Endlich sind auch deutsche Filmschaffende wieder in Cannes vertreten. Im Wettbewerb läuft „In die Sonne schauen“ von Mascha Schilinski, „Amrum“ von Fatih Akin ist in der Nebenreihe „Cannes Premiere“ zu sehen, und August Diehl spielt Josef Mengele. Doch auch Cannes-Veteranen wie die belgischen Dardenne-Brüder oder Wes Anderson sind in diesem Jahr erneut dabei. Juliette Binoche steht der Jury vor, und zu den wenigen US-amerikanischen Superstars, die man an der Croisette erwartet, zählt einmal mehr Tom Cruise.
Endlich sind auch die Deutschen wieder in Cannes mit dabei. Und das sogar im Wettbewerb, mit „In die Sonne schauen“ von Mascha Schilinski. Der Film startet am 11. September überdies in den deutschen Kinos. Das Generationendrama mit Lena Urzendowsky, Luise Heyer und Susanne Wuest erstreckt sich über einen Zeitraum von hundert Jahren und spielt auf einem abgelegenen Hof im Norden von Sachsen-Anhalt. Dort wuchsen vier Frauen auf: Alma in den 1910er-Jahren, Erika während der NS-Zeit, Angelika vor dem Mauerfall und Nelly in der unmittelbaren Gegenwart. Auch wenn Festivaldirektor Thierry Frémaux immer wieder vorgeworfen wurde, nicht genug deutsche Filme in Cannes zu zeigen, so hat er doch schon einmal einer jungen Regisseurin den Roten Teppich ausgelegt, Maren Ade mit „Toni Erdmann“ (2016). Was Ade weltweit bekannt machte und auch dafür sorgte, dass Sandra Hüller international zur gefragtesten deutschen Schauspielerin aufstieg.
Fatih Akin darf mit „Amrum“ hingegen „nur“ in der Nebensektion „Cannes Premiere“ dabei sein. Sein Film beruht auf den Erinnerungen seines Mentors und Freundes Hark Bohm über das Jahr 1945. Diane Kruger spielt die Hauptrolle. In weiteren Rollen sind außerdem Laura Tonke, Detlev Buck und Matthias Schweighöfer mit dabei. Akin ließ vorab verlauten: „Amrum handelt von der Vertreibung aus dem Paradies. Dieser Film war eine Mission, eine Reise in die Tiefen meiner ‚Deutschen Seele‘“. Auch „Amrum“ kommt Anfang Oktober ins Kino.
Überraschenderweise eröffnet das 78. Festival (13.-24.5.2025) mit einem Debütfilm, der nicht so ganz ein Debüt ist. Mit dem charmanten 25 Minuten langen Kurzfilm „Partir un jour“ hatte Amélie Bonnin 2023 den „César“ gewonnen. Darin traf ein junger Schriftsteller, der nach zehn Jahren in sein Heimatdorf zurückkehrt, auf eine junge Frau, in die er einst verliebt war, und sie in ihn. Allerdings hatten sie sich das gegenseitig nie eingestanden. Der Clou besteht darin, dass der Kurzfilm teilweise auch ein Musical ist.
Nun darf die Regisseurin Amélie Bonnin mit dem abendfüllenden Remake von „Partir un jour“ das diesjährige Filmfestival eröffnen. Wenn die Langfassung nur annähernd so bezaubernd ist wie der Kurzfilm, wird das ein echtes Feuerwerk. In den Hauptrollen sind wie schon im Kurzfilm die Sängerin Juliette Armanet besetzt sowie Bastien Bouillon, der 2023 mit dem „César“ als bester französischer Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet wurde, für Dominik Molls exzellenten Thriller „In der Nacht des 12.“
Dieser Film, das künstlerische und kommerzielle Comeback von Moll, lief 2022 nur in einer Nebensektion in Cannes. Mit seinem neuen Polizeithriller „Le dossier 137“ um eine Ermittlerin, die einen Fall von Polizeigewalt aufklären soll, gelingt Moll jetzt erneut der Sprung in den Wettbewerb, wo er vor genau 25 Jahren mit „Harry meint es gut mit dir“ für Furore sorgte.
Alte Meister und Dissidenten
Zu den Filmemachern, die immer wieder nach Cannes eingeladen werden, gehören auch die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne, die mit „Rosetta“ und „L’enfant“ schon zwei Mal die „Goldene Palme“ gewannen. In schöner Regelmäßigkeit präsentieren sie alle drei Jahre ihr neuestes Werk im Wettbewerb. Der jüngste Film „Les jeuness mère“ (Die jungen Mütter) handelt von fünf jungen Frauen, eigentlich noch Teenagern, die in einem Heim für Mütter leben. Die Hauptrollen haben die beiden Brüder erneut mit nichtprofessionellen Darstellerinnen besetzt.
Zu den anderen Wiederkehrern im Wettbewerb zählt auch Wes Anderson, der in „Der phönizische Meisterstreich“ auf eine ganze Phalanx von Hollywoodstars wie Tom Hanks, Scarlett Johansson, Bill Murray, Benedict Cumberbatch, Benicio Del Toro oder Charlotte Gainsbourg setzt. Vielleicht löst Anderson diesmal mit einer Mischung aus Agentenfilm und dysfunktionaler Familienstory wieder das Etikett eines Filmemachers mit einer Vorliebe für „schräge“ Filme ein.
