Dokumentarfilm | Deutschland 1992-1997 | 98 Minuten

Regie: Joachim Tschirner

Der letzte Teil einer Langzeitdokumentation über das Stahlwalzwerk "Maxhütte" im thüringischen Unterwellenborn, der die Umstrukturierung und teilweise Abwicklung der Fabrik beschreibt. Der Film enthält sich weitgehend einer Kommentierung, sondern läßt Fakten, Personen und Zahlen für sich sprechen, versäumt es aber, zwischenmenschliche Zusammenhänge deutlich zu machen. Letztlich kein ganz befriedigender Film, aber als Dokument einer nicht nur staats-, sondern auch arbeitspolitisch umwälzenden Veränderung von Interesse. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992-1997
Produktionsfirma
Um Welt Film
Regie
Joachim Tschirner
Buch
Joachim Tschirner · Burghard Drachsel
Kamera
Karl Faber · Lutz Körner · Christian Maletzke · Heinz Richter · Rainer M. Schulz
Musik
Thomas Tschirner
Schnitt
Angelika Arnold
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Seit zwölf Jahren hat sich der Dokumentarist Joachim Tschirner nun mit der „Maxhütte“ auseinandergesetzt, jenem Vorzeige-Stahlwalzwerk, das die thüringische Region um Unterwellenborn nicht nur mit Brot und Arbeit, sondern auch mit Dreck und Gestank „versorgte“. Zunächst waren es Kurzfilme über das Arbeitsleben in der DDR und der Nachwendezeit, die dann 1991 in den abendfüllenden Dokumentarfilm „Katrins Hütte“ einflossen. Hierin wird das Leben der Katrin H. skizziert, die Mitte der 80er Jahre in die Volkskammer der DDR gewählt wurde und nun als ehemals bewußte Aktivistin die Vergangenheit der „Max“ und ihr eigenes Arbeitsleben Revue passieren läßt und einen Blick in die Nach-Wende-Zukunft wagt.

Eine Zukunft, die der traditionsreichen Stahlkocherei – zumindest in Hinblick auf ihre Traditionen – nicht lange beschieden sein sollte. 1992 ist die Umstrukturierung beschlossene Sache, die Belegschaft wird von etwa 6000 Mitarbeitern auf 650 „entschlackt“. Ein luxemburgisches Unternehmen erhält von der Treuhand den Zuschlag und experimentiert in Unterwellenborn mit einem Teil-Abwicklungsmodell, das später auch im eigenen Land eingeführt werden soll. Die vielen Dummen sind – wie so oft – die einfachen Arbeiter; nur wenige haben das Glück, übernommen – sogar besser eingestuft – zu werden, und haben deswegen ein nicht ganz unbelastetes Gewissen.

Tschirner dokumentiert über den Zeitraum von fünf Jahren diesen Prozeß der teilweisen Abwicklung des 120 Jahre alten Betriebes, stellt den Landkreis Saalfeld vor, für den mit 17 Prozent Arbeitslosen die „soziale Abfederung“ ein arges Problem darstellt. Der Filmemacher geht erstaunlich distanziert zur Sache, strukturiert seinen Film durch die Teilsprengungen einzelner Fabrikteile, schreibt so den Niedergang fest, verhehlt aber auch nicht, daß nur so die „Max“ in die Lage versetzt werden konnte, erstmals weltweit konkurrenzfähig ihren hochwertigen Stahl anbieten zu können. Das Dokument eines Dilemmas, das allerdings nicht verhehlt, das es nicht anders kommen konnte. Ruhige Bilder und zahlreiche Statements dokumentieren sowohl Hoffnung als auch Resignation, zeigen Menschen, die es (auch ökonomisch) geschafft haben, sich mit der neuen Zeit zu arrangieren, neben jenen, die der alten Zeit nachtrauern. Dabei enthält sich der Film eines jeden Kommentars, zeichnet nach, schildert Entwicklung und Jetztzustand.

Vielleicht ist es diese Emotionslosigkeit, die den Zugang zum „Abstich“ so schwer macht. Da wohnen die ehemaligen Stahlwerker teilnahmslos der Sprengung ihres (Arbeits-)Lebensinhaltes bei; der luxemburgische Manager des Betriebes erklärt auf dem Weg zur Arbeit Kosten-Nutzen-Rechnungen, und Katrin, die in ihrem Hütten-Film noch so bereitwillig Auskunft gab, hält sich aus Angst vor Anfeindungen seitens der Kollegen und Mitbewohner zurück; immerhin hat sie einen der wenigen Arbeitsplätze ergattern können; einen besser bezahlten noch dazu. Ein Erfolg, der in einem Krisengebiet natürlich Raum für Neid und Feindseligkeiten schafft. Genau in diesen Punkten entzieht sich Tschirners Film einer präzisierenden Stellungnahme. Er konstatiert, bemüht sich aber kaum, zwischenmenschliche Zusammenhänge, an denen Volker Koepp in seinem „Wittstock“-Zyklus so gelegen war, zu schaffen. So bleibt die Befindlichkeit der Bewohner Unterwellenborns letztlich undeutlich und wird durch eine unwirkliche Nostalgie-Stimmung unterlaufen, in der der Aufschwung zwar anerkannt wird, der Niedergang jedoch erlitten werden muß. Daß Unterwellenborn gewiß ein schlimmes Beispiel, jedoch eine wohl leider notwendige Maßnahme im Sinne eines allgemeinen Strukturwandels ist, wird dabei von den Filmemachern ein wenig übersehen. Schließlich haben auch die Reviere in den alten Bundesländern in bezug auf althergebrachte Arbeitsplätze und Strukturwandel einiges an Federn lassen müssen.

Letzlich kein ganz befriedigender Film, aber immerhin ein weiterer Beleg für jene filmischen Langzeitbeobachtungen, mit denen sich gerade Dokumentaristen aus der DDR immer wieder besondere Verdienste erringen konnten, da sie nicht ausschließlich ein Schlaglicht auf aktuelle Vorkommnisse werfen, sondern den Fluß der Zeit dokumentieren und letztlich den Menschen beim Leben zusehen. Eine Filmform, die so in Zukunft leider wohl kaum noch möglich sein wird, wenn der (Film/Kino-)Markt immer mehr die Nachfrage bestimmt und nicht die wahren Geschichten der Menschen. Übrigens brachte die Wende auch für Joachim Tschirner einige Veränderungen mit sich: Relativ abgesichert als staatlich „angestellter“ DEFA-Regisseur, mußte er sich nach der Wiedervereinigung völlig anders organisieren, mit Kollegen eine eigene Firma gründen, den Förderungsdschungel durchforsten, die kapitalistischen Schleichwege ausfindig machen. Auch für die Filmemacher ist die Luft dünner geworden.
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