© ZDF/Ella Knorz (Florian Lukas in „Rosenthal“)

Die Show und die Schatten der Shoah

Das ZDF erinnert mit dem Spielfilm „Rosenthal“ und einer Doku an den Entertainer Hans Rosenthal.

Veröffentlicht am
01.04.2025 - 10:45:00
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Am 2. April 2025 wäre der deutsche Fernsehmoderator Hans Rosenthal (1925-1987) 100 Jahre alt geworden. Das ZDF hat zu diesem Anlass neben einer Dokumentation auch den Spielfilm „Rosenthal“ umsetzen lassen, der sich insbesondere Hans Rosenthals Spiel-Show „Dalli Dalli“ widmet, die 1978 mit dem 40. Jahrestag der Pogromnacht kollidierte. Die Bitten des jüdischen Entertainers und Holocaust-Überlebenden, Rücksicht auf das Datum zu nehmen, stießen damals beim Sender auf keinerlei Entgegenkommen. Mit dem Film ist ein verdienstvoller Vorstoß entstanden, auch die eigene Sendergeschichte kritisch zu hinterfragen.


Fernsehsender – oder wie dieser Tage der Senderverbund ARD – feiern ihre eigene Geschichte gerne laut und bunt. Da gilt es, viele Erfolge zu bilanzieren und launige Geschichten zu erzählen. Über die Schattenseiten wird gerne hinweggesehen. Dass es auch anders geht, beweist ein Film, den das ZDF am 7. April ausstrahlt und der zudem seit dem 22. März über die Mediathek des Senders, die nun „Streamingportal ZDF“ heißt, angeschaut werden kann.

Rosenthal“ von Oliver Haffner (Idee/Regie) und Gernot Krää (Buch) erzählt von einem besonderen Moment im Leben des Show- und Quizmoderators Hans Rosenthal, der für das ZDF seit 1971 die Sendung „Dalli Dalli“, für die er selbst eigene Spiele entwickelte, präsentierte. Sie war einer der großen Unterhaltungserfolge des Senders, durchaus vergleichbar mit „Der große Preis“ und später „Wetten, dass…?“. Als im Jahr 1978 die 75. Ausgabe ansteht, soll das kleine Jubiläum gefeiert werden. Dass diese besondere Ausgabe für den 9. November ansteht, stellt für keinen im Sender ein Problem dar.

Denn der Tag, an dem 40 Jahre zuvor die Nazis in Deutschland ein Pogrom gegen Jüdinnen und Juden organisierten und mit Unterstützung von Polizei und selbst der Feuerwehr einen Gewaltexzess betrieben, war im Bewusstsein der jungen Bundesrepublik wenig präsent, was man auch daran erkennen kann, dass das Ereignis damals unter dem verharmlosenden Begriff der „Reichskristallnacht“ in den Geschichtsbüchern geführt wurde. Ein Begriff, den die Nazis selbst als „humoristische“ Umschreibung in die Welt gesetzt hatten.

Das ZDF schätzt seinen Moderator, spielt aber im Zweifelsfall auch seine Macht aus (© ZDF/Ella Knorz)
Das ZDF schätzt seinen Moderator, spielt aber im Zweifelsfall die Machtkarte aus (© ZDF/Ella Knorz)

1978 sollte sich das ändern. Der Zentralrat der Juden lud den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zu einer Rede anlässlich dieses Tages in die Kölner Synagoge ein. Die Ortswahl ist sicher kein Zufall, denn diese Synagoge war 1959 mit Nazi-Parolen beschmiert worden. (Von der Stimmung dieser Zeit mit ihrer latenten Sympathie für die Nazis berichtet der gerade erschienene Kriminalroman „Tanz im Dunkel“ von Max Annas, der in Köln Ende der 1950er-Jahre spielt.)


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Leiser Protest mit großer Überwindung

Hans Rosenthal weist die Verantwortlichen auf diese Terminkollision hin. Der Film zeigt, welche Überwindung es ihn, der von Florian Lukas dargestellt wird, kostet, leise seinen Protest zu formulieren, dass eine Unterhaltungssendung an einem solchen Tag doch nicht das richtige Angebot sei. Im Sender tut man das als eine Art Schrulle des Moderators ab. „Die Menschen wollen nach vorne schauen, und nicht zurück!“, antwortet ihm ein leitender Redakteur, der im Film Dr. Hans Hummel genannt wird und den Hans-Jochen Wagner spielt. Der Film lässt offen, wer mit diesem Mann gemeint ist. Programmdirektor im ZDF ist 1978 seit einem Jahr Dieter Stolte, der später viele Jahre dem Sender als Intendant vorstand. Für Unterhaltung war sein Stellvertreter Peter Gerlach verantwortlich, der dem Mainzer Sender viele Erfolge beschert hat. Für die These, dass Gerlach hinter der fiktiven Figur Hummel stecke, spricht dessen gewisse Bonhomie, die einem Dieter Stolte eher fremd war.

