© imago/TT (Susan Sontag bei den Dreharbeiten zu "Duet for Cannibals")

Von Fotografie bis Feminismus

Die Bundeskunsthalle in Bonn rückt Leben und Werk der unermüdlichen Denkerin Susan Sontag in den Fokus. Deren Beschäftigung mit der Bildproduktion ist heute relevanter denn je.

Veröffentlicht am
03.04.2025 - 11:17:37
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Die 1933 in New York geborene Susan Sontag hat sich immer wieder mit der Bildkultur ihrer Zeit beschäftigt, wobei neben der Fotografie auch das Kino eine wichtige Rolle spielte. Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn spürt unter dem Titel „Sehen und gesehen werden“ facettenreich dem Verhältnis der fotogenen Denkerin und den Bildmedien nach.


Susan Sontag hat sich ihr Leben lang mit der Wirkung von Bildern beschäftigt. Was machen wir mit ihnen, und was machen sie mit uns? Fragen, die Sontag bereits vor einem halben Jahrhundert stellte. Es erstaunt deshalb nicht, dass sie auch ihre eigene Außenwirkung kontrollierte, zumal sie sich ihrer Fotogenität bewusst war und sich der Kamera mit großer Selbstsicherheit stellte. Öffentlich wirksame Intellektuelle wissen nicht zu posieren? Nicht in ihrem Fall, wie in der biografischen Schau „Sehen und gesehen werden“ in der Bundeskunsthalle in Bonn auf unzähligen Abzügen zu bestaunen ist. Neben namhaften Fotograf:innen wie Diane Arbus, Richard Avedon, Peter Hujar oder Robert Mapplethorpe nahm auch Andy Warhol sie gleich mehrfach auf. „Sie sah gut aus“, so Warhols Urteil, „schulterlanges glattes, dunkles Haar und große dunkle Augen, und ihre Kleidung saß extrem gut.“

Susan Sontag (The Peter Hujar Archive/VG Bild-Kunst)
Susan Sontag (© The Peter Hujar Archive/VG Bild-Kunst)

In privater Umgebung ließ die „Dark Lady of the Intellectuals“ die Maske der überlegenen Souveränität gelegentlich fallen, etwa in einem Porträt ihrer Lebensgefährtin Annie Leibovitz aus dem Jahr 1988. Das eine Bein hängt an der Seite des Sofas, das andere ist über die Rückenlehne geworfen. Der Oberkörper presst sich in die Sitzfläche, während eine Hand in das schwarze Kopfhaar greift.

In dieser lässigen Haltung könnte man Susan Sontag eher für einen Rockstar halten als für jene Denkerin, die über den Reiz der Oberflächen reflektierte, die über die Unsichtbarkeit von Kranken schrieb und die Mechanismen analysierte, wie unsere bildhafte Vorstellung von der Welt entsteht. Die aber in dem Buch „Das Leiden anderer betrachten“ angesichts der zunehmenden Verbreitung von Kriegs- und Gewaltfotos auch vor einer visuellen Abstumpfung warnte.

In Anbetracht der Vielzahl an Porträts erstaunt es, dass Susan Sontag die Gegenwart der Kamera eigentlich verabscheute. 2001 schrieb sie in einem Essay, dass sich, immer wenn sie für ein fotografisches Porträt posiere, ein bedrohliches Gefühl in ihr breit mache, als sei ihr Bewusstsein „nur noch ein peinlich berührter Klumpen Befangenheit, der um Fassung ringt“. Ob sie fürchtete, den Erwartungen nicht gerecht zu werden? So wie sie von der Begegnung mit Simone de Beauvoir enttäuscht war, deren Stimme und rasend schnelle Sprechart sie nicht mochte.

Immerhin verstand Sontag ihr Leben als ein „Projekt“, an dem sie sich mit Listen abarbeitete, in denen sie festhielt, was sie an sich ändern wolle. Weniger essen etwa, mehr auf ihre Haltung achten. Aber auch für die Gleichbehandlung der Geschlechter kämpfen, denn Sontag, die ein androgynes Schönheitsideal feierte, hasste nichts mehr, als für eine „weibliche“ Denkerin gehalten zu werden.


