plus-minus null

Drama | Deutschland 1998 | 84 Minuten

Regie: Eoin Moore

Alltagsbeschreibung aus dem Berlin unserer Tage, im Mittelpunkt ein junger Bauarbeiter, der ohne besonderes Ziel in den Tag hinein lebt und sich durch den Verkauf gestohlener Werkzeuge über Wasser hält. Der Film besticht durch seine einfache Geschichte, die ihre Personen in ihrem natürlichen Kontext belässt, und überzeugt vor allem durch seine Menschlichkeit, durch die ein alltägliches Umfeld in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Auch gestalterisch und darstellerisch überzeugend. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
dffb/ZDF/3sat
Regie
Eoin Moore
Buch
Eoin Moore
Kamera
Bernd Löhr · Eoin Moore
Schnitt
Eoin Moore · Dirk Grau
Darsteller
Andreas Schmidt (Alex) · Tamara Simunovic (Svetlana) · Kathleen Gallego Zapata (Ruth) · Matthias Schmidt (Matze) · Regine Seidler (Regine)
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Eine Geschichte aus dem ausgehöhlten Herzen Berlins, dort wo sich noch vor Monaten die Baukräne drehten, als der Potsdamer Platz lediglich aus Sand, Containern und Gruben bestand. „Ich heiße Alex, so wie der Platz“, präsentiert sich der schlaksige Protagonist. Alex ist ein Antiheld, ein Simplex mit Trabbi, ein Simplizius Simplizissimus in der erfrischenden Tradition des deutschen Schelmenromans. Alex ist Bauarbeiter, Urberliner, ein Tagedieb, der sich vor jeder Bindung, jeder Verantwortung und jeder Verpflichtung scheut. Er treibt ohne besonderes Ziel durch den Tag und überlebt mit dem Verkauf gestohlener Bauwerkzeuge: Alex Leben ist „plus-minus null“: Einnahmen und Ausgaben halten sich die Waage.

Eoin Moores dffb-Abschlussfilm erzählt eine einfache Geschichte - vom Hilfsarbeiter und zwei Prostituierten, der Bosnierin Swetlana und der ehemaligen Kindergärtnerin Ruth aus der DDR. Alle drei sind Randfiguren an der Baugrube der neuen Hauptstadt; sie wissen, dass sie vom neuen Berlin immer weiter an den Rand gedrängt werden: „He, da müssen wir uns aber schick machen, wa, wenn wir da einkaufen gehen - sonst lassen uns die Ärsche nicht ‘rin“, kommentiert Ruth sarkastisch mit einem Blick auf die zukünftigen Einkaufszentren. Eoin Moore erzählt erfrischend Unspektakuläres, nimmt die sozialen Verlierer nicht, wie so oft im deutschen Film, als dunklen Hintergrund für blutige Banküberfälle oder quälende Selbstfindungsprozesse. Er zeichnet aber auch nie das Abziehbild vom „edlen Armen“, inszeniert keinen verlogenen Sozialkitsch: „plus-minus null“ ist heute fast schon ein Klassiker, ein Film, der auf einer kleiner Digital-Kamera gedreht wurde, noch bevor der „Dogma“-Boom die Kinos erreichte. Er besticht durch seine Natürlichkeit, durch seine Alltäglichkeit und Authentizität. Das liegt zunächst an der Kamera, an der Flexibilität, mit der der Hintergrund der Geschichte und die authentischen Situationen zwischen Straßenstrich und Grossbaustelle eingefangen werden. Die Ästhetik passt zur Geschichte: kein großes Kino mit sozialem Hauch. Hier liegt der Vergleich mit „Das Leben ist eine Baustelle“ (fd 32 448) von Wolfgang Becker nahe, ein Film, der u.a. auch an der Differenz von sozialem Hintergrund und allzu glatten 35mm-Bildern krankte. Die besondere Art der Kamera unterstützt aber auch Moores besondere Art der Schauspielführung: Mit der Geschichte im Kopf, aber ohne Drehbuch ließ er die Schauspieler jede Szene ausspielen, zehn, 15 und 20 Minuten lang: „Das heißt, nicht nur die Szene, wie sie nachher im Film vorkommt, sondern am Drehort sehen wir das davor und danach. Die Schauspieler können dadurch auch viel authentischer spielen, weil sie unmittelbar erleben, was sie dann im Moment spielen. Die haben den Vorlauf und den Nachlauf von dem, was auf die Leinwand kommt.“ Der Erfolg der Methode ist offensichtlich, besonders bei Andreas Schmidt als Alex. Regisseur und Schauspieler entwickelten die Rolle gemeinsam, die Widersprüche und die Biografie der Figur - im Sinne des britischen Regisseurs Mike Leigh, der sagt, dass er eine Figur wie einen Eisberg aufbaue, von dem man im Film dann nur die Spitze sehe. Diese besondere Arbeit mit den Schauspielern führt zu der beeindruckenden Menschlichkeit der Figuren, jenseits der Plattitüden halbherziger Sozialklischees.

Auch was die Natürlichkeit des sozialen Kontexts betrifft, hat der Ire Eoin Moore Anleihen beim britischen und irischen Film genommen: „Ich bin mit britischen Filmen, mit britischen Schauspielern groß geworden. Die Filmhelden sind dort nicht Anwälte oder Ärzte, sondern beispielsweise die Frau an der Kasse bei Aldi, der Briefträger, der arbeitslose Taxifahrer, ganz normale Menschen. Leute, die alle kennen. Vielleicht nicht mehr die Filmproduzenten, die jeder Filmstudent und 90 Prozent des Publikums.“ Dieser Natürlichkeit des Sujets entspricht die naturalistische Darstellungsweise der Schauspieler - durchaus nicht die Regel im oft theatralisch agierenden deutschen Film. Die besondere Stärke des Films liegt in seiner Menschlichkeit; darin, dass er es schafft, Menschen und ihr alltägliches Umfeld interessant zu machen. In „plus-minus null“ passiert kaum etwas, das moderne Storyliner aufregend fänden - aber gerade dadurch schafft der Film eine Atmosphäre, die den Zuschauer so fesselt, dass selbst die einfachsten Ereignisse eine Spannung entstehen lassen.
Kommentar verfassen

Kommentieren