Der Mann ist Selbstdarsteller aus Leidenschaft. Mit beredtem Stolz breitet er die Details seiner Arbeit vor der Kamera aus. Details, die unter Alkoholeinnuß von Mal zu Mal variieren. Der Mann wird nicht müde, seine Professionalität zu betonen. Einmal in Fahrt, räsoniert er über Gott und die Welt, Architektur und moderne Kunst, Frauen. Kein Thema, zu dem seine Halbbildung keinen Beitrag zu leisten wüßte. Der Mann spielt klassische Musik, verfaßt miserable Gedichte und schaut nicht aufs Geld, wenn Bekannte knapp bei Kasse sind. Er besitzt ein ausgeprägtes Gespür für gesellschaftliche Hierarchien, verachtet Schwule und Farbige, wenngleich deren vermeintlich riesige Geschlechtsteile seine Neidkomplexe wecken. Der Mann könnte Taxifahrer sein, Friseur, Filmkritiker oder Kandidat in einem Fernseh-Quiz.Ben bestreitet seinen Lebensunterhalt als Mörder. Der nötige Ballast beim Versenken einer Leiche, die Auswahl des Opfers und die angemessene Tötungsmethode sind seine Spezialgebiete: Das Erschrecken einer Herzkranken spart Kugeln und vermeidet Lärm. Bens ständige Begleitung ist ein dreiköpfiges Filmteam, das ihn "bei der Arbeit" und privat beobachtet. Direkt vom Steinbruch, indem er seine Opfer bevorzugt beseitigt, geht es in den Laden seiner Mutter, zum freundlichen Plausch mit den Großeltern, zum musikalischen Duett mit einer Freundin. "Seine beruflichen Aktivitäten interessieren mich nicht", erklärt eine Bekannte auf Anfrage der Filmemacher; sie glaube das alles nicht, meint die Mutter nach Bens Verhaftung.Wie selbstverständlich wird das Kamerateam in Bens Aktivitäten einbezogen. Anfangs als Tarnung ("Wir sind ein Fernsehteam, dürfen wir in Ihre Wohnung kommen?"), dann als Komplizen. In den schockierendsten Szenen des Films, dem Mord an einem Kind und einer gemeinschaftlichen Vergewaltigung, treten Ben und seine Beobachter längst schon als Bande auf. Zweimal verliert das Team bei wüsten Schießereien den Tontechniker. Und zweimal zwingt sich der Regisseur zu rituellen Trauerbekundungen vor laufender Kamera.Eine eigentliche "Handlung" entwickelt der Film erst im letzten Drittel, wenn Bens Selbstherrlichkeit plötzlich Kratzer bekommt. Nach einem Boxkampf findet er sich im Krankenhaus wieder, er wird verhaftet und verurteilt. Zwar gelingt ihm die Flucht, doch die Komplizen eines getöteten Konkurrenten sind ihm auf den Fersen, ermorden seine Geliebte und seine Mutter. Ben ist der Situation nicht mehr gewachsen. In seinem Versteck werden er und das Filmteam Opfer eines Anschlags. Die Kamera fällt zu Boden, fängt die Szenerie ein, bis die Filmrolle ans Ende gelangt. Der Stand der Dinge - Totenstille.Es gibt gute Gründe, "Mann beißt Hund" zu hassen. Der Film ist all das tatsächlich, was die Verleiher ihrer Ware sonst so inflationär andichten: geschmacklos bis zur Schmerzgrenze, provozierend, zynisch und dabei streckenweise doch ungeheuer komisch. Ein sarkastischer Rundumschlag gegen die Doppelmoral der Medien, gegen Sensationsgier und Voyeurismus, gegen das Ans-Licht-der-Öffentlichkeit-zerren privatester Bereiche, völlig losgelöst von Begriffen wie Ethik und Verantwortung. Nur einmal - abgesehen von den geheuchelten "Nachrufen" auf die beiden Tontechniker - zeigt das Filmteam emotionale Regungen, fühlt es sich in seiner beruflichen Moral angegriffen. Dann nämlich wenn Ben ihnen die Kamera des gerade ermordeten Konkurrenz-Teams anbietet: "Das ist Video, wir benutzen Film." Der moderne Mensch hat es sich in seinen Nischen bequem gemacht; Verhaltenskodizes gelten innerhalb kleiner Gruppen und sind untereinander nicht kompatibel. Nichteinmischung ist oberstes Prinzip; wer nachfragt, ist ein Spielverderber. Indem "Mann beißt Hund" dem Zuschauer diese Realitäten mit aller Hemmungslosigkeit um die Ohren schlägt, ist der Film auf seine Art moralisch - auch wenn die Filmemacher dieser Formulierung vielleicht nicht zustimmen würden.Wo James McNaughtons "Henry: Portrait of a Serial Killer"
(fd 30 092) sich in sinnlosdumpfen Brutalitäten ergeht, kommt dieses belgische Killer-Porträt mit wenigen, dafür um so nachhaltigeren Schocks aus. Den durchgängigen Horror des Films macht stattdessen die satirische Übersteigerung des Alltäglichen aus. Der Killer und das Filmteam sind eben keine Unbekannten "vom anderen Stern"; sie sind die Zuspitzung des "normalen" allgegenwärtigen Exhibitionismus" und Voyeurismus'. (Und das nicht erst seit der Kontroverse ums "Reality-TV".) Nicht umsonst ist "Mann beißt Hund" im Prinzip ein "Film im Film", wobei letzterer - der distanzierende Rahmen-Film - nur in der Imagination besteht. Was man zu sehen bekommt, ist immer das, was das Reportage-Team gerade aufnimmt. Die Frage der Komplizenschaft stellt sich somit nicht nur für Bens Begleiter. Entsprechend schmerzhaft wirken vor allem die bereits angesprochenen Tabuverletzungen in der Kindesmord- und der Vergewaltigungsszene. Hier verstummt das distanzierende Lachen, schlägt der tiefschwarze Humor um in verletzende Direktheit. Paradox, aber wahr: Ohne diese Ekel auslösenden Szenen würde der Film an Verbindlichkeit verlieren. (In der Worten der Regisseure: "Wir hätten auch einen Zweistunden-film drehen können, in dem nur lustige Morde gezeigt werden. Der wäre dann sicherlich weniger anstößig geworden, er würde aber auch weniger Sinn machen.")So sehr jedoch "Mann beißt Hund" inhaltliche Auseinandersetzungen provoziert wie kaum ein (im weiteren Sinne) Unterhaltungsfilm der letzten Jahre, lohnt auch der Blick auf formale Aspekte. Mit Hingabe und Ironie plündern die Regisseure den Fundus gängiger Gangsterfilm-Stereotypen. Wie oft schon hat man die Helden dieser Filme durch leere Fabrikgebäude schleichen sehen, immer auf der Hut vor versteckten Heckenschützen. Wenn der "Held" nun ein kaltblütiger Mörder und der unsichtbare Flüchtige sein Opfer ist, stehen die Genre-Regeln Kopf. Wie um die Verwirrung zu komplettieren, trennen sich Ben und die Team-Mitglieder im Verlauf dieser Sequenz, womit Mikrofon, Kamera und Handlung zeitweilig getrennt werden und sich aus der Entfernung kommentieren. Hier offenbart sich am deutlichsten, daß Belvaux/Bonzel/ Poelvoorde ihr Medium im Griff haben und aus ihrem Minimal-Budget das Beste herausgeholt haben. Kein schöner Film, aber ein interessanter.