Für Stolte als Vorlage des Dr. Hummel spricht dagegen nicht nur, dass er wie die fiktive Figur promoviert hatte, sondern auch, dass er als Programmdirektor einen Brief an die jüdische Gemeinde verfasst hat, in dem er die Entscheidung, „Dalli Dalli“ an diesem Tag auszustrahlen, noch einmal zu begründen versucht: Wenn der Sender auf die Unterhaltungsshow an einem solchen Tag verzichtet hätte, wäre es durchaus möglich gewesen, dass sich der „Verdruss“ der Zuschauer über die Programmänderung gegen „das Anliegen des Gedenktages“ selbst gerichtet hätte. Ähnlich argumentieren Hummel und sein Vorgesetzter im Film. Stoltes Brief wird in der begleitenden Dokumentation „Hans Rosenthal – Zwei Leben in Deutschland“ von Kai Christiansen, die am 7. April im Anschluss an den Film läuft, zitiert.


Virulenter Antisemitismus in der BRD

Hummel wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Show ignorieren, dass Hans Rosenthal die Gewalt des 9. November als jüdischer Junge miterlebt hatte. Viele wissen noch nicht einmal, dass er anders als sein jüngerer Bruder, der mit anderen Kindern deportiert und im lettischen Riga durch SS-Verbände ermordet wurde, nur deshalb überlebte, weil ihn Berliner Frauen in einer Laubenkolonie unter Lebensgefahr versteckten. Eine dieser Frauen wird im Film mit ihrem realen Namen genannt: Ida Jauch, die von Rike Eckermann gespielt wird. In mehreren Szenen deutet der Film zudem den Antisemitismus an, der in der bundesdeutschen Gesellschaft der 1970er-Jahre unverändert virulent ist. Da wird von „seinen Kreisen“ gemunkelt, wenn von Rosenthal und der jüdischen Gemeinschaft die Rede ist, und er selbst wird als „Jude, aber einer der besseren“ bezeichnet.

Claude Heinrich als junger Hans Rosenthal, der sich vor den Nazis verstecken muss (© ZDF/Ella Knorz)
Claude Heinrich als junger Hans Rosenthal, der sich vor den Nazis verstecken muss (© ZDF/Ella Knorz)

Rosenthal ist zu dieser Zeit ein Star. Er hatte seine Karriere nach der Befreiung durch die Rote Armee im Hörfunk begonnen. Nachdem er im Berliner Rundfunk im sowjetisch besetzten Teil der Stadt mit den politischen Kontrolleuren aneinandergeraten war, wechselte er in den Westsektor zum Sender RIAS, den die USA gegründet hatten und bis 1990 betrieben. Da viele Unterhaltungssendungen, die er entwickelt hatte, von anderen Radioprogrammen übernommen wurden, war Rosenthal weit über Berlin bekannt. Vielleicht die bekannteste Sendung, die er moderierte, war die von ihm weiterentwickelte Quizshow „Allein gegen Alle“, die der RIAS mit den ARD-Anstalten produzierte. In der erst 90-, bald 120-minütigen Sendung stellten pro Sendung drei Kandidatinnen oder Kandidaten jeweils einer Stadt Wissensfragen, die diese in der Sendezeit beantworten mussten. Wurden die Fragen nicht oder nur teilweise richtig beantwortet, ging es für sie in der nächsten Sendung gegen eine größere Stadt, bis am Ende Millionenstädte oder Landeshauptstädte warteten. Eine Sendung, der am Samstagabend viele Menschen zuhörten, als das Fernsehen noch nicht das gesellschaftliche Leitmedium war.

Anders als die Dokumentation, die einige Stationen seiner Radiokarriere benennt, geht der Fernsehfilm auf diese Vorgeschichte nicht ein; er konzentriert sich auf die Ereignisse um den 9. November 1978 und blendet allein auf wenige Szenen aus der Nazi-Zeit zurück, in der etwa Rosenthals Erlebnisse im Berliner Versteck angedeutet werden. Einmal kann er sich in letzter Sekunde noch unter einem Bett verstecken, als ein Polizist die Frau aufsucht, die ihn in ihrer Hütte versteckt. Nur wenige Zentimeter trennen ihn von der Entdeckung. In der Dokumentation wird ein Ausschnitt aus einem Film zitiert, in dem Rosenthal erzählt, dass er damals ein Messer bei sich hatte, und dass er im Fall einer Entdeckung „einen von den Nazis“ mit in den Tod genommen hätte.


