Salopp gesagt, ist ein Ronin ein „arbeitsloser“ Samurai, jemand, der keinen Lehnsherrn mehr hat und der seiner Ehre verlustig wurde. Über den japanischen Kulturkreis hinaus sind jene 47 Ronin weltbekannt geworden, die ihre Treuepflicht im rituellen Massen-Selbstmord zum Ausdruck brachten. Eine Geschichte, die das japanische Theater nachhaltig beeinflußte und die zu den meistverfilmten der Weltliteratur zählt. John Frankenheimer bietet nicht gerade 47 Ronin auf, führt aber immerhin sechs Krieger ins Feld, die sich zwar nicht als Schwertkämpfer, dafür allerdings als ausgesprochene Nahkampfexperten empfehlen. Sie alle, Überbleibsel diverser Geheimdienste aus Ost und West, sind angetreten, um einen Koffer aus irgendeiner ominösen Quelle im Auftrag eines ebenso ominösen Geldgebers in ihren Besitz zu bringen. Es ist dies ein Geldjob, der eine gewisse Ehrhaftigkeit verlangt, doch die Tage der großen Männerfreundschaften und Loyalitäten sind Ende des Jahrtausends nun einmal gezählt: Jeder ist sich selbst der Nächste, und die Allianz geht nur immer so weit, wie das eigene Interesse reicht.Die zunächst verschworene Gemeinschaft schießt sich in Cannes, Nizza, Arles und Paris den Weg frei, produziert Leichen am laufenden Band und gelangt nach atemberaubenden Autoverfolgungsjagden endlich ans Ziel ihrer Träume. Hier aber muß sie erkennen, daß jeder irgendwie gegen jeden gearbeitet hat und daß der Koffer, auf den alle – Russen wie IRA – aus rätselhaften Gründen so scharf waren, letztlich niemanden interessiert. Er ist vielmehr ein „MacGuffin“ par excellence, der die ganze Geschichte an- und vorwärtstreibt, im Grunde aber nichts anders bewirkt, als eine exzellente Schauspieler-Riege zusammenzuführen, die sich im cineastischen High-Tech-Zeitalter zu einem wunderbar altmodischen Film zusammengefunden hat. Wobei das Wort „altmodisch“ keineswegs auf die vorgeführte Waffentechnik angewandt werden kann, denn sie bietet alles auf, was der moderne Markt an Handfeuerwaffen hergibt, was entsprechend genüßlich zelebriert und ausgestellt wird. Altmodisch ist der Film jedoch im Sinne des Gestus und Geistes, dem „Ronin“ entspringt. Nicht von ungefähr versteht John Frankenheimer seinen Film als eine Hommage an Jean-Pierre Melville, wobei er mit den Ehrenkodizes des klassischen Gangsterfilm-Genres nicht nur französischer Prägung spielt. Gewiß stellt er auch vieles in Frage, was den ungeschriebenen (Genre-)Gesetzen entsprach, baut unglaubliche Schlenker in die eigentlich schlichte Handlung ein, verblüfft durch immer neue Konstellationen und Koalitionen. Wenn zum Ende dann doch eine Freundschaft über jedes persönliche Taktieren siegt, ist auch dies Hommage und Handreichung an ein Genre, das es in dieser Ausformung im modernen Kino kaum noch gibt: Der perfekte Gangster würdigt den Kollegen, der wissende Blick erspart stundenlange Debatten.Hier lugt nicht der supercoole Tarantino-Gangster um die Ecke, sondern werden gediegen agierende kriminelle Handwerker vorgeführt, die nur als Team erfolgreich sein können, genau hierin jedoch auch ihre An- fälligkeiten haben. Alleine ist zwar jeder der Besten seines Faches, allein aber kann er in diesem Fall wenig ausrichten. Die Einbringung in ein Team ist unerläßlich, schwächt zugleich aber die eigene Souveränität. Ein Problem, mit dem auch schon Melvilles Vorzeige-Gangster Alain Delon konfrontiert war; an den Originaltitel von Melvilles Film „Der eiskalte Engel“
(fd 15 540) – „Le Samourai“ – lehnt sich „Ronin“ nicht nur im Titel an. Gestus und Haltung entsprechen diesem Film, auch wenn viel mehr – mitunter krampfhaft überflüssig – geballert und das Leben zahlloser unschuldiger Passanten in Kauf genommen wird. Auch die atemberaubenden Autostunts sind fast zum Selbstzweck geraten. Allerdings nur fast, denn zum einen knüpft Frankenheimer hier an einen seiner eigenen großen Erfolgsfilme an, an „French Connection II“
(fd 19 628), der ebenfalls in Frankreich spielte, zum anderen erweist er William Friedkin seine Hochachtung, dessen legendär gewordene Verfolgungsjagd aus „Brennpunkt Brooklyn“
(fd 17 686), dem ersten „French Connection“-Film um den Drogenfahnder Popeye Doyle, genüßlich und perfekt zitiert wird.Auch in diesem Punkt bleibt der Film altmodisch, die Stunts und Crashs sind „handgemacht“, keine Computereffekte, sondern solide Stuntarbeit, die zum Teil auch den hochkarätigen Darstellern abverlangt wurden. Warum der Film allerdings so starbesetzt ist, bleibt sein kleines Geheimnis, denn die engen Genrevorgaben lassen es kaum zu, daß ein Robert De Niro durch seine Schauspielkunst brillieren könnte; und auch Jean Reno, der augenblickliche Star des französischen Films, hat kaum Gelegenheit, mehr zu sein als der perfekte Profi-Gangster, der für jedes Problem eine Lösung findet. Aber vielleicht ist die Besetzungsliste dieses grundsoliden, spannenden Films ja auch sein eigentlicher Gag. Ein Film im übrigen, der es sich leisten kann, die zweifache Olympia-Gewinnerin Katarina Witt für einen Kurzauftritt als russische Eiskunstlauf-Diva zu verpflichten und zum Abschuß freizugeben.