Die letzte Versuchung Christi

Simon von Gaißach | 04.04.2021

Abschied vom Opfertod? "O Lamm Gottes, unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet". Haben wir uns nicht alle so oft schon gefragt, warum Jesus sterben musste? Warum es nicht gereicht hätte, dass er uns die Frohe Botschaft vom Reich Gottes auf Erden erzählt, und wir ihm einfach Glauben geschenkt hätten? Warum er sich nicht Maria Magdalena zur Frau hätte nehmen können, und kinderreich und glücklich als Zimmermann bis zum Ende seines Lebens hätte sein können? Genau diesen Fragen geht die Romanadaption von Martin Scorsese von 1988 nach und erforscht die Konsequenzen für Jesus ganz persönlich. Das ist keine Blasphemie, sondern die Freiheit der Kunst und eine Einladung zu einem Gedankenexperiment, geschaffen 1951 von Nikos Kazantzakis, dessen Roman ihn spätestens seit er 1954 auf dem "Index der verbotenen Bücher" (1966 von der röm.-kath. Kirche abgeschafft) landete, weltberühmt machte. Interessanterweise ist es Judas, der den angeblichen Schutzengel, der Jesus vom Kreuz geholt hat, als Satan und das augenscheinliche Happy End als letzte Versuchung entlarvt, und der Jesus letztlich dazu bringt, sich selbstständig für den Märtyrertod zu entscheiden. Warum musste Jesus sterben? Warum diese passionierte Leidensfixierung der römisch-katholischen Kirche und warum diese Jahrhunderte alte Überbetonung von Sünde, Schuld, Opfer und Tod? Diese Fragen bleiben wohl ein Leben lang ungeklärt, sind es aber wert, immer wieder neu gestellt und erörtert zu werden. Das Buch und der Film geben dazu den besten Anlass.