Die Scham, überlebt zu haben

Diese Härte fehlt dem Fernsehfilm, der lieber die bunte Fernsehwelt der 1970er-Jahre mit vielen Ausstattungsdetails, den vielen Zigaretten und Zigarren, dem Wein und dem Cognac bereits am Nachmittag, rekonstruiert. Er deutet aber mehrfach an, dass Rosenthal aus manchen Gründen über seine Erlebnisse schwieg. Einer der Gründe mag die Scham gewesen sein, anders als viele Familienangehörige und vor allem der jüngere Bruder die Ermordung der europäischen Juden überlebt zu haben Sein Schweigen, das zeigt der Film, lastet auch auf seiner Familie, mit der er einen Bungalow in Berlin und ein Ferienhaus auf der Nordseeinsel Föhr bewohnte.

Auch die Familien als Hort der Geborgenheit spielt eine wichtige Rolle im Film (© ZDF/Ella Knorz)
Auch die Familie als Hort der Geborgenheit spielt eine wichtige Rolle im Film (© ZDF/Ella Knorz)

Nach Lesart des Films hat Rosenthal erst nach den Diskussionen um die Jubiläumssendung begonnen, seine Erlebnisse und Erfahrungen in seinem autobiografischen Buch „Zwei Leben in Deutschland“, das 1980 erschien, später dann auch in Fernsehsendungen zu thematisieren. In der Dokumentation wird daran erinnert, dass Rosenthal 1983 in einer Ausgabe von „Dalli Dalli“ gegen ein Treffen von Ehemaligen der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ in Bad Hersfeld protestierte; er forderte live im Fernsehen den Bürgermeister der Stadt auf, die Veranstaltung abzusagen. Das führte dazu, dass über 6.000 Menschen gegen das Treffen protestierten.

Als er 1978 die Verschiebung der Show nicht durchsetzen kann, versucht er wenigstens kleine Elemente zu verändern. Statt des üblichen Schlagers wurde nun eine Opernarie gesungen, und er selbst trug einen schwarzen statt eines wild gemusterten Anzugs, wie er damals Mode war. Dass er damit gegen die Anweisung des erwähnten Dr. Hummel verstößt, ist für einen so pflichtbewussten Mann wie Rosenthal eine Rebellion. Dieses Pflichtbewusstsein trennt ihn von der jüngeren Generation in der jüdischen Gemeinde, auch wenn im Film die Darstellung der jungen Frau (Maya Sara Unger), die ihn kritisiert, weil er auf die Moderation der Sendung an diesem Tag nicht verzichtete, allzu schablonenhaft ausfällt.


Immer wieder Erinnerungsmomente an die Leidenszeit

Florian Lukas aber gelingt es, die öffentliche Figur des Moderators, der sein bekanntes Lächeln jederzeit einschalten kann, ebenso gut zu erfassen wie den privaten Menschen, der sich immer wieder an seine Leidenszeit und an den ermordeten Bruder erinnert und dadurch für einen Moment wie gelähmt wird. Diese Erinnerungsmomente bilden im Film die Übergänge zu den Rückblenden aus der Nazi-Zeit, die sich vor allem auf die Jahre im Versteck konzentrieren und beispielsweise auf die harte Zwangsarbeit, die Rosenthal als Jugendlicher in einer Fabrik und als Totengräber verrichten musste, verzichten.

Die aufgekratzte Fröhlichkeit von „Dalli Dalli“ lehnte Rosenthal bei der Sendung am 9.11.1978 ab (© ZDF/Ella Knorz)
Aufgekratzte Fröhlichkeit lehnte Rosenthal bei der Sendung am 9.11.1978 ab (© ZDF/Ella Knorz)

1978 übertrug das ZDF am 9. November tagsüber die Rede von Helmut Schmidt live aus der Kölner Synagoge und strahlte nach der Quiz-Show noch den Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais und eine Diskussionsrunde mit Historikern und Journalisten aus. Ein denkwürdiger Kompromiss, an dem man die Unentschiedenheit der bundesdeutschen Gesellschaft der 1970er-Jahre im Umgang mit der NS-Vergangenheit gut ablesen kann. Es sei daran erinnert, dass der erste Intendant des ZDF, Karl Holzamer, der den Sender bis ins Jahr 1977 leitete, seine Mitgliedschaft in der NSDAP, in der SA und im nationalsozialistischen Lehrerbund nach dem Krieg verschwieg und seine Arbeit für die Propagandakompanie der NS-Luftwaffe verharmloste. Erst 2023 hat das ZDF diese Falschdarstellungen von Holzamer öffentlich korrigiert.

Nach dem herausragenden Film „Kulenkampffs Schuhe“ von Regina Schilling, der 2018 bereits den Zusammenhang der deutschen Fernsehunterhaltung und der Gewaltgeschichte der Nazizeit untersucht und dabei auch von Hans Rosenthal erzählt hatte, ist der Film von Oliver Haffner zusammen mit der Dokumentation von Kai Christiansen ein weiterer verdienstvoller Versuch, Fernsehgeschichte als politische, soziale und ästhetische Geschichte im Fernsehen selbst zu schreiben.

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