Dügün - Die Heirat

Drama | Deutschland 1990/91 | 90 Minuten

Regie: Ismet Elçi

Ein in Deutschland aufgewachsener und lebender junger Türke wird in sein ostanatolisches Heimatdorf gelockt. Dort soll er das Heiratsversprechen erfüllen, das seine Familie schon vor Jahren und ohne sein Wissen gab, was zu einer Tragödie führt. Dramaturgisch dichter, mit karger Bildsprache inszenierter Film über den Verlust kultureller und traditioneller Wurzeln und die schwierige Kommunikation zwischen unterschiedlichen Denk- und Lebensauffassungen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1990/91
Produktionsfirma
Wolfgang Krenz Filmprod.
Regie
Ismet Elçi
Buch
Ismet Elçi
Kamera
Martin Gressmann
Musik
Nizamettin Aric
Schnitt
Doreen Heins
Darsteller
Oguz Tunç (Metin) · Asli Altan (Aygül) · Halil Ergün (Ihsan) · Gülsen Tuncer (Mutter) · Ülkü Ülker (Gülperi)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein Reisebus biegt um die Kurve. Darin ein junger Türke auf dem Weg in sein ostanatolisches Heimatdorf. Seine Gedanken kreisen um seine Verlobte Claudia in Berlin, wo er seit seiner Kindheit lebt. Sie hat ihm ins Gewissen geredet, der Bitte seines Vaters nachzukommen und seine schwerkranke Mutter zu besuchen. Nun plagen ihn Alpträume, die von seinen Ängsten und Vorahnungen künden, in die ihm fremd gewordene Welt einzutreten. In Yenice angekommen, beginnt das familiäre Begrüßungsritual. Doch über Metin und sein Leben in Deutschland will niemand etwas wissen. Allein um den Verlauf der Ernte und Metins Vereinnahmung in die Dorfgemeinschaft drehen sich die Gespräche. Metin spricht zwar Türkisch, doch die Zeichen und Gesten versteht er nicht mehr; er ist ein Fremder. Von seiner Mutter, die wohlauf ist, erfährt er, daß er hergelockt wurde, um ein vor langer Zeit ausgehandeltes Hochzeitsversprechen einzulösen.

Mit der Empörung des entscheidungsfreien Deutschen, aber mit der immer noch respektvollen Haltung des türkischen Sohnes wendet er sich an das Familienoberhaupt, um die Lage zu klären. Metins Weigerung führt zum Eklat. Da er die Tragweite seines Verhaltens nicht beurteilen kann, erscheint ihm die Reaktion seiner Eltern übersteigert, die Morddrohung absurd. Sich gegen den Willen des Vaters aufzulehnen, traditionelle Gebräuche und Gesetze als rückständig abzulehnen, kann nur eines bedeuten: der Sohn ist in der Fremde ungläubig geworden. Metins Hinweis, er habe sich nur dem Leben in Deutschland angepaßt, läßt der ehemalige Gastarbeiter nicht gelten.

Während von allen Seiten Druck auf ihn ausgeübt wird und Aygül, die Braut, versucht, ihn mit traditionellen Gesten einzubinden, erfaßt er langsam den Ernst der Lage. Fluchtversuche scheitern. Als Gefangener läßt er die Hochzeitszeremonien über sich ergehen. In der Hochzeitsnacht legt er die Pistole, deren Abschuß dem Dorf die Entjungferung signalisiert, in den Kafes, ein Glaskästchen mit der Mitgift, und versucht behutsam, Aygül zu erklären, warum er sie verlassen müsse. Daß sie, die nie gefragt wurde, ihn nicht versteht und stattdessen einen Anspruch auf ihn geltend macht, ist ihm unbegreiflich. Resigniert verläßt er das Dorf. Am Morgen wird Aygüls Leiche entdeckt.

Metins Reise beginnt mit einem sehr "türkischen" Bild, einem Überlandbus, der in karger Berglandschaft eine riesige Staubwolke nach sich zieht. Die letzte Einstellung hingegen ist eine typisch westeuropäische: Metin steht, zwei moderne Koffer in der Hand, am Bahnhof und wartet auf einen Zug, von dem man nicht wissen kann, ob er noch kommt. Die Geleise sind überwuchert. Wie die Wurzeln des in Deutschland aufgewachsenen Türken, der lernen mußte, daß er längst keiner mehr ist, auch wenn er bisher ein anderes Bild von sich hatte. In der direkten Begegnung mit den rigiden Strukturen und den unmenschlich erscheinenden Gesetzen macht Regisseur Ismet Elçi diese trügerische Wahrnehmung deutlich.

Mit dem Blick eines wohlgesonnenen Touristen läßt er seinen Protagonisten, gleichsam als "alter ego", das dörfliche Leben betrachten. Von stimmungsvoller türkischer Musik begleitet, haben die authentisch wirkenden Szenen fast den Charakter einer Bildungsreise, die tiefe Einblicke in die Lebens- und Denkensweise dieser Menschen erlaubt. Doch die zunehmend harte Zeichnung des Vaters, die schon denunziatorische Züge besitzt, die negative Bewertung und schließlich offene Ablehnung der "Gesetze Allahs" zeigen, daß der Annäherungsversuch gescheitert ist. "Dügün" handelt nicht von der Zerrissenheit eines Heimatlosen, nicht vom Fremden im eigenen Land. Der Film erzählt die Geschichte einer Verbindung, die nicht mehr stattfinden kann, weil man sich nicht zwischen zwei Kulturen nach Belieben hin- und herbewegen kann, sondern sich letztlich für eine entscheiden muß. Ohne eine eigentliche Schuldzuweisung - die Entwicklung ist an den Gegebenheiten gemessen unausweichlich - bezieht Elçi Stellung, in Türkisch mit deutschen Untertiteln auch für seine Landsleute unmißverständlich.

In eine türkisch-deutsche Gemeinschaftsproduktion werden - gerade in diesen Tagen nach Mölln - leicht falsche Erwartungen gesetzt. "Dügün" ist jedoch eine ganz private Aufarbeitung des allgemeinen Kulturenproblems und muß sich daher nicht an dergleichen Erwartungen messen lassen. Als Teilausschnitt einer realistischen Annäherung ist "Dügün" einer der interessantesten und eigenständigsten Beiträge zum Thema. Mit seiner dramaturgisch dichten Struktur und der wortkargen Bildersprache ist er auch künstlerisch ein beeindruckendes Werk.
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