Doris Dörries erster Band mit Kurzgeschichten hieß „Liebe, Schmerz und das ganze verdammte Zeug“, lakonisch-prägnante Texte, mit denen die Regisseurin 1987 die literarischen Wurzeln ihrer Komödienerfolge („Männer“, fd 25 432, „Paradies“, fd 25 849) offenlegte. In knappen Sätzen und einer spürbaren Lust an mal sarkastischen, mal liebenswerten Detailbeobachtungen umriß sie darin das Gefühlschaos von Zeitgenossen, die im Durcheinander von Ansprüchen, Sehnsüchten und Manien auf der Stelle traten. Das Buch gab nicht nur Auskunft über Dörries Lieblingssujets – Beziehungskisten im bürgerlichen, dezent alternativen Milieu – , sondern auch über die Reibungsverluste bei der Umsetzung der literarischen Fantasien auf Zelluloid. Bei aller ironischen Frische fehlte den Filmen die Leichtigkeit der kurzen Form, manchmal auch der bestechende Ton scheinbar mühelos hingeworfener Miniaturen. Solche Einbußen spürt man auch in Dörries jüngstem Film, der auf der gleichnamigen Sammlung tragisch-komischer Liebes- und Ehegeschichten beruht, und einen heiter bis melancholisch gefärbten Reigen um Treue und Verrat, Glück, Zufall, Sinn und Tod entfaltet.Sevilla und München, die flirrende Hitze Spaniens und das kühlere Klima Süddeutschlands bilden das Koordinatenkreuz, innerhalb dem Doris Dörrie die fragmentarischen Episoden in „Short cuts“-Manier zu einem vielschichtigen, wenngleich nicht immer gelungenen „Discours d’Amour“ verwebt. Ein beleibter deutscher Tourist liest irgendwo in Andalusien eine junge Frau am Wegesrand auf, die ihm ein Kärtchen mit der Aufschrift „Ich bin taubstumm“ in die Hand drückt. Er nimmt sie mit ins Hotel, gibt ihr zu Essen und fordert sie unmißverständlich auf, ihm den nackten Hintern zu versohlen. Im Zimmer nebenan dreht ein liebeskranker Schönling den Fernseher mit Janis Joplins „Cry, Baby, Cry“ auf volle Lautstärke. Seine Ex-Geliebte, die er via Handy mit Liebesschwüren überhäuft, friert derweil in einer Münchner Edelboutique. Eine Kundin will einen Kaschmirpulli kaufen, hat allerdings nicht genügend Bargeld zur Hand, weshalb sie nach Hause hastet, von ihrem Mann zum „Quickie“ genötigt wird, rechtzeitig aber vor Ladenschluß wieder aufkreuzt. Auf dem Heimweg zu ihrem Verlobten fährt die Verkäuferin, die in die nächsten Tagen heiraten will, einer kratzbürstigen Frau auf den Wagen, deren Freund bei einem Badeunfall ums Leben kam. In Spanien nimmt die Taubstumme Reißaus und landet im Auto und in den Armen eines Familienvaters, während der Schönling mit einem seltsamen Alten ins Gespräch kommt, der sich anschickt, die Urne mit den sterblichen Überresten seiner Frau in ihre deutsche Heimat zu bringen.So geht es mit wechselndem Tempo und unterschiedlichen Erzählperspektiven weiter, bis mehr als 20 Personen und deren Geschichten eingeführt sind: ein buntes, generationenübergreifendes Mosaik, dessen Komposition überraschende Figurationen enthält und durch ein wunderbares Schauspieler-Ensemble viel Farbe und Vitalität gewinnt. Die Titelfrage ist dabei nur eines von vielen Themen, die in der nuancenreichen Liebes- und Lebensynfonie anklingen. Dörrie gilt zwar als Komödienregisseurin; doch von Belanglosigkeit oder dem Kitsch des Genres war sie nie angekränkelt, was man vor allem an den mißglückten Szenen merkt – von denen es einige gibt. Die groteske Eingangssequenz mag noch als launige Einstimmung durchgehen; spätestens bei der obszönen „Quickie“-Nummer aber schwingt neben Peinlichkeit auch ein bitterernster Ton mit, der nach Tod riecht und nachhallt, wenn die Erfahrungen der Protagonisten eine nicht mehr relativierbare Grenze berühren. Wenn Maria Schrader partout das Hochzeitskleid von Anica Dobra überziehen will und erzählt, daß sie manchmal das Band mit der Stimme ihres toten Freundes in den Anrufbeantworter legt, hält man den Atem an – und erinnert sich an Helge Weindler, den langjährigen Kameramann und Lebensgefährten von Doris Dörrie, der während der Dreharbeiten zu „Bin ich schön?“ im Frühjahr 1997 plötzlich starb. Solche Momente, in denen existentielle Fragen im Raum stehen, tragen über die Schwachstellen und die bemühte Rahmenhandlung hinweg, die einen Großteil der Episoden miteinander zu verknüpfen versucht. Dabei muß es sich nicht notwendig um Verlust und Trauer handeln: Wenn Gottfried John im inneren Monolog über seine Ehe nachgrübelt, während er nackt auf seine Geliebte wartet, oder wenn Joachim Król und Nina Petri im Stau wortreich die Sprachlosigkeit ihrer Ehe bereden, gelingt es Dörrie nicht nur, Wort und Bild, Autorin und Filmemacherin in Einklang zu bringen, sondern dichte, ungeheuer intensive Szenen zu erzeugen, die für sich bestehen bleiben, auch wenn John anschließend in Blut watet und Król die schmollende Petri doch wieder herumkriegt. Die eigenartige Wirkung, die dieser schwer beschreibbare, weil widersprüchliche und uneinheitliche Kosmos von Liebes- und Lebensgeschichten hinterläßt, resultiert wohl aus dem Grundimpuls, der sich über die vielen Einzelfragmente hinaus vermittelt: die Last des Vergangenen fahren zu lassen, ohne sie verdrängen, und sich über die Zukunft nicht mehr als ein paar graue Haare wachsen zu lassen, weil Gegenwart nur in einer unendlichen Kette von Augenblicken exisitiert, die, wie das Glück, beim Schopf gepackt sein wollen.