Unter den weiteren Wettbewerbsfilmen findet man neue Werke von Tarik Saleh, der schon mit „Die Kairo Verschwörung“ in Cannes überzeugen konnte, und Sergej Loznitsa, der mit der ukrainisch-deutschen Co-Produktion „Zwei Staatsanwälte“ ins Palmenrennen geht. Loznitsa hat den gleichnamigen Roman des 1987 verstorbenen Schriftstellers Georgy Demidov verfilmt, der in düsterster Stalinzeit angesiedelt ist.
Loznitsa ist auch der einzige Regisseur im Wettbewerb, der aus Osteuropa kommt. Filme aus Polen, Tschechien oder Ungarn finden in Cannes selten Anerkennung. Das ist insbesondere im Fall von Ungarn höchst bedauerlich, weil dort viele junge Filmemacher jenseits der staatlichen Filmförderung beachtliche Independent-Filme drehen. Was Osteuropa betrifft, ist die Berlinale näher am Puls einer jungen Generation als Cannes, wo man gerne auf Altmeister oder russische „Dissidenten“ wie Kirill Serebrennikov setzt, dessen jüngstes Werk „The Disappearance of Josef Mengele“ in der Nebenreihe „Cannes Premiere“ läuft, mit August Diehl in der Hauptrolle.
Ein Herz für Frauen
Charakteristisch für Cannes ist auch, dass dort die Karriere von Schauspielern und in letzter Zeit vor allem von Schauspielerinnen befördert werden, die hinter die Kamera wechseln. In diesem Jahr darf Hafsia Herzi ihren dritten Spielfilm „La petite dernière“ im Wettbewerb zeigen. Und Scarlett Johanssons Regiedebüt „Eleanor the Great“ läuft in der Nebensektion „Un certain regard“.
Wie in den Vorjahren vermisst man Hollywood im Wettbewerb. Nur Tom Cruise darf für seinen wohl letzten „Mission Impossible“ in Cannes wieder die Werbetrommel rühren. „Out of Competition“, versteht sich.
Die Filme beim 78. Festival du Cannes
Eröffnungsfilm
„Partir un jour“ von Amélie Bonnin
Wettbewerb
„The Phoenician Scheme“ von Wes Anderson
„Eddington“ von Ari Aster
„Jeunes Mères“ von Jean-Pierre und Luc Dardenne
„Alpha“ von Julia Ducournau
„Renoir“ von Chie Hayakawa
„The History of Sound“ von Oliver Hermanus
„La petite dernière“ von Hafsia Herzi
„Sirat“ von Oliver Laxe
„New Wave“ von Richard Linklater
„Two Prosecutors“ von Sergei Loznitsa
„Fuori“ von Mario Martone
„O Secreto Agente“ von Kleber Mendonca Filho
„Dossier 137“ von Dominik Moll
„Un simple accident“ von Jafar Panahi
„Die My Love“ von Lynne Ramsay
„The Mastermind“ von Kelly Reichardt
„Mother and Child“ von Saeed Roustaee
„Aigles of the republic“ von Tarik Saleh
„Romería“ von Carla Simon
„Sentimental value“ von Joachim Trier
„In die Sonne schauen“ von Mascha Schilinski
Un certain regard
„Love Me Tender“ von Anna Cazenave Cambet
„La misteriose mirada del flamenco“ von Diego Céspedes
„Météors“ von Hubert Charuel
„My Father’s Shadow“ von Akinola Davies jr.
„L’inconnue de la grande arche“ von Stéphane Demoustier
„Urchin“ von Harris Dickinson
„Homebound“ von Neeraj Ghaywan
„A pale view of hills“ von Ishikawa Kei
„Eleanor the great“ von Scarlett Johansson
„Karavan“ von Zuzana Kirchnerova
„Pillion“ von Harry Lighton
„Un poeta“ von Simón Mesa Soto
„Aisha can‘t fly away“ von Morad Mostafa
„Once upon a time in Gaza“ von Arab und Tarzan Nasser
„O Riso e a faca (Le rire et le couteau)“ von Pedro Pinho
„The Plague“ von Charlie Polinger
„Promised Sky“ von Erige Sehiri
„Le città di pianura“ von Francesco Sossai
„The Chronology of Water“ von Kristen Stewart
„Testa o croce?“ von Matteo Zoppis, Alessio Rigo de Righi
Außer Konkurrenz
„Colours of time“ von Cédric Klapisch
„La Femme la plus riche du monde“ von Thierry Klifa
„Highest 2 Lowest“ von Spike Lee
„Mission: Impossible – The Final Reckoning“ von Christophe Mcquarrie
„Vie privée“ von Rebecca Zlotowski
Midnight Screeings
„Le roi soleil“ von Vincent Mael Cardona
„Honey Don't“ von Ethan Coen
„Dalloway“ von Yann Gozlan
„Exit 8“ von Kawamura Genki
„Songs of the neon night“ von Mak Juno
Cannes Premiere
„Amrum“ von Fatih Akin
„Splitsville“ von Michael Angelo Covino
„Magalhaes“ von Lav Diaz
„Renai saiban“ von Koji Fukada
„The Wave“ von Sebastian Lelio
„Connemara“ von Alex Lutz
„Ástin sem eftir er“ von Hlynur Pálmason
„Orwell: 2+2=5“ von Raoul Peck
„Das Verschwinden des Josef Mengele“ von Kirill Serebrennikov
Special Screenings
„Arco“ von Ugo Bienvenu
„Stories of Surrender“ von Bono
„Tell her that I love her“ von Romane Bohringer
„A Magnificent Life“ von Sylvain Chomet
„Qui brille au combat“ von Joséphine Japy
„Mama“ von Or Sinai
„Amélie et la métaphysique des tubes“ von Mailys Vallade, Liane-Cho Han