Jahrestage wie die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar stellen die Medien vor die Herausforderung, an etwas zu erinnern, an das Jahr für Jahr gedacht wird. Wie vom Zivilisationsbruch erzählen, von dem die einen nichts wissen und die anderen nichts mehr wissen wollen? Und dabei die Würde der Überlebenden wahren, die sich im hohen Alter einmal mehr dem Schrecken der Vergangenheit stellen? Wie gut oder weniger gut das gelang, ließ sich am 80. Jahrestag der Befreiung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD, ZDF und arte studieren.
Gedenk- und Jubiläumstage sind für Massenmedien insofern ideal, dass sie sich lange im Voraus planen lassen. Ihr Nachteil besteht in einer gewissen Redundanz; im Abstand der Jahre wiederholt sich vieles. Wie also umgehen beispielsweise mit dem 27. Januar 2025, dem Tag, an dem sich die Befreiung des Vernichtungslagers Ausschwitz durch die sowjetische Armee zum 80. Mal jährte?
Die Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF eröffneten immerhin damit ihre Ausgaben. „heute“ stellte einen Bericht von der zentralen Gedenkfeier im heutigen Oświęcim an den Anfang. Der kurze Film von Dominik Lessmeister beginnt mit dem Hinweis, dass immer weniger Zeitzeugen am Leben seien. Dazu sind hochbetagte Männer und Frauen zu sehen, die sichtbar bewegt an den Ort ihres Leids zurückkehrten. Eine von ihnen, Tova Friedman, berichtet in einer auf Englisch gehaltenen Rede von diesem schrecklichen Leid. Im Bericht sind nur Fragmente ihrer Rede zu hören, denn es müssen auch die Staatsmänner und -frauen vorgestellt werden, die zu diesem Anlass nach Polen gereist sind. In einer Großaufnahme ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu sehen und sein ukrainischer Kollege Wolodymyr Selenskyi.
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Appell für mehr Toleranz
Vor ihnen appelliert auf Polnisch ein anderer Überlebender, Leon Weintraub, der sich vor allem an die Jugendlichen der Welt richtet: „Seid wachsam für Erscheinungsformen der Intoleranz“, so die Übersetzung des Reporters. Eine weitere Überlebende, Barbara Doniecka, wird beim Gang durch die Gedenkstätte gezeigt. Die Polin stellt „einen kleinen Engel“ auf einer der Lagerpritschen ab. Anschließend spricht Natalie Steger, die im Untertitel als „ZDF Reporterin in Auschwitz“ bezeichnet wird, wohlgemeinte, aber sprachlich missglückte Sätze in die Kamera wie: „Wohl kein Land war so sehr betroffen von den Verbrechen der Deutschen wie Polen.“ Sie wiederholt die Mahnung für „Mehr Toleranz weltweit“.
Anschließend verweist Barbara Hahlweg unter dem Stichwort
„Erinnerungskultur“ im Mainzer Studio darauf, dass etwa 49 Prozent der Menschen
in Deutschland nicht wüssten, dass in der Nazi-Zeit „rund 6 Millionen Juden
ermordet“ worden seien. Um dem entgegenzuwirken, geht eine
Auschwitz-Überlebende wie Eva Szepesi in Schulen, wie man im anschließenden
Bericht erfährt, um junge Menschen über die Massenmorde und den Antisemitismus
aufzuklären. Sie nahm auch an der Gedenkfeier in Polen teil, wie ein
abschließendes Bild zeigt. Barbara Hahlweg verweist noch auf eine Dokumentation
mit dem Titel „Judenhass in Deutschland“, die in der ZDF-Mediathek zu
sehen sei. Nach 6 Minuten 19 Sekunden ist das Thema abgehakt.
