Smoke Signals

Western | USA 1998 | 89 Minuten

Regie: Chris Eyre

Zwei sehr unterschiedliche Jugendliche aus einem Indianer-Reservat in Idaho machen sich auf eine Reise nach Arizona, um die sterblichen Überreste des Vaters von einem der beiden in die Heimat zu holen. Klassisches Roadmovie, das von einer authentischen Atmosphäre getragen wird und unaufdringlich die Frage thematisiert, ob Schuld vergeben werden kann. Wie entspannt die Filmemacher dabei mit ihrer Herkunft umgehen, spricht von großer Souveränität und macht Hoffnung auf mögliche Potenzen eines indianischen Kinos. Auch die Spielfreude der Darsteller trägt zum positiven Gesamteindruck des Films bei. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SMOKE SIGNALS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Miramax/ShadowCatcher Entertainment
Regie
Chris Eyre
Buch
Sherman Alexie
Kamera
Brian Capener
Musik
BC Smith
Schnitt
Brian Berdan
Darsteller
Adam Beach (Victor Joseph) · Evan Adams (Thomas Builds-the-Fire) · Irene Bedard (Suzy Song) · Gary Farmer (Victors Vater) · Tantoo Cardinal (Victors Mutter)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Western | Road Movie | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: der unbeholfene Brillenträger Thomas und sein cleverer, gleichaltriger Freund Victor, Spielmacher des ortsansässigen Basketball-Teams. Die beiden Jugendlichen verbindet über ihr Alter und die Tatsache hinaus, daß sie noch nie ihre dörfliche Heimat verlassen haben, noch ein weiterer Umstand: Sie sind Indianer, Bewohner eines Reservates im Bundesstaat Idaho. Außerdem sind beide vaterlos bei Mutter bzw. Großmutter aufgewachsen. Als Victor eines Tages die Nachricht vom Tod seines Vaters in Arizona erhält, verlangt es die Tradition, daß er die sterblichen Überreste zurück in die Heimat holt. Eher widerwillig nimmt er Thomas’ Angebot in Anspruch, gemeinsam auf die Reise zu gehen. Da er pleite ist, bleibt ihm aber nichts anderes übrig; Thomas, von seinen Altersgenossen mitunter als „Medizinmann“ gehänselt, scheint nämlich ganz versessen darauf, seine gesamten Ersparnisse in das Unterfangen zu investieren. So kann das Abenteuer seinen Lauf nehmen. In den folgenden Tagen werden sich die beiden jungen Männer nach anfänglichen Hindernissen mehr und mehr annähern und schließlich feststellen, daß ihre Lebenslinien noch enger miteinander verwoben sind, als sie dies bisher vermuteten.

„Smoke Signals“ hat alles, was ein klassisches Road Movie braucht: zwei Protagonisten, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, schöne Landschaften, viel Musik. Die episodenhaft aufgefädelten Begegnungen und Zwischenfälle dienen zur differenzierten Charakterisierung der Helden, die äußere Handlung modelliert innere Strukturen. Was diese Ingredienzen aber erst zum Leben erweckt, hat „Smoke Signals“ auch. Nämlich eine pulsierend-authentische Atmosphäre und vor allem eine Botschaft. Der Film formuliert sie zudem unaufdringlich, transportiert sie nicht als Binsenweisheit, sondern eher als Frage: Ist es möglich, zu verzeihen? Kann man aus der von Generation zu Generation weitergetragenen, immer wieder unterdrückten und verdrängten Schuld ausbrechen? Victors Vater wird in Rückblenden als sympathischer, aber zu Jähzorn neigender Trunkenbold gezeichnet. Sein Alkoholismus war es einst, der zu einer Brandkatastrophe führte – und Thomas zum Waisenkind machte. Niemand im Dorf hat je die Ursachen des Brandes erfahren. Als hilfloses Zeichen seiner Sühne schnitt sich der Schuldige das lange Haar ab, verließ wortlos das Dorf und die geliebte Familie. Die Reise ins ferne Arizona, zum tristen Fluchtpunkt des geliebt-gehaßten Vaters, wird für Victor zur Initiation, zum endgültigen Abschied von der Kindheit. Obwohl sich Vater und Sohn nie wieder gesehen haben und Victor erst in Arizona die wahren, ihn schockierenden Hintergründe der Tat und auch Details über die Einsamkeit des Vaters erfährt, scheinen Versöhnung und Vergebung auf eine fast transzendente Weise möglich. Seinem Freund Thomas enthält Victor seine vagen Einsichten allerdings ebenso vor wie die Tatsachen ihrer gemeinsamen Vergangenheit – oder wußte dieser längst davon?

In den USA wurde „Smoke Signals“ als der „erste reine Native-American-Film“ („The Boston Phoenix“) gefeiert, d.h. als Produktion, die in den wesentlichen Positionen vor und hinter der Kamera ausschließlich von Indianern getragen wurde. Überaus sympathisch ist dabei, daß der Film ohne jeden Folklorismus auskommt. Sein Thema wäre zwar ohne die ethnische Färbung undenkbar, doch der Film geht damit nicht hausieren. Ganz selbstverständlich und mit einer großen Portion Understatement wird das alltägliche Umfeld der Helden gezeichnet. Die Ursünde der europäischen Invasoren – der Genozid an der amerikanischen Urbevölkerung – ist zwar allgegenwärtig und lebt auch in winzigen Details fort, fungiert aber nicht mehr als moralische Legitimation für den Film. Wie entspannt die Filmemacher mit ihrer Herkunft umgehen, spricht von großer Souveränität und macht Hoffnung auf mögliche Potenzen eines indianischen Kinos. Deshalb sieht man gern über gelegentliche dramaturgische Mängel hinweg (wie etwa die Rückblende innerhalb einer Rückblende). Auch die Spielfreude der Darsteller trägt zum positiven Gesamteindruck bei. Neben den beiden Helden sind vor allem Irene Bedard als Geliebte des Vaters (einst „Echt-Vorlage“ für Disneys Zeichentrick-Pocahontas) und Gary Farmer zu nennen. Letzterer spielt die zerrissene Vaterfigur in ihrer ganzen Bandbreite stilsicher aus. Farmer, der zuletzt als mysteriöser Indianer in Jim Jarmuschs „Dead Man“ (fd 31 716) brillierte, darf in „Smoke Signals“ einen Insider-Spaß ausspielen: Im Rahmen eines Saufgelages fragt er seinen damals noch kleinen Sohn Victor, wer denn sein Vorbild sei (und hofft natürlich, selbst genannt zu werden). Der Sohn aber antwortet zornig: „Nobody!“ (also „Niemand“). Den Namen „Nobody“ trug Gary Farmer bei Jim Jarmusch als Partner Johnny Depps. Bleibt abzuwarten, ob dieser ironische Querverweis auch noch nach der Synchronisation nachzuvollziehen ist.
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