Dokumentarischer Spielfilm über eine erwerbslose Künstlerfamilie in Peking, die orientierungs- und hilflos auf gesellschaftliche und persönliche Abgründe zusteuert. Der illegal inszenierte Film zeichnet in illusionslos-kalten Farben das Bild einer Gesellschaft, die ihre Werte verloren hat und deren Führung den Menschen auch die kleinste Hilfestellung verweigert. Ein verstörender Film, der an privaten Schicksalen den kulturellen und gesellschaftlichen Zustand Chinas schonungslos offenbart. (O.m.d.U.)
Söhne (1995)
- | VR China 1995 | 90 Minuten
Regie: Zhang Yuan
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Filmdaten
- Originaltitel
- ERZI | SONS
- Produktionsland
- VR China
- Produktionsjahr
- 1995
- Produktionsfirma
- Beijing Expression Culture Communication Center
- Regie
- Zhang Yuan
- Buch
- Ning Dai
- Kamera
- Zhsng Jian · Sun Hongqing
- Schnitt
- Fen Sihai
- Darsteller
- Li Maojie (Vater) · Fu Derong (Mutter) · Li Ji (Sohn)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
Diskussion
Der nach seinen sozial- und ideologiekritischen Filmen „Mama“ (1990), „Peking Bastards“ („Beijing zazhong“, 1993) und „Der Platz“ („Guangchang“, 1995) in seiner Heimat mit einem Berufsverbot belegte Regisseur Zhang Yuan (geb. 1963) gilt als international erfolgreichster Filmemacher des jungen unabhängigen Kinos in China. Noch bevor sein jüngster, überwiegend mit Mitteln des niederländischen Hubert Bals Fund entstandener Film „Ostpalast, Westpalast“ (Donggong, xigong“, 1997) demnächst in die deutschen Kinos kommt, strahlt 3sat in seiner Reihe „Im Schatten von Tiananmen“ Zhangs 1995 ebenfalls in der Illegalität entstandenes Vorgängerwerk in deutscher Erstaufführung aus. Bereits 1996 war „Söhne“ auf dem Rotterdamer Filmfestival mit einem „Tiger Award“ ausgezeichnet worden. Der mit äußerst geringem Budget entstandene, zu großen Teilen in einer Pekinger Mietwohnung spielende Film, dessen wenige Außenaufnahmen unter großen persönlichen Risiken der Filmcrew nur mit überwiegend versteckter Kamera entstehen konnten, zeichnet in unprätentiösen Bildern ein erschreckendes Bild der Entwicklungen in der postsozialistischen Gesellschaft Chinas. „Söhne“ erzählt die Geschichte einer realen Pekinger Künstlerfamilie, die von den Betroffenen selbst dargestellt wird.Das ehemals gefeierte Tänzerpaar Li Maojie und seine Frau Fu Derong sind nach Beendigung ihrer Karriere in ein Loch gefallen, in dem ihre persönlichen Probleme mit denen der gesellschaftlichen Entwicklungen in den 90er Jahren kulminieren. Derong verdient den Lebensunterhalt der Familie mit gelegentlichen Tanzstunden, während sich Maojie angesichts der Aussichtslosigkeit seines Daseins immer mehr dem Alkohol hingibt. Auch Li Ji und Li Wei, die beiden inzwischen erwachsenen Söhne der Familie, sind ohne Arbeit und Perspektiven. Um der sich zuspitzenden Spannung innerhalb der eng aufeinander hockenden Familie und den ständigen Streitereien der Eltern zu entgehen, verbringen beide ihre Tage, indem sie durch die Stadt ziehen und sich mit Alkohol, Drogen und Sex kurzfristige, mit einem faden Nachgeschmack versehene Ablenkungen von ihrem tristen Alltag verschaffen. Damit bewegen sie sich unweigerlich auf denselben Abgrund zu, in den bereits ihre Eltern gestürzt sind, die in Anbetracht der Pekinger Wohnungsmisere auch nach ihrer Scheidung noch gezwungen sind, gemeinsam unter einem Dach zu leben.Die Familie, einstmals großartiges Ideal und auch von den Kommunisten selbst in ihren zerstörerischsten Kampagnen niemals ernsthaft in Frage gestellte wichtigste Einheit konfuzianischen Sozialdenkens, ist endgültig auseinandergebrochen, wie auch den Beteiligten spätestens bei einer nächtlichen Prügelei zwischen Li Ji und seinem Vater klar wird. In derartigen Ausbrüchen entlädt sich die gesamte Wut auf ihre Lebensumstände und die innerhalb der Familie angestaute Frustration, ohne dadurch allerdings eine Änderung herbeiführen zu können. Li Maojie muß schließlich in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden. Dies ist die einzige Lösung, die die Gesellschaft den Opfern einer politischen Entwicklung noch anzubieten imstande ist, die den ökonomischen Aufschwung in den Vordergrund ihrer Bemühungen stellt, dabei aber – unter anhaltender ideologischer Repression – dem einzelnen keine Chance einräumt, sich selbst, seine Fähigkeiten und Vorlieben adäquat zu entwickeln. Hinzu kommen, wie an Hand des vordringlichen Problems der Erwerbslosigkeit eindringlich geschildert wird, die zunehmenden sozialen Mißstände in der chinesischen Gesellschaft, die noch vor einigen Jahren mit Vollbeschäftigung und dem System der „Eisernen Reisschüssel“ hat aufwarten können. Diese Form sozialer Absicherung ist inzwischen ohne den Übergang einer Moderne, wie sie sich in Europa vor allem durch Versicherungssysteme auszeichnete, in eine angesichts mangelnder gesellschaftlicher Werte für das Individuum kaum faßbare zweite Moderne ohne Auffangnetze übergegangen. Damit ist eine Situation entstanden, die den Menschen jede Möglichkeit zur Bestimmung ihrer kulturellen und sozialen Identität nimmt und ein Zurechtfinden in der ziellos nach einem imaginären Fortschritt strebenden Gesellschaft unmöglich macht. „Söhne“ ist mit seinen illusionslos-kalten Bildern, die auf jede Schönfärberei verzichten, sicher kein unterhaltsamer, vielmehr ein verstörender Film, der das propagandistische Genre des „Dokumentarspielfilms“ durch die Verwendung einer beobachtenden, niemals aber teilnehmenden Kamera kritisch zitiert. Ein Film, der mehr über den kulturellen und gesellschaftlichen Zustand Chinas aussagt als die meisten anderen Dokumente, die derzeit von dort zu uns dringen.
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