© Meridian Hill Pictures ("Holding Liat")

Berlinale 2025: Tilda Swinton, BDS & die Geiseln der Hamas

Der Streit um Antisemitismus und den Nahost-Konflikt lässt sich aus der Berlinale nicht heraushalten. Am besten ist er in den Filmen aufgehoben, die davon erzählen

Aktualisiert am
18.02.2025 - 11:12:55
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Bei der Pressekonferenz zur Verleihung des Goldenen Ehrenbären sorgte die sonst so stilsichere Tilda Swinton mit einer Sympathiekundgebung für die anti-israelische BDS-Kampagne für Missklänge. Im Berlinale-Programm eröffnet hingegen der Dokumentarfilm „Holding Liat“ einen differenzierteren Blick auf die Lage in Nahost.


Kein Antisemitismus auf der Berlinale! Das ist der Anspruch, den die neue Festivalchefin Tricia Tuttle formuliert hat. Nachdem 2024 bei der Preisverleihung einseitig pro-palästinensische und anti-israelische Statements unwidersprochen blieben, soll Tuttles erste Berlinale ein Ort des Dialoges sein: „Je mehr die Debatte sich radikalisiert, desto dringender brauchen wir einen Ort für differenzierte Gespräche“. Dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen ist aber gar nicht so einfach, wie sich schon in den ersten Berlinale-Tagen zeigt.


Viel zu viele Statements

Statt des Dialogs steht fast zwanghaft das Statement im Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Filmschaffende äußern sich auf Festivalbühnen oder bei Pressekonferenzen zu den Dingen, die ihnen wichtig sind, aus ihrer jeweils eigenen Perspektive heraus. Vertiefende Gespräche darüber, Widerspruch und Differenzierung kommen dabei kaum zustande. Das kann für Missklänge sorgen.

Ausgerechnet die strahlende Tilda Swinton, die in diesem Jahr mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet wurde, demonstrierte das bei der Pressekonferenz, als sie Bewunderung und Respekt für die BDS-Kampagne („Boykott, Desinvestition und Sanktionen“) bekundete, die zur wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Isolierung Israels aufruft. Nachdem sich Swinton am Vorabend in ihrer Dankesrede anlässlich der Preisverleihung noch allgemein gegen Lagerbildung, Ausgrenzung und Krieg geäußert und das Kino als utopischen Ort der Verständigung und einer Horizonterweiterung beschworen hatte, stand nun eine verletzende Einseitigkeit im Raum und sorgte prompt für einen ersten Aufreger der 75. Berlinale.


Lasst die Filme sprechen!

Gescheitert ist das Festival als Ort des Dialogs damit aber nur, wenn solche Statements das Einzige sind, was hängenbleibt. Das aber wäre jammerschade. Denn die Berlinale ist wie alle Filmfestivals primär keine Plattform für Statements, sondern eine für Filme. Sie sollen es sein, die Zuschauer auf- und anregen, zum Nachdenken und Nachfragen und ins Gespräch miteinander bringen. Also warum nicht über einen Film wie „Holding Liat“ anstelle von Swintons BDS-Sympathien sprechen, der im „Internationalen Forum des jungen Films“ läuft? 

"Holding Liat" befasst sich mit dem Schicksal einer der israelischen Geiseln, die am 7. Oktober 2023 von der Hamas verschleppt wurden. Am Beispiel der Familie der Geisel Liat Beinin Atzili demonstriert er genau das, was Tuttle sich fürs ganze Festival wünscht: nämlich die Bereitschaft, differenzierte Gespräche zu führen und Komplexitäten und Kontroversen auszuhalten, ohne in Hass zu verfallen.

Neben „A Letter to David“, einem filmischen Brief des Filmemachers Tom Shoval an den ebenfalls von der Hamas als Geisel verschleppten Schauspieler David Cunio, ist „Holding Liat“ einer der Beiträge, mit denen die Berlinale 2025 dem Versagen bei der Preisverleihung 2024 begegnet, angesichts pro-palästinensischer Parteinahmen kein Wort zu dem Terrorakt der Hamas und die Geiselnahme verlauten zu lassen. Der Filmemacher Brandon Kramer begleitet die Angehörigen der israelisch-amerikanischen Lehrerin Liat Beinin Atzili, die zusammen mit ihrem Mann Aviv wie David Cunio aus dem Kibbuz Nir Oz entführt wurde, durch die quälende Phase der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen, aber auch des Kampfes, um Liats Freilassung zu erwirken.

David Cunio und sein Zwillingsbruder Eitan Cunio in "A Letter to David" (Orit Azoulay)
David Cunio und sein Zwillingsbruder Eitan Cunio in "A Letter to David" (Orit Azoulay)

Der führt Liats Vater Yehuda und einen ihrer Söhne bis in die USA, um die politische Unterstützung der Biden-Administration zu gewinnen. Und findet schließlich ein Ende, das gleichermaßen glücklich wie niederschmetternd ist. Zwar kann die Familie Liat wieder in die Arme schließen; doch Liats Mann Aviv ist tot und wird schmerzlich betrauert.

Brandon Kramer, der mit den Beinins verwandt ist, hat nicht nur einen Film gedreht, der die Traumata des Terrorüberfalls und der Geiselnahme spürbar macht; er eröffnet auch einen komplexen, einen äußerst nachdenklichen Blick auf die Gewaltspirale im Nahen Osten. Das lieg nicht zuletzt an den Beinins selbst, die über ihren eigenen Schmerz hinaus die Geschichte und gegenwärtige Situation ihres Landes kritisch und kontrovers reflektieren und in der Lage sind, auch das Leid der palästinensischen Bevölkerung nicht auszublenden.


An der Hoffnung festhalten

Vor allem Liats Vater Yehuda erweist sich als beeindruckend streitbare Persönlichkeit, die einerseits zutiefst desillusioniert ist, nicht zuletzt von der Regierung Netanjahu. Andererseits aber hält er hartnäckig an der Hoffnung fest, dass es für Israelis und Palästinenser möglich sein müsse, miteinander umzugehen, ohne sich gegeneinander immer nur auslöschen zu wollen.

„Holding Liat“ ist ein Film, der wesentlich mehr zu sagen hat, als in ein Statement bei einer Pressekonferenz passt. Dass kurz nach der Berlinale-Premiere von „Holding Liat“ drei weitere Männer aus der Geiselhaft der Hamas freigelassen wurden, ist eine gute Nachricht. Das Schicksal des Schauspielers David Cunio, der 2013 mit dem Film „Youth“ auf der Berlinale zu Gast war, ist derweil weiter ungewiss. Bei der Eröffnung der Berlinale erinnerten deutsche Filmschaffende, unter anderem Julia von Heinz, Andrea Sawatzki und Ulrich Matthes, am roten Teppich mit Fotos des Schauspielers an dessen Schicksal.

David Cunio, Eitan Cunio in "Youth" (Port au Prince)
David Cunio, Eitan Cunio in "Youth" (Port au Prince)

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