Die kritische Masse - Film im Underground Hamburg '68

Dokumentarfilm | Deutschland 1998 | 110 Minuten

Regie: Christian Bau

Dokumentation über die Experimentalfilm-Euphorie in Hamburg gegen Ende der 60er-Jahre. Zahlreiche Filmausschnitte und aktuelle Interview-Passagen vermitteln ein lebendiges Bild vom damaligen Zeitgeist und rekonstruieren Aufstieg, Triumph und Niedergang einer ästhetischen Aufbruchstimmung. Bisweilen scheint die Perspektive ein wenig verengt, wenn sich der Film auf lokalpatriotische Reminiszenzen zurückzieht. Spannend wird er immer dann, wenn er quasi unter der Hand sein eigentliches Thema formuliert: das der Frage nach den Utopien, ihren Metamorphosen und Revisionen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Die Thede
Regie
Christian Bau
Buch
Christian Bau
Kamera
Barbara Metzlaff · Hanno Krieg
Musik
Alfred Harth
Schnitt
Ursula Höf
Darsteller
Bazon Brock · Hellmuth Costard · Werner Grassmann · Helmut Herbst · Andy Hertel
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Im Festkalender kulturgeschichtlicher Reflexion spielt das Jahr 1968 immer wieder eine herausragende Rolle; Euphorie und Resignation liegen im Rückblick freilich stets dicht beieinander. Christian Bau liefert mit seiner Dokumentation einen sehr speziellen Beitrag zu diesem vor allem für ein linkes Selbstverständnis so wichtigen Datum. Wie in der Unterzeile des Filmtitels bereits umschrieben, geht es um einen räumlich, zeitlich und thematisch streng abgegrenzten Bereich: Hamburg erlebt seine Reanimation als Schauplatz filmischen Ungehorsams in den auslaufenden 60ern, erfährt in diesem Zusammenhang auch, dies sei vorweggenommen, seine unverhohlene Glorifizierung („Hamburg als schillerndes Zentrum der Avantgarde“). 30 Jahre später muß eine Bestandsaufnahme zunächst konstatieren, daß der damals erhoffte Anschluß an die Weltkinematografie nicht einmal ansatzweise gelungen ist, daß keiner der Protagonisten wirklich prägende Spuren in der Filmgeschichte hinterlassen hat. So blieb Hellmuth Costard z.B. doch nur „Der kleine Godard“ (Filmtitel von 1976, fd 21 023).

Knokke (Belgien), Jahreswechsel 1967/68: Im winterlichen und damit touristenfreien Seebad präsentiert P. Adam Sidney erstmals in Europa Beispiele des „New American Cinema“ und vermittelt einen unmittelbaren Eindruck der Kontinuität filmischer Avantgarde, wie sie sich in den Arbeiten aus Nordamerika formulierte. Unbesehen kann dieses Ereignis als Initialzündung für einen Aufbruch in Europa verstanden werden, als Signal dafür, daß man sich mit den eigenen Ideen nicht allein auf weiter Flur befand, daß sich eine lebendige Tradition der ästhetischen Verweigerung nachweisen ließ. Ermuntert von dieser Botschaft, machte sich eine Handvoll hanseatischer Enthusiasten daran, vor Ort einen Brückenkopf für die filmische Moderne einzurichten. Werner Grassmann, bis heute unermüdlicher Betreiber des Programmkinos „Abaton“, mietete in der Bäckerstraße 5 das Ladenlokal eines kurz vorher ermordeten Pfandleihers an, gründete dort seine legendäre „Filmmacherei“, Heimstatt der wenig später ins Leben gerufenen „Hamburger Filmcoop“. Binnen kurzem avancierte diese Adresse zum Kulminationspunkt zahlloser filmischer Aktivitäten. Aber bereits Ende 1969 war der Stern der lokalen Avantgarde im Sinken begriffen: Aufgerieben in komplizierten Flügelkämpfen, blieben zuletzt nur noch banale Schuldzuweisungen und sehr konkrete Faustkämpfe. Nominell noch bis Mitte der 70er existent, war der anfängliche Gruppengeist schnell aufgebraucht.

Die Dokumentation besticht durch ihre Materialfülle, vermittelt durch die Kombination zahlreicher Filmausschnitte mit aktuellen Interviewpassagen ein lebendiges Bild vom damaligen Zeitgeist und von den Absichten der einstigen Protagonisten (die heute Professoren, Beamte oder Pensionäre sind). Kritische Distanz formuliert sich in dieser Rekonstruktion einer hochspezifischen kulturellen Identität allerdings nur über Umwege. Vielleicht stand der Filmemacher seinem Stoff einfach zu nah. Ein wenig zu lokalpatriotisch kommt das Ganze zudem daher; daß die Hamburger Euphorie nur im Kontext ähnlicher Aktivitäten zu verstehen ist (z.B. „P.A.P.“ in München oder „X-Screen“ in Köln), findet keinerlei Erwähnung, hätte den stark subjektiven Blick jedoch wohltuend relativieren können. Spannend wird es immer dann, wenn sich quasi unter der Hand das eigentliche Thema des Films formuliert: die Frage nach der Metamorphose von Utopien. Hier findet Bau bisweilen sehr subtile Metaphern. Wenn Hellmuth Costard im Moviepark Bottrop (unter einem großen Warner-Emblem sitzend) über die einstige revolutionäre Stimmung reflektiert, entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie. Lakonisch bemerkt hingegen Werner Grassmann: „Karriere hat niemand gemacht, selbst ich nicht.“ Christian Bau gereicht die Bescheidenheit gegenüber der eigenen filmischen Arbeit zur Ehre – er unterschlägt die Information, selbst zu den Protagonisten einer Idee vom „anderen Kino“ gehört zu haben (sein bizarrer Kurzfilm „Kubla Khan“ kann sogar als Klassiker durchgehen). Mit seiner Dokumentation und deren eher konventionellen Machart kommentiert er jedoch hinreichend die Phänomene der zurückliegenden Aufbruchstimmung.
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