Schatten und Nebel

Tragikomödie | USA 1992 | 85 Minuten

Regie: Woody Allen

Ein Angestellter, der als Mitglied der Bürgerwehr einen Massenmörder zur Strecke bringen soll, gerät selbst immer stärker in den Verdacht, der Täter zu sein. Auf seiner Irrfahrt durch die nächtlichen Straßen trifft er eine Schwertschluckerin aus dem Zirkus, die sich mit ihrem Geliebten entzweit hat. Philosophisches Traumspiel, das in virtuoser Weise die äußere Handlung mit der thematischen Reflexion über Gott, das Böse, die Liebe und die Kraft der Illusionen verbindet. Der stilistisch und inhaltlich mit Zitaten aus der Filmgeschichte und dem Werk Woody Allens gespickte Film strahlt bei aller künstlerischen Qualität auf Grund seiner gewollten Künstlichkeit eine gewisse Kälte aus. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SHADOWS AND FOG
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Orion Pictures/Rollins & Joffe Prod.
Regie
Woody Allen
Buch
Woody Allen
Kamera
Carlo Di Palma
Musik
Kurt Weill
Schnitt
Susan E. Morse
Darsteller
Woody Allen (Kleinman) · Mia Farrow (Irma) · John Malkovich (Clown) · Lily Tomlin (Prostituierte) · Jodie Foster (Prostituierte)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Eine Stadt sucht einen Mörder, der - wie die Inkarnation des Bösen schlechthin - durch die nächtlichen Gassen streift und wahllos Menschen mordet, die seinen Weg kreuzen. Der Angestellte Kleinman wird unsanft aus dem Schlaf gerissen. Er soll sich der Bürgerwehr anschließen, die den Mörder dingfest machen will. Aber während alle anderen offenbar einem klaren Plan folgen, irrt Kleinman ziellos durch die Nacht, und er hinterläßt Spuren, die als Indizien bedeutet werden und ihn selbst als Schuldigen ausweisen können. Der Jäger wider Willen wird zunehmend selbst zum Gejagten. Gleichzeitig irrt die Schwertschluckerin Irma durch die nächtlichen Straßen. Sie hat im Zirkus ihren Geliebten, den Clown zurückgelassen, den sie in einer unzweideutigen Situation mit der Seiltänzerin überrascht hat. Irma findet Zuflucht bei freundlichen Huren im Bordell, wo sie bald der materiellen Verlockung erliegt und sich einem Studenten für Geld hingibt. Als vermeintliche Prostituierte verhaftet, landet sie auf der Polizeiwache, wo sich ihr Weg mit dem Kleinmans kreuzt. Beide setzen ihren Weg gemeinsam fort. Irma möchte das auf unmoralische Weise erworbene Geld dem Pfarrer als Almosen spenden, aber kurz darauf verlangt sie die Hälfte der Spende wieder zurück, weil sie eine Frau getroffen hat, die mit ihrem Baby unterwegs ist und dringend Hilfe braucht. Der Clown hat sich unterdessen reumütig auf die Suche nach Irma begeben und trifft sie wieder. Beide finden das verlassene Baby, die Mutter ist Opfer des Meuchelmörders geworden. Während Irma und der Clown mit dem Baby in den Zirkus zurückkehren, ist Kleinman in eine fast ausweglose Situation geraten. Die Menge hält ihn für den Mörder und ist zum Lynchen bereit. Kleinman flieht in den Zirkus, wo er mit Hilfe des Zauberers den Mörder in Fesseln legen kann. Das Böse ist zunächst gebannt, auch wenn es sich wenig später in Luft auflöst und nur leere Fesseln zurückbleiben. Irma wird mit ihrem Geliebten eine Familie gründen, und Kleinman wird endlich seinen Neigungen folgen und als Gehilfe des Zauberers im Zirkus arbeiten.

