Drama | Frankreich 1999 | 105 Minuten

Regie: Laetitia Masson

Eine junge Französin mit ausgesprochenem Faible für die Farbe Rosa reist nach Memphis, um einem älteren Sänger ihre Liebe anzutragen. Bestechend fotografiertes Drama, das in Analogie zur assoziativen Struktur seelischer Prozesse eine kaum überschaubare Fülle an Zeit- und Erzählebenen ineinander schachtelt, in denen es um Sehnsucht, Liebe und Abhängigkeit geht. Die konzentrierte, durch Musik und Schnitt akzentuierte Bildsprache geleitet in eine traumnahe Region, deren schwebende Bewegung über den filmischen Binnenraum hinaus drängt und zur visuellen Metapher psychischer Selbstbefragung wird. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
LOVE ME
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Ciné Valse/Canal +/Studio Images 6
Regie
Laetitia Masson
Buch
Laetitia Masson
Kamera
Antoine Héberlé · Georges Diane
Musik
John Cale
Schnitt
Ailo Auguste
Darsteller
Sandrine Kiberlain (Gabrielle Rose) · Salomé Stévenin (Gabrielle als Kind) · Johnny Hallyday (Lennox) · Jean-François Stévenin (Carbonne) · Aurore Clément (Gabrielles Mutter)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Diskussion
Manchmal ist ein Anfang kein Anfang, weil etwas längst begonnen hat, bevor es wahrgenommen wird - wie es im Grunde überhaupt schwierig ist, Dinge oder Ereignisse auf eine erste Ursache zurückzuführen. Im Leben und erst recht in der Kunst behilft man sich deshalb mit pragmatischen Lösungen, weshalb das erste Wort in einem Buch oder die Eingangssequenz eines Films oft nicht mehr als einen zeitlichen Beginn markiert, dessen Platz im Ganzen sich erst vom Ende her bestimmt. Im Falle von „Love Me“, Laetitia Massons drittem Spielfilm, reicht auch dies kaum aus, dürfte es doch selbst versierten Cineasten schwer fallen, den betörenden Fluss der bestechenden CinemaScope-Bilder nach der ersten Sichtung in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. Zu rätselhaft scheint hier eine nur schwer bestimmbare Anzahl von Zeit- und Erzählebene ineinander geschachtelt zu sein, die alle um „Le Giraffe“ Sandrine Kiberlain kreisen, den Schwarm nicht nur der deutschen Filmkritiker. Massons Statement im Presseheft, dass es in „Love Me“ nichts zu verstehen, dafür aber umso mehr zu empfinden gäbe, ist durchaus keine Koketterie, sondern umschreibt eine der Psychoanalyse geschuldete Codierung, deren assoziatives Verfahren den Film strukturiert. Wie der Hauptfigur drohen auch dem Zuschauer die Sinne zu schwinden, wenn er inmitten der Fragmente, Töne und Erinnerungsfetzen verkrampft nach manifesten Bedeutungen sucht, wo Schwarzblenden oder unvermittelte Übergänge, Doppelgänger und Phantomfiguren doch deutlich auf die Region des Traumes verweisen und sich im Laufe des Films auch die Couch eines Therapeuten als die „realste“ Ebene anbietet. Auf eine solche „Entschlüsselung“ allerdings legt der Film keinen Wert, der mit einer „magischen“ Eröffnung anhebt und den Zuschauer mit ins Dickicht der Sehnsüchte und Abhängigkeiten zieht Aus einem Wohnwagen an einer einsamen, lichtüberfluteten Steinküste steigt eine hochaufgeschossene Gestalt im rosaroten Morgenrock und mit Lockenwicklern im Haar, die zu den Klängen von Elvis’ „Heartbreak Hotel“ auf den Zuschauer zutänzelt und ihn linkisch-lasziv umgarnt. Am Ende des Liedes verschwindet sie wieder in ihrer fahrbaren Unterkunft, deren Wände mit Bildern von Johnny Hallyday tapeziert sind, dem sie später als Sänger namens Lennox in Memphis, Tennessee, begegnen wird. Ein Art Prolog, könnte man meinen, weil erst in der Folgesequenz der Titelimperativ in ebenfalls rosaroten Lettern dieselbe Frau rahmt, die mit den Rücken zum Publikum in der Ferne auf einer Mole steht: „Love Me“, liebe mich! Wer der Adressat dieser Aufforderung ist, bleibt vorerst offen, weil die dritte Einstellung in einem Waisenhaus spielt, aus dem ein Mann mit einer Pistole ein rotblondes Mädchen entführt, das auf den Namen Gabrielle Rose hört