Ein beachtliches visuelles Vermächtnis

Mit früheren Ausstellungen der Bundeskunsthalle zu Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir hat auch dieser Parcours trotz aller betörenden Schauwerte, Wandtexte, Zitate und Tagebuch-Einträge eine anregende Funktion gemeinsam: Ein vollständiges Bild erhält man nur mit anschließender Lektüre der Werke von Susan Sontag. Dennoch ist das visuelle Vermächtnis beachtlich. Die Kuratorin Kristina Jaspers hat die Ausstellung nicht ohne Grund „Sehen und gesehen werden“ genannt, denn Sontag war der Inbegriff einer Intellektuellen, die sich lustvoll in der Gesellschaft spiegelte, immer unter dem Vorbehalt, dass eine Kamera stets das Potenzial habe, die Welt auf Distanz zu halten. „Das Problem ist nicht, dass die Leute sich mithilfe von Fotos an ein Ereignis erinnern. Das Problem ist, dass sie sich nur an die Fotos erinnern.“

Blick in die Ausstellung "Susan Sontag. Sehen und gesehen werden" (Bundeskunsthalle/Simon Vogel)
Blick in die Ausstellung "Susan Sontag. Sehen und gesehen werden" (© Bundeskunsthalle/Simon Vogel)

Was Sontag allerdings nicht daran hinderte, selbst Starporträts zu sammeln und in dem Essay „Against Interpretation“ aus dem Jahr 1966 eine „Erotik der Kunst“ zu beschwören - womit sie einen sinnlichen Zugang meinte, bevor der Intellekt das Gesehene oder Gehörte zu interpretieren beginnt. Für die multidisziplinär arbeitende Sontag bewegte sich etwa die Musik der Band „Supremes“ auf Augenhöhe mit einem Gemälde von Robert Rauschenberg; eine Gleichsetzung von Hochkultur und Pop, die auf heftigen Widerspruch traf.


Das Leben der anderen sehen

Zum Kino pflegte Sontag ein beinahe erotisches Verhältnis, als einem sozialen Raum wie auch einer Schule der Empfindsamkeit, wo man lernen könne, „wie man sich in Pose wirft, raucht, küsst, kämpft, trauert“. Sontag schaute sich nicht selten mehrfach täglich Filme an und schrieb zu Filmthemen, wie etwa über die Science-Fiction B-Movies, in denen sie eine kollektive Angst vor dem Atomkrieg erkannte. In den 1960er-Jahren erhielt sie auch die Einladung, in Schweden zwei Filme mit Bergman-Darstellern zu drehen, in die man sich im Rahmen der Ausstellung vertiefen kann, auf Monitoren und in einem Kinosaal, auch in zwei weitere ihrer cineastischen Werke.

Das Leben der anderen zu sehen und sich selbst darin zu erkennen, repräsentierte für Sontag eine Form des Begehrens, die durch zu viel Schönheit durchaus irregeleitet werden konnte, wie im Fall des fotografischen Werks von Leni Riefenstahl, das sie unter formalen Gesichtspunkten bewunderte, ehe sie ihr Urteil unter dem Eindruck des Nuba-Bildbandes später revidiert, was Riefenstahls Comeback in den USA erheblich erschwerte. Riefenstahls schriftliche Antwort auf diese Kränkung kann man in einer Vitrine in den Memoiren nachlesen.

Natürlich wird in der Ausstellung auch die aneckende Aktivistin nicht ausgelassen, die Vielreisende, die sich vom Vietcong nach Nordvietnam einladen ließ, in Sarajevo mit einem Jugendtheater probte und über den Krieg im Irak als „Amerikas öffentliches Gewissen“ schrieb. Einer USA, für die es höchste Zeit wäre, aus der aktuellen Schockstarre zu erwachen. Die kurzweilige Hommage an Susan Sontag (1933-2004) ist eine erhellende Inspiration dazu.

Susan Sontag 1976 in der Akademie der Künste Berlin (Renate von Mangoldt)
Susan Sontag 1976 in der Akademie der Künste Berlin (© Renate von Mangoldt)

Hinweis

Die Ausstellung „Susan Sontag. Sehen und gesehen werden in der Bundeskunsthalle Bonn läuft noch bis zum 28.September 2025. Der Katalog kostet vor Ort 18 Euro. Er ist auch im Buchhandel oder hier erhältlich.

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