Weltweit erstarken nationalistische Kräfte
Die ARD hatte nachmittags live von der Gedenkfeier in Polen berichtet. Die „Tagesschau“ um 20.00 Uhr beginnt unvermittelt mit Worten von Margot Friedländer, die in einer Großaufnahme ihres Gesichtes zu sehen ist: „Was war, können wir nicht mehr ändern. Aber es darf nie wieder geschehen. Die Demokratie, die Menschlichkeit. Es gibt kein christliches, kein muslimisches oder kein jüdisches Blut: Es gibt nur menschliches Blut. Wir sind alle gleich. Wir kommen auf die gleiche Art und Weise auf die Welt, also respektiere die Menschen.“ Dann ist Constantin Schreiber zu sehen, der Sprecher der Nachrichtensendung, der erst die 103 Jahre alte Margot Friedländer vorstellt, die im Konzentrationslager Theresienstadt die Nazi-Zeit überlebte, ehe er die Zuschauerinnen und Zuschauer zur „Tagesschau“ begrüßt.
Dort folgt dann der Bericht von der Gedenkfeier in Polen, den Anke Hahn hergestellt hat. Er ist inhaltlich reichhaltiger als der vom ZDF-Reporter, auch weil die Zitate aus den Reden umfassender ausfallen. Am Ende werden junge Menschen befragt, die an der Gedenkveranstaltung teilnahmen; wie haben sie den Appell von Leon Weintraub empfunden? Eine junge Frau erklärt auf Polnisch, dass durch das Erstarken von intoleranten, nationalistischen Bewegungen weltweit „das Risiko immer größer wird“, dass Menschen Leid angetan werde. Die Nachrichtensendung kehrt nun zu Margot Friedländer zurück. Ein Bericht von Griet von Petersdorff rekapituliert ihr Leben, das manchem aus dem eindrücklichen Dokudrama „Ich bin! Margot Friedländer“ bekannt ist.
Ungewöhnlich auch der Schluss des Berichts. Die Reporterin hatte Friedländer gefragt: „Sie haben Angst, dass es wiederkommt“? Die Befragte, die wie zu Beginn in der Großaufnahme zu sehen ist, sagt erst „Ja“, dann schweigt sie für mehrere Sekunden, wie es in einer Nachrichtensendung, die ja stets zu viel Stoff für zu wenig Zeit hat, komplett unüblich ist. Dann sagt sie nachdenklich: „Ich glaube, nicht mehr in diesem krassen …“. Sie hält inne, ohne den Satz zu vollenden. Sie ringt um Worte, ehe sie fortfährt: „Ich weiß es nicht.“ In der Abmoderation verweist Constantin Schreiber auf die „Tagesthemen“, die an diesem Abend ein Gespräch mit einem Auschwitz-Überlebenden zeige. Nach 7 Minuten 32 Sekunden folgt das nächste Thema.
Arte präsentiert an diesem Abend eine Filmfassung des
Bühnenstücks „Die Ermittlung“ von Peter Weiss, die der Regisseur RP Kahl
inszeniert hat und 2024 auch im Kino zu sehen war. Der karge Film, der ganz den
Worten vertraut, die der Schriftsteller Weiss einst beim Frankfurter
Auschwitz-Prozess mitgeschrieben hatte, dauert vier Stunden. Etwas kürzer war
die Filmversion, die Peter Schulze-Rohr in der
NDR-Fernsehspiel-Redaktion von Egon Monk 1966 für die ARD inszenierte und die
man im Internet finden kann.
Das Gift der Routine
Bedauerlich, dass der deutsch-französische Kultursender erst um 21.45 Uhr mit der Ausstrahlung des Films von Kahl begann, die so erst weit nach Mitternacht endete. Zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr strahlte arte den Kriegsfilm „U 23 – Tödliche Tiefen“ von Robert Wise aus, der vom Kampf eines US-amerikanischen U-Boots 1942 in den Gewässern vor Japan erzählt. Eine Programmierung, über die sich wahrlich diskutieren lässt. Der Film „Die Ermittlung“ von RP Kahl bot an diesem Abend in seiner szenischen Reduktion eine angemessene Form, sich eines Themas anzunähern, das man nicht im Nebenbei und in der Routine des Fernsehbetriebs abhandeln kann. Dass so etwas ausnahmsweise im Nachrichtengeschäft doch möglich ist, zeigte die „Tagesschau“-Ausgabe dieses Tages.