Ein 20jähriger Graffiti-Künstler und sein elfjähriger farbiger Freund reisen ihrem Traum entgegen: der eine möchte seine große Liebe finden, der andere Berge und Schnee sehen. Unterwegs treffen sie einen alten Sonderling, der sie das Einssein mit der Natur und das Erkennen wahrer Gefühle lehrt. Ein in Bildern von überwältigender Schönheit und poetischer Kraft erzähltes (Öko-)Märchen über Liebe und Freundschaft, das trotz einiger dramaturgischer Holprigkeiten durch die Schauspielkunst von Yves Montand zu einem bewegenden Vermächtnis des Grandseigneurs des französischen Films wird.
- Sehenswert ab 14.
IP 5 - Insel der Dickhäuter
Drama | Frankreich 1991 | 119 Minuten
Regie: Jean-Jacques Beineix
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Filmdaten
- Originaltitel
- IP 5 - L'ILE AUX PACHYDERMES
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 1991
- Produktionsfirma
- Cargo IP 5/Gaumont
- Regie
- Jean-Jacques Beineix
- Buch
- Jacques Forgeas · Jean-Jacques Beineix
- Kamera
- Jean-François Robin
- Musik
- Gabriel Yared
- Schnitt
- Joëlle Hache
- Darsteller
- Yves Montand (Léon Marcel) · Olivier Martinez (Tony) · Sekkou Sall (Jockey) · Géraldine Pailhas (Gloria) · Colette Renard (Clarisse/Monique)
- Länge
- 119 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Wenn es nach dem Gesetz der Serie geht, dann müßte Jean Jacques Beineix' fünfter Spielfilm wieder ein Kassenschlager werden, wie seine mittlerweile zu Kultfilmen avancierten Werke eins ("Diva", fd 23 908) und Drei ("Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen", fd 25 781), denen jeweils ein Flop ("Der Mond in der Gosse", fd 24 682 und "Roselyn", fd 28 484) folgten. Tatsächlich ist diese Geschichte über Liebe und Freundschaft vor dem Hintergrund einer mystischen Sinn-Suche aus jenem "Stoff, aus dem (Kino-)Träume gestrickt werden.Die Trostlosigkeit der Pariser Vorstadtviertel hat sie zusammengeschweißt, den 20jährigen Graffiti-Künstler Tony und den elljährigen, farbigen Rapper Jockey. Als Jockey eines Abends wieder einmal seinen betrunkenen Vater vor der Haustüre findet und den Notdienst alarmiert, verliebt Tony sich in die Krankenschwester Gloria, der er fortan nachstellt, um ihr seine Liebe zu beweisen. Gloria aber läßt ihn permanent abblitzen. Tony wird von einer brutalen Skinhead-Gang überfallen und gezwungen, einen ominösen Auftrag auszuführen: er soll eine Ladung überdimensionaler Gartenzwerge nach Grenoble bringen. Gemeinsam mit Jockey macht er sich auf den Weg, doch seine Gedanken kreisen nur um Gloria. Und als er erfährt, daß Gloria eine Stelle in Toulouse angenommen hat, läßt er den Lieferwagen einfach stehen, klaut einen schnelleren Wagen und macht sich trotz Jockeys heftiger Proteste auf den Weg nach Toulouse. In der Nacht geht ihnen das Benzin aus, und sie entwenden einem Wilderer das Auto, nichtsahnend, daß auf dem Rücksitz ein alter Mann schläft. Nach dem ersten Schrecken werfen sie ihn aus dem Wagen. Aber als der von Jockey gesteuerte Wagen kurz darauf verunglückt, rettet sie der geheimnisvolle Fremde aus dem brennenden Wrack und heilt wie mit Wunderkräften Tonys Verletzungen. Trotzdem versuchen die beiden, den Alten loszuwerden, stehlen ihm sogar sein Geld. Beim nächsten Autoklau sitzt er aber wieder im Wagen und bewahrt sie vor einer Verhaftung. Wieder machen sie sich gemeinsam auf den Weg. Und allmählich löst sich das Geheimnis um den Sonderling: der schwer herzkranke Leon ist aus einem Heim entflohen und genau wie Tony auf der Suche nach seiner großen Liebe, die er seit 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Auf der Insel der Dickhäuter haben Leon und Clarence sich einen Sommer lang geliebt, waren dann im Streit auseinandergegangen. Schließlich findet Jockey die Insel, und dem Ziel scheinbar nahe, zieht man im nächsten Ort Erkundigungen ein. Tony und Jockey erfahren, daß Clarence sich damals gleich nach der Trennung im See das Leben genommen hat, daß aber ihre Zwillingsschwester