und ein ausgefallenes Faible für die Farbe Rosa hat. Aus beiläufig eingestreuten Dialogzeilen ist zu entnehmen, dass das Mädchen im Alter von sechs Monaten von ihr Mutter dort abgebeben wurde, die ihr gelegentlich aus Amerika Karten schrieb. So sprunghaft und assoziativ geht es in sorgsam komponierten Bildern weiter, wobei man sich schneller an die Diskontinuität von Raum und Zeit gewöhnt - ob eine Szene in Amerika oder Frankreich spielt, lässt sich selten eindeutig bestimmen - , als an die schleichende Verschiebung von Bedeutungen. So gewinnt beispielsweise die Mutter im Verlauf des Films immer deutlicher an Gestalt: anfangs nur ein verknittertes Foto, wirft sie bald lange Schatten, um schließlich mit Kiberlain und Hallyday an einem Tisch zu sitzen. Mehr noch: Kiberlain scheint die Fluchtbewegung der Mutter zu wiederholen, wenn auch sie nach Amerika fährt, um einen älteren Sänger ihre Liebe hinterher trägt. Einmal sieht man dabei das Mädchen, die Tochter und die Mutter in einem Bild. „Meine Geister“, nennt Kiberlain ihre Begleiterinnen, womit sie der Wahrheit ziemlich nahe kommt: alle Erscheinungen sind Produkte ihrer seelischer Energie, psychische Projektionen im Kunstraum des Kinos - wobei die Frage, welches Bewusstsein letztlich Träger dieser (Bild-)Erinnerungen ist, das filmische Rätsel wie dessen Rezeption vorwärts treibt. „Love Me“ ist ein Film, dessen „Handlung“ sich nur um den Preis massiver Fälschung „beschreiben“ lässt, weil es eigentlich keine kausale Verknüpfung der Sequenzen gibt. Dass sich auf der Ebene der Montage dennoch ein „narrativer“ Zusammenhang aufdrängt, liegt an der außergewöhnlichen Qualität der Bilder, die seltsam leer und dennoch konzentriert und artifiziell wirken; meistens folgt eine fast unbewegliche Kamera dem Geschehen aus der Halbdistanz, auch Schnittrhythmus und Musikauswahl verstärken das Eindruck, als diktiere eine unumstößliche Dramaturgie jede Brechung und jeden Lichtreflex. Das Ergebnis ist ein Fluss gestalteter Assoziationen, der im filmischen Binnenraum einen Art seelischen Reifungs- oder Lösungsprozess skizziert: wie aus der puppenhaften Maske einer in Rosarot erstarrten Frau das bezaubernde, immer noch ein wenig mädchenhafte Strahlen Sandrine Kiberlaines erwächst, die in braune Erdtöne gekleidet, am Ende die Bretagne, Graceland und Memphis hinter sich gelassen hat und in Taipeh landet. Es ist nicht zuletzt auch eine Befragung popkultureller Elemente, insbesondere der Lovesongs und ihrer changierenden Funktion zwischen Trost, Verheißung und Illusion. Wer sich als Zuschauer der schwebenden Bewegung des Films anvertrauen kann, gerät unter Umständen in einen seltsam aufgekratzten Wachzustand, in dem die schlingernde Vergewisserung der Hauptfigur über den Film hinaus drängt und zur visuellen Metapher einer Selbstbefragung wird. Denn was in der Kunst gilt, hat meist auch im Leben seine Berechtigung: jeder Anfang, jede Entscheidung muss eingeholt werden, wenn man dessen (Un-)Tiefen ausloten will. Nicht zuletzt gilt dies wohl auch für Laetitia Masson, die von „Haben (oder nicht)“ (fd 32 323) über „Zu Verkaufen“ (fd 33 736) einen weiten inhaltlichen wie formalen Weg hinter sich gebracht und ihre Trilogie über „Arbeit, Geld und Liebe“ damit abgeschlossen hat. Eine junge Französin, die ein ausgesprochenes Faible für die Farbe Rosa hat, reist in die USA nach Memphis, Tennessee, um einem älteren Sänger ihre Liebe anzutragen. Bestechend fotografiertes Drama, das in Analogie zur assoziativen Struktur seelischer Prozesse eine kaum überschaubare Fülle an Zeit- und Erzählebenen ineinander schachtelt, in denen es um Sehnsucht, Liebe und Abhängigkeit geht. Die konzentrierte, durch Musik und Schnitt akzentuierte Bildsprache geleitet in eine traumnahe Region, deren schwebende Bewegung über den filmischen Binnenraum hinaus drängt und zur visuelle Metapher psychischer Selbstbefragung werden kann. Sehenswert
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