Durch ihre engagierte Arbeit als Kindermädchen bei einer chassidischen Familie lernt eine junge Holländerin, deren Eltern Anfang der 70er-Jahre noch immer unter den schrecklichen Erfahrungen des Nationalsozialismus leiden, daß diese Vergangenheit auch ihr Leben bestimmt. Das Regiedebüt des Schauspielers Jeroen Krabbé macht deutlich, wie wichtig die Konfrontation mit den dunklen Seiten der Erinnerung und der eigenen Herkunft ist, um über sie hinaus zu Verantwortung in der Gegenwart zu gelangen. Der Film leidet jedoch unter einer verkrampft wirkenden Schauspieler-Führung und einer eher unglücklichen Besetzung. Die aufgesetzt wirkende Melodramatik nimmt der humanen Botschaft viel von ihrer Vitalität.
- Ab 12 möglich.
Kalmans Geheimnis
Drama | Niederlande/Belgien/USA 1997 | 100 Minuten
Regie: Jeroen Krabbé
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Filmdaten
- Originaltitel
- LEFT LUGGAGE
- Produktionsland
- Niederlande/Belgien/USA
- Produktionsjahr
- 1997
- Produktionsfirma
- Shooting Star Filmcompany/Favorite Film/Flying Dutchman Productions
- Regie
- Jeroen Krabbé
- Buch
- Edwin de Vries
- Kamera
- Walther van den Ende
- Musik
- Henny Vrienten
- Schnitt
- Edgar Burcksen
- Darsteller
- Laura Fraser (Chaja) · Isabella Rossellini (Frau Kalman) · Maximilian Schell (Chajas Vater) · Marianne Sägebrecht (Chajas Mutter) · Jeroen Krabbé (Herr Kalman)
- Länge
- 100 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 12 möglich.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Der Ausdruck „politisch korrekt“ und die durch ihn gekennzeichnete Einstellung werden eines Tages wahrscheinlich als eine typische Erscheinung der 90er Jahre gelten. Einer Zeit, in der politisch-moralische Überzeugungen, ihres eigentlichen Sinns und ihrer Konsequenzen oft entledigt, mediengerecht zur Schau getragen und unverhohlen Sympathie erheischend eingesetzt wurden. Nicht zuletzt auch in der Kunst und allemal im Kino. Daß „politisch korrekte“ Filme natürlich nicht nur durch das kalkulierte Schielen auf Mehrheitsfähigkeit zustande kommen, sondern schlicht auch durch (zuviel) guten Willen, ändert nichts an der eher negativen Konnotation des Begriffs, der eine besondere Art von „Stromlinienförmigkeit“ beschreibt, die schon manchem Film zum Verhängnis wurde.So verhält es sich auch mit Jeroen Krabbés Film „Kalmans Geheimnis“, in dem ein jüdischer Mann in den frühen 70er Jahren in Antwerpen seiner Vergangenheit (in Gestalt zweier im Krieg auf der Flucht vergrabener Koffer) nachspürt, während seine junge Tochter gerade die Bedeutung ihrer jüdischen Herkunft für sich entdeckt. Ohne Sinn zu haben für die – jeweils ganz unterschiedliche – Auseinandersetzung ihrer Eltern mit den Schatten der Vergangenheit – der Vater unermüdlich, fast zwanghaft auf der Suche, die Mutter ständig Kuchen backend –, gibt sich Chaja ganz dem revolutionären Treiben ihrer Kommilitonen und der Liebe hin. Um sich vom Elternhaus zu emanzipieren und eigenes Geld zu verdienen, stellt sie sich bei einer chassidisch-jüdischen Familie namens Kalman als Kindermädchen vor. Zunächst ist sie von den strengen Ritualen im Hause Kalman, die Chajas Idealen so gar nicht entsprechen, abgestoßen und will den kaum geschlossenen Kontakt abbrechen. Doch das süße Lächeln des fünfjährigen Simcha, der aus unerfindlichen Gründen das Sprechen verweigert, bewegt sie doch zum Bleiben. Natürlich nimmt Chaja sich des kleinen Jungen an und bringt ihn mit der ihr eigenen Unschuld zum Sprechen. Natürlich kreuzt sie mit Simchas despotisch wirkendem Vater die Klingen, der den Kleinen mit seiner überharten Erziehung innerlich erzittern läßt, und damit nur seine eigene, viele Jahre zurückliegende (Todes-)Angst weiterreicht. Denn Kalmans Geheimnis ist nichts anderes als die Erinnerung an schreckliche Ereignisse, die er selbst als Junge (und verfolgter Jude) erleben mußte. Und natürlich verschleudert Chaja ihre jugendliche Energie am Ende nicht mehr revoltierend auf der Straße, sondern setzt sie im Kampf gegen einen unverbesserlich rassistischen Hausmeister ein, selbst gegen den Rat von Simchas resignierter Mutter.Man weiß nicht so recht, ob man den Mut bewundern soll, mit dem Isabella Rossellini als verhärmte orthodox-jüdische Mutter (unglücklich) gecasted wurde, oder ob man diese Wahl nicht besser in Bausch und Bogen kritisiert. Eher glaubt man ihrer Mutter Ingrid Bergman die Darstellung einer Nonne als dem Fotomodell, trotz aller Zurückgenommenheit, die Verkörperung einer Frau jenseits aller Emanzipationsbewegungen. Ähnliches gilt für die Besetzung der Rolle von Chajas Mutter mit Marianne Sägebrecht. Doch letztlich liegt es nicht einmal an der kuriosen multinationalen Besetzung und der (im Original) furchtbaren sprachlichen Mixtur allein, daß der Euro-Film zwar nichts unversucht läßt, die Gefühle des Zuschauers zu bewegen, dabei aber ein Kalkül und eine Vorhersehbarkeit offenbart, die ihm viel von seiner Überzeugungskraft rauben. Der international bekannte Schauspieler Jeroen Krabbé („Der vierte Mann“, fd 30 442, „Auf der Flucht“, fd 25 007) wollte in seinem Spielfilm-Debüt als Regisseur offenbar ganz auf „Nummer Sicher“ gehen. Das Ansinnen des Films ist gewiß lobenswert, deutlich zu machen, daß die Erfahrungen und das Leid der Vergangenheit längst nicht abstrakte Geschichte geworden sind, sondern bis in die Gegenwart hinein ihre lebendige Bedeutung haben. Die Botschaft wird dem Zuschauer aber mit übertriebener Melodramatik und schluchzenden Geigen fast schaufelweise entgegengeschleudert, so daß darunter der ganze Film, seine Vitalität und leider auch die humane Botschaft leiden. Als sei die Tragödie hinter der Geschichte des Films und seiner Figuren nicht schon grausam genug, muß das Drehbuch noch einen letzten, in seiner Aufgesetztheit fast billig wirkenden Akzent setzen, den auch das Tremolo der Geigen nicht erträglicher macht. Im Gegenteil.
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