Loss of Sexual Innocence

- | Großbritannien 1998 | 106 Minuten

Regie: Mike Figgis

Die Geschichte eines ethnografischen Kameramannes, der nur vorgeblich Verständnis für fremde Kulturen aufbringt und auch in seinem Liebesleben von Zwängen geplagt wird. Eine in Bilder und Anekdoten aufgelöste Reflexion über den Verlust von Unschuld, wobei sich in der scheiternden Geschlechterkommunikation auch das Unvermögen zu interkultureller Verständigung spiegeln soll. Der symbolüberfrachtete, in seinem Aussagegehalt mitunter banale Film scheitert weitgehend an seinem Anspruch. So aufdringlich wie die ausschweifende Darstellung des biblischen Sündenfalls wird auch die in ihrer Verkürzung problematische Botschaft vermittelt. (Videotitel: "The Loss of Sexual Innocence")
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Filmdaten

Originaltitel
LOSS OF SEXUAL INNOCENCE
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Red Mullet Prod./Summit Entertainment/Newmarket Capital Group
Regie
Mike Figgis
Buch
Mike Figgis
Kamera
Benoît Delhomme
Musik
Mike Figgis
Schnitt
Matthew Wood
Darsteller
Julian Sands (Nic als Erwachsener) · Saffron Burrows (Zwillinge) · Stefano Dionisi (Luca) · Kelly MacDonald (Susan) · Gina McKee (Susans Mutter)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
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Diskussion
Ein nackter Schwarzer steigt aus den Fluten eines Sees im goldgelben Abendlicht, entdeckt eine weiße Frau, zaghaft nähert man sich einander an. Eine Schlange bewacht einen Strauch mit einer verlockenden, allerdings wenig bekömmlichen Frucht. Die Geschichte von Adam und Eva strukturiert in kurzen Segmenten diesen episodenhaften Film. Am Ende werden beide von den Polizisten eines offenbar auf Apartheid bedachten Staates aus dem Paradies vertrieben und in eine Großstadt gejagt. Ein leuchtendes Neonkreuz adelt das rassistische Treiben im Hintergrund, während eine neugierige Fotografenmeute das Paar zwingt, seine Nacktheit schamhaft zu verbergen. Schon in Figgis’ „One Night Stand“ (fd 32 757) stand eine „interracial love story“ im Mittelpunkt, die der äußeren Moral stets ein Moment der Unschuld voraus hatte. „Loss of Sexual Innocence“ stellt westliche Sexualmoral und die daraus resultierenden Vorstellungen von Schuld und Unschuld in den Kontext einer Kolonialismus-Diskussion: Kann sich die europäische Kultur anmaßen, andere Kulturen auch nur in Ansätzen zu verstehen? Ist die Vorstellung einer Völkerverständigung bereits eine Anmaßung angesichts der unüberwindlichen Gegensätze? Und, diese Verkürzung scheint bei Figgis erlaubt, wie könnte diese gelingen, wenn sich nicht einmal die Geschlechter untereinander verstehen? Adam und Eva überstehen den Verzehr der verbotenen Frucht mit Ausschlag und Bauchschmerzen. Die Vertreibung aus dem Garten Eden besorgen die üblen Kräfte einer falschen Moral, die sie zwingt, ihre Unschuld zu verleugnen.

In der durch Rückblenden und Traumsequenzen unterbrochenen Haupthandlung entflieht ein Kameramann ethnografischer Filme einem Streit mit seiner Frau, um zu Dreharbeiten nach Tunesien zu reisen. Man hat zu diesem Zeitpunkt bereits einiges über sein Seelenleben erfahren: Mit 16 Jahren wird er bei Liebesspielen vom Vater seiner Geliebten überrascht, der kurz darauf stirbt. Als er sie auf der Trauerfeier trösten will, ertappt er sie mit einem anderen Mann. Noch als Erwachsener ist er von Albträumen geplagt: Ein Homosexueller verfolgt und ermordet ihn, als er sich zur Wehr setzt. Nach dieser Lektion in Psychologie darf man ihn als homophob einschätzen, was wohl seine Sorglosigkeit erklärt, mit der er dem Tonmann des Filmteams die Geliebte ausspannt. Auch aus der Vorgeschichte dieser Frau war bereits in einer Rückblende erzählt worden: Als Baby war sie von ihrer Zwillingsschwester getrennt und zur Adoption freigegeben worden. Erst unmittelbar vor den Dreharbeiten stößt er mit ihrer in England aufgewachsenen Schwester auf dem römischen Flughafen zusammen. So wenig dieses Schicksal auf den ersten Blick mit der aktuellen Handlung zu tun hat, so wichtig erscheint es in Figgis’ Inszenierung: Wie Kieslowski in „Die zwei Leben der Veronika“ (fd 29 208) unterlegt er die Zeitlupenaufnahmen des Treffens mit den lyrischen Klängen einer Sopranistin. Als der Tonmann, der den Liebesakt der beiden mit einem Richtmikrofon aufgenommen hat, sie mit der Aufnahme konfrontiert, kommt es zum Streit. Derart abgelenkt, überfahren sie einen Beduinenjungen. So kundig und tolerant der Protagonist kurz zuvor noch von den Riten ferner Kannibalen erzählte, so hilflos tritt er nun der blauverhüllten Menschenmenge gegenüber, die für den Verlust ihres Angehörigen ein Mitglied des Filmteams fordert. Die Frau bietet sich als Pfand an, doch während man sich auf den Weg macht, ist sie bereits das Opfer blutiger Vergeltung geworden.

Der von Figgis konstatierte Sündenfall wird als Relikt des Kolonialismus gewiß ewig ein wirkliches Verständnis unter den Kulturen verhindern. Die Verbindung dieses Themenkomplexes mit einem Diskurs über den Niedergang moderner Sexualmoral ist allerdings problematisch: Die Angst vor dem Fremden mag sich beim Protagonisten mit Homophobie und Respektlosigkeit verbinden; ist dies aber ein so interessantes Charakterbild, daß man es derart exponieren müßte oder gar in den Kontext eines behaupteten generellen Unschuldsverlustes stellen kann? Man könnte es diskutieren, verleidete einem nicht Figgis’ kunsttümelnder Regiestil die Beschäftigung damit. Schon der Moment, indem sich Adam und Eva staunend gegenseitig beim Wasserlassen zusehen, ist albern in seiner Verwechslung von Unschuld und Naivität. Die Traumsequenzen überzeugen in ihrer Plakativität ebenso wenig wie die Angewohnheit, fortlaufende Einstellungen mit Abblenden zu durchsetzen. Tatsächlich scheint Figgis sehr genau die Arbeiten Bill Violas studiert zu haben, dessen Hohelied auf den Lebenskreislauf zwischen Geburts- und Sterbeszenen er weitergibt (die langen Baby-Szenen der Zwillingsschwestern wirken wie ein direktes Zitat). Nur in einer Szene gelingt Figgis ein Bild für das Unvermögen zu verstehen: Der Versuch, einer Blinden zu helfen, endet damit, daß die Helfende mit dem Blindenstock verprügelt wird – ein prägnantes Bild für die Unfähigkeit, in jeder Situation zu helfen und die Grenzen zwischen den Lebensformen überwinden zu wollen.
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