Fire - Wenn die Liebe Feuer fängt...

Melodram | Kanada 1996 | 108 Minuten

Regie: Deepa Mehta

Zwei Schwägerinnen leben in Neu Delhi unter dem gemeinsamen Dach ihrer Großfamilie. Sie teilen das gleiche Schicksal, von ihren Männern vernachlässigt zu werden. Über der täglichen Arbeit kommt es zu einer Annäherung, die lange verdrängte Sehnsüchte weckt und in den Konflikt mit traditionellen Rollenmustern mündet. Sensibles Melodram mit tragikomischen Elementen, das mit betörenden Bildern vom Konflikt indischer Frauen zwischen Tradition und Moderne, Pflichtbewußtsein und Selbstbehauptung erzählt. In der Umdeutung der mythologischen Feuerprobe findet der Film eine geniale Metapher. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FIRE
Produktionsland
Kanada
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Trial by Fire Films
Regie
Deepa Mehta
Buch
Deepa Mehta
Kamera
Giles Nuttgens
Musik
A.R. Rahman
Schnitt
Barry Farrell
Darsteller
Shabana Azmi (Radha) · Nadita Das (Sita) · Kulbhushan Kharbanda (Ashok) · Jaaved Jaaferi (Jatin) · Ranjit Chowdhry (Mundu)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Melodram | Frauenfilm
Externe Links
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Diskussion
Wenn Kinofilme wütende Proteste provozieren und die Volksseele zum Schäumen bringen, rühren sie im Untergrund des kollektiven Bewußtseins an Punkte, die kulturell längst ihre Fraglosigkeit verloren haben. Die erbitterten Kontroversen, die Deepa Methas dritter Spielfilm - ähnlich wie "Bandit Queen" (fd 31 251) - in Indien auslöste, lassen deshalb auf fundamentale Umwälzungen im Gesellschaftsgefüge des Subkontinents schließen, in dem die tradierte Rolle der Frau zunehmend nicht mehr als selbstverständlich empfunden wird. Dabei scheint es, so die Erfahrung der in Kanada lebenden Regisseurin, weniger die lesbische Romanze zu sein, mit der sie den ersten Teil ihrer geplanten Indien-Trilogie enden läßt, als vielmehr die Unterminierung des patriarchalen Herrschaftsanspruchs, der vor allem Männer aus der Mittelklasse zum Widerspruch - bis zur Morddrohung - reizt.

Die zärtlichen Bande zwischen den Schwägerinnen Radha und Sita wachsen, weil beide von ihren Ehemännern vernachlässigt werden. Der Großfamilie, die in Neu Delhi einen Schnellimbiß und einen Videoverleih betreibt, steht Ashok vor, ein frommer Hindu, der jede freie Minute in Meditation oder bei seinem Guru verbringt. Nachdem seine Ehe mit Radha kinderlos blieb, hatte Ashok sich einem rigiden Zölibat verschrieben, der im Verlangen die Wurzel allen Übels erblickt. Sein etliche Jahre jüngerer Bruder Jatin hingegen schätzt mehr Bruce Lee und Jackie Chan und verleiht unter der Ladentheke auch Pornos an Schulkinder. Äußerlich unterwirft er sich zwar den Gesetzen der Tradition und willigte in die lange arrangierte Ehe mit Sita ein. Doch Jatin denkt nicht im Traum daran, sich von seiner chinesischen Geliebten zu trennen oder mehr als den obligatorischen (Ehe-)Pflichten nachzukommen. Nur seine selbstbewußte Frau will sich mit der unbefriedigenden Situation nicht abfinden. Statt sich in züchtigem Gehorsam zu üben, steckt ihr rebellischer Geist auch Radha an, die nach 16 Jahren an der Seite Ashoks längst resigniert hat. In der gemeinsamen Hausarbeit, zu der auch die Betreuung der bettlägerigen Schwiegermutter Biji zählt, wächst langsam Vertrauen und Nähe, die an längst verdrängte Sehnsüchte rühren. Die Annäherung der Frauen, vom Hausdiener Mundu mit Argusaugen beobachtet und süffisant kommentiert, entwickelt bald eine Dynamik, die in einen harten Konflikt mit den überkommenen Sitten führt.

Die Idee für den Film kam Deepa Metha durch das Leben ihrer eigenen Mutter: Diese fand erst im vorgerückten Alter, als die Kinder aus dem Haus waren, zu einer erfüllteren Beziehung mit ihrem Mann, der sich jahrzehntelang um alles andere als um Frau und Familie gekümmert hatte. Von der Einsamkeit und emotionalen Kälte solcher Rollenteilung handelt der Film, mehr aber noch von der Schwierigkeit, sich über deren Mangel klar zu werden. "Du kannst auch das sehen, was man nicht sehen kann", heißt es in einer Sequenz, die den Film rahmt und in der Sita sich einer Kindheitsszene erinnert: "Du mußt wahrnehmen, ohne deine Augen zu gebrauchen." Wie aber entwickelt sich ein solcher Sinn, wenn die religiösen Sitten und Bräuche auf Schritt und Tritt Demut und Anpassung festschreiben und innerhalb der Großfamilie kaum Platz für eine Privatsphäre bleibt? Deepa Metha antwortet darauf nicht mit einer individualistischen Studie, sondern skizziert ein Familienleben, in dem jedes Mitglied für eine der Strömungen der indischen Gesellschaft steht. Dank der subtilen Zeichnung der Charaktere und dem sorgsam entwickelten Konflikt tritt der typologische Zug allerdings gänzlich in den Hintergrund, während sich die Freundschaft der beiden Frauen immer stärker entfalten kann. Daß dabei die Jüngere die Initiative ergreift, spiegelt nicht nur Kreativität und Ungeduld der Jugend, sondern auch den Stand der gesellschaftlichen Transformation: Nicht nur Jatin, auch Sita beginnt, die Fesseln verknöcherter Regeln abzustreifen.

In dem in mystisch-schönen Farben fotografierten und mit hervorragenden Schauspielern besetzten Melodram kehrt mehrmals eine mythologische Erzählung aus dem 2. Jahrhundert nach Christus wieder, in der eine Frau ihre Unschuld durch den Gang durchs Feuer beweisen muß. Ein Test, den Deepa Metha zur tiefsinnigen, vieldeutigen Metapher weiterspinnt: Während im Fernsehen oder auf der Bühne die Feuerprobe als patriarchalisches Reinheitsritual ein ums andere Mal beschworen wird, umspielt in ihrem Film immer wieder ein warmes, weißes Licht die Figuren. Ein beinahe versöhnlicher Gestus, der den indischen Frauenalltag als permanente Feuerprobe kritisiert, in der Wert und Würde nicht an die Person, sondern an (weibliche) Treue geknüpft sind. Und ihn gleichzeitig überhöht, weil das magische Leuchten unübersehbar signalisiert, daß Frauen wie im Märchenepos "Ramayana" grundsätzlich "rein und fleckenlos" sind, das heißt im göttlich verbrieften Zustand der Unschuld leben. Mit dem befreienden Ende, das Radha nicht im Feuer umkommen läßt, das ihr Sari beim Streit mit Ashok gefangen hat, sondern ihr die Kraft zu einem radikalen Neuanfang zugesteht, hebt Deepa Metha die Grenzen der historischen Realität auf und öffnet, ohne in Illusion oder billigen Kitsch zu verfallen, der-Fantasie eine Tür.
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