Stau - Jetzt geht's los

Dokumentarfilm | Deutschland 1992 | 85 Minuten

Regie: Thomas Heise

Ein filmisches Zeitdokument über rechte Jugendliche in Halle Anfang der 1990er-Jahre. Der Film begleitet die Protagonisten in ihrem Alltag in der ehemaligen sozialistischen Mustersiedlung und öffnet den Blick auf Freizeit, Arbeit und Arbeitslosigkeit in einer Zeit großer Verunsicherung. In langen Gesprächen und biografischen Exkursen versucht der Regisseur Thomas Heise die Ursachen ihrer rechten politischen Einstellungen zu erforschen. Da er dabei auf jegliche Kommentare oder wertende Aussagen verzichtet, wurde dem Filmemacher vorgeworfen, den Rechtsradikalen eine Bühne für ihre Ansichten geboten und sie mehr als Opfer denn als Täter gezeichnet zu haben. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Ö-Film
Regie
Thomas Heise
Buch
Thomas Heise
Kamera
Sebastian Richter
Musik
Sebastian Richter
Schnitt
Karin Geiß
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Thomas Heise porträtiert 1992 rechtsradikale Jugendszene in Halle-Neustadt und begleitet fünf rechtsextreme Jungs mit der Kamera.

Diskussion
Die Auszeichnung des Films mit dem "Deutschen Dokumentarfilmpreis 1992" löste in der Fachpresse heftige Kontroversen aus. Man forderte die "AG der Filmjournalisten" sogar auf, ihre Entscheidung zu revidieren. Und als in Berlin zum Boykott der Uraufführung im Theater des "Berliner Ensembles" am 25. 11. 1992 aufgerufen wurde, sahen sich die Intendanten genötigt, die Premiere abzusetzen, weil sie gewalttätige Ausschreitungen befürchteten.

Wenn man den dermaßen ins Gerede gekommenen Film des aus der DDR stammenden Dokumentaristen Thomas Heise nun sieht, wird man das Gefühl nicht los, daß jene, die so vehement gegen den Film polemisieren, ihn gar nicht gesehen haben. Hier ging und geht es einfach um die dogmatische Frage, ob man einer gemeingefährlichen Randgruppe die Möglichkeit zur Selbstdarstellung geben oder ob man ihre Existenz ignorieren soll. Eine Frage, über die man angesichts der Lust der Medien an der realen Gewalt durchaus diskutieren kann. Aber ob ein ohne jegliche formale Inspiration und gedankliche Innovation daherkommender Film wie "Der Stau" sich dazu eignet, sei dahingestellt. Nach schlechter Dokumentarfilm-Tradition reihen Heise und sein einfallsloser Kameramann Interviews mit fünf männlichen Neo-Nazis aus Halle aneinander, die nur selten gegen das Stilprinzip "sprechender Köpfe" verstoßen. Fünf junge Männer wollte er porträtieren, "die Angst haben, Verlierer zu sein, zu werden wie ihre Eltern. Die Angst haben, einfach vergessen zu werden im Alltag. Jeder für sich bemitleidenswert".

Der intellektuelle Erklärungsversuch Heises, der sich offenbar mehr Gedanken über seine Interview-Partner macht als diese über sich selbst, liefert mit seinem "Helfersyndrom" auch gleich die Entschuldigung für Unentschuldbares mit. Natürlich sind die Kinder und Jugendlichen die Hauptleidtragenden der über sie hereingebrochene Wiedervereinigung. Aber die eigene Verantwortung für ein wie auch immer geartetes Fehlverhalten außen vor zu lassen und nur der Gesellschaft die Schuld zu geben - dieser bequemen "Ursachenforschung" kommt Heise mit seinem "bemitleidenden" Blick entgegen. Und sein Film ist auch nicht die Kehrseite der üblichen Medienberichterstattung aus der rechtsradikalen Szene, die vorwiegend Bilder glatzköpfiger Brandsatzwerfer und "Heil"-schreiender Ausländerhasser ins Wohnzimmer sendet. Auch diese spektakulären Bilder werden oft angereichert mit Interviews, die die Verwirrtheit und Dummheit der Angesprochenen deutlich machen. Heise hat dieses "Akzeptieren der Blödheit" hier nur zur Methode erhoben und setzt den Zuschauer 83 Minuten diesem nichtssagenden Gerede aus. Wenn er die Normalität der "Täter" als Aussageziel im Kopf hatte, dann hätte die erste Episode, in der das "Riesenbaby" Konrad unter der "Aufsicht" einer ihn immer wieder maßregelnden Mutter einen Marmorkuchen bäckt, vollauf zur Sinnfällig-keit dieser These genügt. Sie zeigt auch gleichzeitig die traurige Rolle vielerart Eltern, die sich (spätestens) seit der Wende ihren Kindern gegenüber aus der Verantwortung gestohlen haben. Aber im Grunde wußte man das auch schon vorher aus Print- und elektronischen Medien. Heises Film bringt da keine neue Erkenntnis, außer vielleicht der, daß ein Filmemacher, trotz Kamera, sehr wohl auch in die Rolle des "Wegsehers" geraten kann, wenn er der Dummheit seiner Gesprächspartner nichts entgegensetzt, nicht einmal eine einzige kritische Frage. Halbkritische dürfen dann wenigstens die Eltern oder Freundinnen der Befragten stellen - aber auch da hakt Heise nicht nach. Und wenn er bei einem "Betriebsausflug" seiner "Schäfchen" ins Konzentrationslager Buchenwald mit der Kamera vor dem Tor bleibt, entlarvt sich seine Methode selbst: einerseits will er dem Zuschauer nicht die "häßlichen Gesichter" der Jugendlichen zeigen, andererseits scheint er auch keinen Versuch unternommen zu haben, sie von ihrem "schändlichen" Vorhaben abzubringen. Indem er sie toleriert, macht er aus Tätern schon fast wieder Opfer. Daß sich nun auch scheinbar gesellschaftspolitisch engagierte Filmemacher in die fragwürdige Allianz der Verharmloser einreihen, stimmt zumindest bedenklich.
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