Was in der Inhaltszusammenfassung auf den ersten Blick noch wie ein Kriminalfilm mit einer melodramatischen Nebenhandlung erscheint, ist in Wirklichkeit ein philosophisches Traumspiel, in dem Woody Allen virtuos all die Themen zusammenfaßt und auf den Punkt bringt, die ihn seit gut 20 Jahren beschäftigt haben. Der ausschließlich im Studio gedrehte Film ist gleichzeitig eine exzellente Stilübung des Kameramanns Carlo DiPalma, die die Schattenspiele der expressionistischen Stummfilme und die Nebelspiele des poetischen Realismus' französischer Meisterwerke der 30er Jahre so überzeugend nachempfunden hat, daß "Schatten und Nebel" formal zweifellos einer der besten Schwarz-Weiß-Filme der letzten Jahre geworden ist. Zur atmosphärischen Stimmigkeit trägt die Musik Kurt Weills zu Brechts "Dreigroschenoper" entscheidend bei. Im Kern geht der Film auf Woody Allens Einakter "Tod" zurück, der in den frühen 70er Jahren entstand und die Geschichte Kleinmans und der Verfolgung des Mörders sowie einige Elemente der Figur der Irma schon enthält. Auch wenn der Film inhaltlich schon Bekanntes erzählt, ist es doch bewundernswert, wie es Woody Allen gelingt, den Fortgang der Handlung so zu entwickeln, daß die thematische Entfaltung gleichzeitig möglich wird. Der eine Handlungsstrang um Irma und den Clown behandelt Fragen der Liebe. Am Anfang steht die Untreue, die zu Irmas Flucht führt. Die Bordell-Episode gibt Allen Gelegenheit, den Gegensatz von rein körperlicher Lust und wahrer Liebe, von käuflicher Sexualität und echter Gefühlsbindung zu reflektieren. Im weiteren Handlungsverlauf wird der Aspekt der Nächstenliebe ins Spiel gebracht, zunächst auf abstrakter Ebene - Irma will Almosen geben -, dann auf konkreter Ebene, als Irma der Frau mit dem Baby begegnet. Über das Baby und über den damit geweckten gemeinsamen Wunsch, eigene Kinder zu haben, wird die Beziehung zwischen Irma und dem Clown endgültig besiegelt.

Der Handlungs- und Themenstrang um Kleinman bringt die grundlegenden Fragen existentieller Natur ein. Kleinman ist wie sein Verwandter Zelig ein außengesteuerter Mensch, der sich um jeden Preis anpassen will, um nicht aufzufallen. Die fundamentale Unsicherheit, daß er seine Rolle in dem (höheren) Plan nicht kennt, bestimmt sein Leben. In der Kleinman-Geschichte werden Fragen nach der Wirklichkeit der Alltagswelt, nach Schuld und Verantwortung, nach der Existenz Gottes und des Bösen gestellt. Auf diese drängenden Fragen gibt es letztlich keine eindeutige Lösung. Kleinman findet nur Trost in seiner Flucht in den Zirkus, in das Reich der Illusionen. Die Kraft der Illusion bannt das Böse und macht das Leben erträglich. Die positive Schlußbotschaft, die Woody Allen wie schon in früheren Filmen verkündet, ist die, daß man nicht äußeren Anpassungszwängen folgen darf, sondern die eigenen Neigungen verwirklichen soll, und daß wir alle nicht ohne Illusionen leben können.

Woody Allen hat also keine neue Philosophie entwickelt, sondern Fragen, die zuvor beispielsweise in "Zelig", "Hannah und ihre Schwestern", "The Purple Rose of Cairo" oder "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" eine zentrale Rolle gespielt haben, noch einmal in einem geschlossenen System zusammengefaßt. Die Vielzahl thematischer Motive führt jedoch nicht dazu, daß der Film an Bedeutungsschwere erstickt, vielmehr sorgen die zahlreichen Wortwitze dafür, daß der Film leicht und kurzweilig bleibt. Allerdings strahlt er auch stärker als andere Woody-Allen-Filme durch seine gewollte Künstlichkeit eine größere Kälte aus. Woody Allen hat sich nicht nur real in ein Studio, sondern auch geistig ganz in den Innenraum seiner Gedankenwelt zurückgezogen, so daß man nur hoffen kann, daß er, nachdem er die Summe seiner Philosophie gezogen hat, wieder die Türen aufstößt und in den Central Park und die Straßen Manhattans zurückkehrt.
Kommentar verfassen

Kommentieren