Monique noch lebt. Sie überreden sie, sich gegenüber Leon als Clarence auszugeben. Der aber durchschaut das Spiel und gesteht Monique, daß er sich und sie, wäre sie Clarence gewesen, erschossen hätte, denn er spürt, daß er nicht mehr lange zu leben hat. In Toulouse angekommen, bringen sie Leon dann in jenes Krankenhaus, in dem Gloria arbeitet. Auf der Intensivstation wacht Jockey die ganze Nacht an seinem Bett und Leon, der langsam in den Tod hineindämmert, bedauert noch einmal seinen Stolz, der ihn daran gehindert hatte, Clarence seine Liebe zu zeigen. Gloria, die das Gespräch zufällig mithört, erkennt ihre Hochnäsigkeit gegenüber Tony und reicht ihm die Hand zur Versöhnung.Schon in der mit atemberaubenden Kranfahrten und ungewöhnlichen Kameraperspektiven inszenierten Eingangssequenz, in der Tony den Filmtitel als überdimensionales Graffiti an eine Wand sprüht, während Jockey tanzend und singend Schmiere "steht", zeigt sich, daß Beineix einer der wenigen europäischen Regisseure ist, die es verstehen, das CinemaScope-Format sinnvoll einzusetzen. Und er hat den Mut, aus den Bildern heraus zu fabulieren, daß Phantastische der Geschichte über die innere Logik zu stellen und manchmal auch hart an der Grenze zum Klischee und zum Kitsch zu wandeln; etwa in jener Szene, als Leon wie Jesus übers Wasser schreitet. Aber selbst in solchen Momenten liegt eine Poesie und eine Liebe zu den dargestellten Personen in den Bildern, daß man geradezu magisch von ihnen angezogen wird. Beineix leistet es sich auch, einen seiner "Helden", Tony, bis zum Ende mit einer Aura des Unsympathischen zu umgeben, die es dem Zuschauer schwer macht, seinen Charakter zu akzeptieren, obwohl man ihm andererseits wünscht, daß er seine große Liebe findet. Geraldine Pailhas ist genauso eine Entdeckung wie der junge Sengalese Sekkou Sail, der mit seinem unbekümmerten Spiel selbst Yves Montand manche Szene stiehlt, was der aber mit der Souveränität eines wirklich großen Mimen "wegsteckt". Überhaupt ist "IP 5" zu einem Vermächtnis für den Grandseigneur des französischen Films geworden, der kurz vor Beendigung der Dreharbeiten starb. Ohne Koketterie setzt er sein vom Leben gezeichnetes Gesicht ein, scheut sich auch nicht, seinen "verwelkten" Körper der Kamera preiszugeben. Das geschieht mit soviel Würde und Kraft, daß man glaubt, Montand sei mit der Rolle verschmolzen, wie seine Figur des Leon mit der Natur eins geworden ist. Wenn er Tony und Jockey vorhält, sie gingen durch den Wald wie über einen Parkplatz, dann fühlt man sich selbst ertappt im eigenen nachlässigen Umgang mit der Umwelt. Das Wesen der Bäume, jener unbeweglichen Dickhäuter, die Leon durch seine Umarmungen fast zum Leben erweckt, wird zum Symbol für eine innere Freiheit, nach der Tony und Jockey so verzweifelt suchen. Daß sich ihre Träume schließlich erfüllen, liegt letztlich auch daran, daß Leon sie gelehrt hat, was wahre Liebe und Freundschaft ist. Diese so schlichte wie schöne Botschaft spricht fast aus jedem Bild von "IP 5". Dabei soll nicht verschwiegen werden, daß Beineix' Film auch seine Ecken und Kanten und die Geschichte einige dramaturgische Holprigkeiten zu überwinden hat, ehe sie wieder in ihren Bann zieht: so kann sich Beineix nicht von einigen zu lang geratenen "Waldspaziergängen" trennen, und auch Leons Begegnung mit Clarene/Monique wird zu sehr zelebriert. Auch das "Deutschlandbild" von Beineix und seinem Co-Autoren, das ja schon in "Roselyn" (fd 28 484) einige bis zur Peinlichkeit überzeichnete "Nazi-Knallchargen" bescherte, irritiert wieder: Der Zusammenhang, den er zwischen den rechtsradikalen Skins mit dem Symbol des Gartenzwerges für den deutschen Spießbürger und den ständigen Verweisen auf bundesdeutsche Nobelkarossen herzustellen versucht, wirkt doch ein wenig aufgesetzt und bringt die Geschichte nicht weiter. Aber das sind nur ein paar Wermutstropfen in einem Becher "cinema pur".
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