The Runner

Jugendfilm | Iran 1984 | 91 (TV 87) Minuten

Regie: Amir Naderi

Ein obdach- und elternloser 13-jähriger Junge versucht verzweifelt, in einer iranischen Hafenstadt zu überleben. Das wenige Geld, das er verdient, gibt er für Illustrierte mit Bildern von Flugzeugen aus, die seinem Fernweh Ausdruck verleihen. Als ihm seine ausweglose Situation bewusst wird, entschließt er sich, zur Schule zu gehen. Der erste im Ausland gezeigte iranische Film nach der Revolution von 1979 ist autobiografisch geprägt. Trotz einiger formaler Mängel ein außergewöhnliches Dokument, das Einblicke in den Alltag im Iran bietet und entgegen der Heilsversprechungen der neuen Machthaber deutlich Elend und Armut abbildet, wobei der Film nicht durch offene Kritik angreifbar wird. (O.m.d.U.; Fernsehtitel: "Der Läufer") - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
DAVANDEH
Produktionsland
Iran
Produktionsjahr
1984
Produktionsfirma
Institute for the Intellectual Developement of Children und Young Adults
Regie
Amir Naderi
Buch
Amir Naderi · Behrous Gharibpour
Kamera
Firouz Malekzadeh
Schnitt
Bahram Bayzai
Darsteller
Madjid Nirumand (Amiro) · Musa Torkizageh · Alireza Gholamzadeh · Schirzad Basschkal · Ali Pasdarzadeh
Länge
91 (TV 87) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Jugendfilm
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Diskussion
„The Runner“ gilt als der erste iranische Film, der seit der islamischen Revolution von 1979 im Ausland zu sehen war. Fünf Jahre vergingen also zwischen dem historischen Umbruch und der Aufführung von „The Runner“, und weitere 15, bis sich ein deutscher Verleih des Films annahm. Aus heutiger Sicht handelt es sich schon auf Grund der Entstehungszeit um ein einzigartiges Dokument. So wie für alle Totalitarismen das Kino ein zentrales Objekt ikonoklastischer Säuberung ist, wurde auch das iranische – nach der bereits rigiden Zensur durch das Schah-Regime – ab 1979 mit islamistischen Vorgaben belastet, die das nationale Filmschaffen beinahe zum Erliegen brachten. Inzwischen gibt es wieder eine lebendige iranische Kinokultur, auch über deren prominentesten Vertreter Abbas Kiarostami hinaus. Auf dem Münchener Kinderfilmfest 1998 war etwa der wunderbare Kinderfilm „Children of Heaven“ von Majid Majidi zu sehen; betrachtet man nun „The Runner“ als Gegenstück aus der Vergangenheit, so läßt sich trotz der Beschränkungen eine Tradition des realistischen Kinderfilms verfolgen, der soziale Kritik übt, ohne sich den Gefahren der Systemkritik auszusetzen, und in dem sich Abbild und Poesie einander annähern.

Der 13jährige Amiro, obdach- und elternlos, versucht verzweifelt, in einer iranischen Hafenstadt zu überleben. Eine Chance, etwas Geld zu verdienen, ergibt sich, als er zu einer Gruppe von Jungen stößt, die angeschwemmte leere Flaschen aus dem Meer fischt, um sie an einen alten Trödler zu verkaufen. Doch anstelle von Solidarität herrscht in der Gruppe ein erbarmungsloser Kampf um jede einzelne Flasche. Die einzigen Lichtblicke verschafft sich Amiro durch seine Träume von den großen Schiffen und den Flugzeugen, die von der Stadt aus in die Ferne starten. Am Hafenkiosk besorgt er sich von seinem wenigen Geld Illustrierte mit Bildern von Flugzeugen – lesen kann er darin nicht. Neben dem Kiosk gibt es ein improvisiertes Café, das den Ausländern als Treffpunkt dient und das auf Amiro entsprechend anziehend wirkt. Aber Jungen wie Amiro werden von dort vertrieben. Als er sich als Schuhputzer versucht und ein Gast seine Geldbörse vermißt, ist er der erste, der verdächtigt wird. Als er daraufhin mit dem Verkauf von Eiswasser beginnt, wird er selbst um seinen mageren Gewinn betrogen, den er sich aber mit aller Kraft wiederholt. Schließlich wird ihm die Ausweglosigkeit seiner Lage immer schmerzlicher bewußt, und er beschließt, zur Schule zu gehen.

Das zentrale Motiv des Films ist das Rennen, mal als Flucht, mal als Jagd, mal als Ausdruck von Übermut. Wenn Amiro und einige andere Jungen einem Zug hinterherrennen, um einen Sieger zu ermitteln, verbinden sich Spiel, Fernweh und Überlebenskampf. Rennen gehört zum Geschäft. Wenn dem kleinen Amiro sogar der Eisblock, den er für sein Eiswasser braucht, vor der Nase weggeschnappt wird, muß er schnell sein, um ihn sich zurückzuholen, und auch, um sich danach nicht wieder fangen zu lassen. Frappierend ist die Hoffnungslosigkeit der dargestellten Situation, gerade im Hinblick auf die damals erst fünf Jahre alte islamische Revolution, die mit großen Heilsversprechungen angetreten war. Zwar wird im Film das politisch-geistliche System nicht angesprochen oder gar kritisiert, doch scheint es das Elend im Land in keiner Weise gebessert zu haben. Von Allah keine Spur: Er wird nicht genannt und nicht angebetet, statt dessen sind es die (englischsprachigen) Ausländer, die hier das Geld und das Sagen haben, ganz wie zu Zeiten des Schah-Regimes, dessen Orientierung am dekadenten Westen die Ayatollahs stets verurteilt haben. Ohne also je die Dinge beim Namen zu nennen, übt Regisseur Amir Naderi subtile Kritik an den Zuständen im nachrevolutionären Iran. Die Geschichte Amiros ist auch seine eigene: Auch er stammt aus einer Hafenstadt und mußte sich schon als Kleinkind und Waise mit Jobs wie den im Film gezeigten durchs Leben schlagen. Die autobiografische Nähe ist es wohl, die dem Film seine intensivsten Momente verleiht, aber auch seine etwas plakative Unmittelbarkeit. Die Geschichte ist episodisch angelegt, als eine Aneinanderreihung der Versuche Amiros, zu Geld und zu einem Platz in der Welt zu kommen; dabei fehlt es der Handlung oft an Dichte und Spannung. Bedenkt man aber die Produktions- und Zensurbedingungen und zieht man den halbdokumentarischen Charakter mancher Sequenzen in Betracht, so ergibt sich hier eine seltene Gelegenheit für einen Einblick in die Lebensbedingungen im (damaligen) Iran. Für Amir Naderi, der bereits vor der Revolution als Regisseur tätig war, erschienen die Umstände gleichwohl bedrückend genug, so daß er 1986, kurz nach „The Runner“, in die USA emigrierte.
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