Die Bundeskunsthalle in Bonn rückt Leben und Werk der unermüdlichen Denkerin Susan Sontag in den Fokus. Deren Beschäftigung mit der Bildproduktion ist heute relevanter denn je.
Die 1933 in New York geborene Susan Sontag
hat sich immer wieder mit der Bildkultur ihrer Zeit beschäftigt, wobei neben
der Fotografie auch das Kino eine wichtige Rolle spielte. Eine Ausstellung in
der Bundeskunsthalle in Bonn spürt unter dem Titel „Sehen und gesehen werden“
facettenreich dem Verhältnis der fotogenen Denkerin und den Bildmedien nach.
Susan
Sontag hat sich ihr Leben lang
mit der Wirkung von Bildern beschäftigt. Was machen wir mit ihnen, und was
machen sie mit uns? Fragen, die Sontag bereits vor einem halben Jahrhundert
stellte. Es erstaunt deshalb nicht, dass sie auch ihre eigene Außenwirkung
kontrollierte, zumal sie sich ihrer Fotogenität bewusst war und sich der Kamera
mit großer Selbstsicherheit stellte. Öffentlich wirksame Intellektuelle wissen
nicht zu posieren? Nicht in ihrem Fall, wie in der biografischen Schau „Sehen und gesehen
werden“ in der
Bundeskunsthalle in Bonn auf unzähligen Abzügen zu bestaunen ist. Neben namhaften
Fotograf:innen wie Diane Arbus, Richard Avedon, Peter Hujar oder Robert
Mapplethorpe nahm auch Andy Warhol sie gleich mehrfach auf. „Sie sah gut aus“,
so Warhols Urteil, „schulterlanges glattes, dunkles Haar und große dunkle
Augen, und ihre Kleidung saß extrem gut.“
In privater Umgebung
ließ die „Dark Lady of the Intellectuals“ die Maske der überlegenen
Souveränität gelegentlich fallen, etwa in einem Porträt ihrer Lebensgefährtin
Annie Leibovitz aus dem Jahr 1988. Das eine Bein hängt an der Seite des Sofas,
das andere ist über die Rückenlehne geworfen. Der Oberkörper presst sich in die
Sitzfläche, während eine Hand in das schwarze Kopfhaar greift.
In dieser lässigen
Haltung könnte man Susan Sontag eher für einen Rockstar halten als für jene
Denkerin, die über den Reiz der Oberflächen reflektierte, die über die Unsichtbarkeit
von Kranken schrieb und die Mechanismen analysierte, wie unsere bildhafte
Vorstellung von der Welt entsteht. Die aber in dem Buch „Das Leiden anderer betrachten“ angesichts der zunehmenden Verbreitung von Kriegs-
und Gewaltfotos auch vor einer visuellen Abstumpfung warnte.
In Anbetracht der Vielzahl an Porträts erstaunt es, dass Susan
Sontag die Gegenwart der Kamera eigentlich verabscheute. 2001 schrieb sie in
einem Essay, dass sich, immer wenn sie für ein fotografisches Porträt posiere,
ein bedrohliches Gefühl in ihr breit mache, als sei ihr Bewusstsein „nur noch
ein peinlich berührter Klumpen Befangenheit, der um Fassung ringt“. Ob sie
fürchtete, den Erwartungen nicht gerecht zu werden? So wie sie von der
Begegnung mit Simone de Beauvoir enttäuscht war, deren Stimme und rasend
schnelle Sprechart sie nicht mochte.
Immerhin verstand Sontag ihr Leben als ein „Projekt“, an
dem sie sich mit Listen abarbeitete, in denen sie festhielt, was sie an sich
ändern wolle. Weniger essen
etwa, mehr auf ihre Haltung achten. Aber auch für die Gleichbehandlung der
Geschlechter kämpfen, denn Sontag, die ein androgynes Schönheitsideal feierte,
hasste nichts mehr, als für eine „weibliche“ Denkerin gehalten zu werden.
