. Besonders dadurch vermittelt „Die Polizistin“ sozialen Realismus im besten Sinne.
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