Ein
beachtliches visuelles Vermächtnis
Mit früheren
Ausstellungen der Bundeskunsthalle zu Hannah Arendt oder Simone
de Beauvoir hat auch dieser Parcours trotz aller betörenden Schauwerte,
Wandtexte, Zitate und Tagebuch-Einträge eine anregende Funktion gemeinsam: Ein
vollständiges Bild erhält man nur mit anschließender Lektüre der Werke von
Susan Sontag. Dennoch ist das visuelle Vermächtnis beachtlich. Die Kuratorin
Kristina Jaspers hat die Ausstellung nicht ohne Grund „Sehen und gesehen
werden“ genannt, denn Sontag war der Inbegriff einer Intellektuellen, die sich
lustvoll in der Gesellschaft spiegelte, immer unter dem Vorbehalt, dass eine
Kamera stets das Potenzial habe, die Welt auf Distanz zu halten. „Das Problem
ist nicht, dass die Leute sich mithilfe von Fotos an ein Ereignis erinnern. Das
Problem ist, dass sie sich nur an die Fotos erinnern.“
Was Sontag allerdings nicht daran hinderte, selbst Starporträts
zu sammeln und in dem Essay „Against Interpretation“ aus dem Jahr 1966 eine
„Erotik der Kunst“ zu beschwören - womit sie einen sinnlichen Zugang meinte,
bevor der Intellekt das Gesehene oder Gehörte zu interpretieren beginnt. Für die
multidisziplinär arbeitende Sontag bewegte sich etwa die Musik der Band „Supremes“
auf Augenhöhe mit einem Gemälde von Robert Rauschenberg; eine Gleichsetzung von
Hochkultur und Pop, die auf heftigen Widerspruch traf.
Das Leben der anderen sehen
Zum Kino pflegte Sontag ein beinahe erotisches Verhältnis,
als einem sozialen Raum wie auch einer Schule der Empfindsamkeit, wo man lernen
könne, „wie man sich in Pose wirft, raucht, küsst, kämpft, trauert“. Sontag schaute
sich nicht selten mehrfach täglich Filme an und schrieb zu Filmthemen, wie etwa
über die Science-Fiction B-Movies, in denen sie eine kollektive Angst vor dem
Atomkrieg erkannte. In den 1960er-Jahren erhielt sie auch die Einladung, in
Schweden zwei Filme mit Bergman-Darstellern zu drehen, in die man sich im
Rahmen der Ausstellung vertiefen kann, auf Monitoren und in einem Kinosaal,
auch in zwei weitere ihrer cineastischen Werke.
Das Leben der anderen zu sehen und sich selbst darin zu
erkennen, repräsentierte für Sontag eine Form des Begehrens, die durch zu viel
Schönheit durchaus irregeleitet werden konnte, wie im Fall des fotografischen
Werks von Leni Riefenstahl, das sie unter formalen Gesichtspunkten bewunderte, ehe
sie ihr Urteil unter dem Eindruck des Nuba-Bildbandes
später revidiert, was Riefenstahls Comeback in den USA erheblich erschwerte. Riefenstahls
schriftliche Antwort auf diese Kränkung kann man in einer Vitrine in den
Memoiren nachlesen.
Natürlich wird in der Ausstellung auch die aneckende Aktivistin
nicht ausgelassen, die Vielreisende, die sich vom Vietcong nach Nordvietnam
einladen ließ, in Sarajevo mit einem Jugendtheater probte und über den Krieg im
Irak als „Amerikas öffentliches Gewissen“ schrieb. Einer USA, für die es
höchste Zeit wäre, aus der aktuellen Schockstarre zu erwachen. Die kurzweilige Hommage
an Susan Sontag (1933-2004) ist eine erhellende Inspiration dazu.
Die Ausstellung „Susan
Sontag. Sehen und gesehen werden“in der Bundeskunsthalle
Bonn läuft noch bis zum 28.September 2025. Der Katalog kostet vor Ort 18 Euro.
Er ist auch im Buchhandel oder hier
erhältlich.