© imago/ZUMA Press (David Lynch)

Labyrinth der Gleichzeitigkeit

Zum Tod des US-amerikanischen Regisseurs David Lynch (20.1.1946-15.1.2025)

Veröffentlicht am
17. Januar 2025
Diskussion

Er war der große Surrealist des US-amerikanischen Kinos. Für seine auf Zelluloid gebannten Rätselfilme wie „Lost Highway“ oder „Mulholland Drive“ wurde er gleichermaßen verehrt wie gehasst. Mit „Twin Peaks“ hat er die Fernsehserie revolutioniert. David Lynch hat wie kaum ein anderer Filmemacher seinen eigenen mystischen Kosmos geschaffen, der trotz all der Dunkelheit von einer eigentümlichen Liebe durchzogen war.


And no more shall we part

All the hatchets have been buried now

And all of birds will sing to your beautiful heart

Upon the bough

(Nick Cave, And No More Shall We Part)


Nur langsam schält sich ein Mensch aus der Dunkelheit. Er zieht an einer Zigarette. Die Glut erhellt die müden, beinahe erschlagenen Gesichtszüge. Alles ist von einer gedämpften Langsamkeit durchzogen, als würde man durch Wasser waten. Mit einem penetranten Surren rollt sich die Jalousie auf. Dann klingelt es an der Tür. Fred (Bill Pullman) sagt kein Wort, nimmt lediglich eine Nachricht entgegen, mit der er offensichtlich nichts anzufangen weiß: „Dick Laurent ist tot.“ Dick wer? Mit diesem Rätsel beginnt „Lost Highway“ (1997), der abgründige Noir-Thriller über Eifersucht und die Möglichkeiten fremder Leben im eigenen Haus. Auch das Jahr 2025 beginnt mit einer solchen Nachricht: David Lynch ist tot.

Es gibt diese Menschen, bei denen der Tod eine absolute Unvorstellbarkeit ist. Der US-amerikanische Regisseur, Künstler und Musiker war einer davon. Und doch hat es jetzt auch ihn ereilt. Das Ende des Lebens. Bester Gesundheit war er schon lange nicht mehr. Das Atmen fiel ihm in den letzten Jahren zunehmend schwerer. Er litt an einem Lungenemphysem. Die intensiven Jahrzehnte dieses kreativen Lebens waren von einer innigen Liebe zu Kaffee und Zigaretten erfüllt, die man auch in seinen Filmen findet – Koffein und Feuer und Rauch.


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Wie kaum ein anderer hat er das Rauchen als ästhetische Haltung zelebriert. In seinem postmodernen Road-Movie-Märchen „Wild at Heart“ (1990) hören Nicolas Cage und Laura Dern gar nicht mehr damit auf, als hinge die Liebe zwischen Sailor und Lula davon ab. In einem seiner letzten Social-Media-Posts warnte Lynch zwar vor den Gefahren des Tabakmissbrauchs. Er selbst aber würde es immer wieder tun: Es gehörte zu einer Künstlerexistenz dazu.

Dies ist indessen mehr als eine nette Anekdote über ein Leben: Ein Raucher nimmt eine Haltung ein. Lynch hat auf die gleiche Weise Kunst gemacht, wie er geraucht hat. Für Jean-Paul Sartre war es eine Unmöglichkeit, damit aufzuhören, weil mit der Zigarette gleichsam die gesamte Welt verbrenne, der Philosoph einen Moment reiner, schöpferischer Zeit erhalte. Das Einatmen wird zum Durchatmen, dieses mit Tabak gefüllte Stück Papier zu einem Medium der Kontemplation. Da mag der drohende Tod sein, aber immer auch die Schöpfung.

David Lynch in der Rolle von John Ford in "Die Fabelmans" (imago/Prod.DB)
David Lynch in der Rolle von John Ford in "Die Fabelmans" (imago/Prod.DB)

Bei Lynch flammt in der grandiosen Titelsequenz von „Wild at Heart“ ein Streichholz auf und entzündet die Leinwand, lässt sie in einem Flammenmeer aufgehen, aus dem sich die Namen der Schauspieler erheben: Die Welt verbrennt, doch Nicolas Cage tanzt in seiner Schlangenlederjacke ekstatisch herum. In „Twin Peaks: The Return“ (2017) tritt ein unheimlicher Holzfäller aus der Dunkelheit der Wüste auf den vom Autolicht erhellten Highway und fragt ein völlig konsterniertes Ehepaar nach Feuer. Selbst die Untoten müssen rauchen.


Kein Abgrund, nirgendwo

Das Werden und das Vergehen, das Helle und das Dunkle, der albernste Witz und der brutalste Mord. Das Eine im Anderen, mit dem Anderen oder durch das Andere. So gesehen gab es nie auch nur ein einziges Rätsel in Filmen wie „Mulholland Drive (2001) oder „Inland Empire“ (2006). Jeder Film von Lynch war ein besonderer Ausdruck dieser vereinten Gegensätze, die er in wundersamen Labyrinthen auseinanderlegte, bei denen es nichts zu erklären gibt. Alles ist immer schon da.

Da gab es diesen einen Vorfall in der Kindheit, den er immer wieder gerne geteilt hat. Auch weil er ihn in „Blue Velvet“ (1986) und dann in der Pilotfolge von „Twin Peaks“ (1990) re-imaginiert hat. Eines Tages, Lynch und sein Bruder spielten vor dem Haus, ging plötzlich eine nackte und offensichtlich verletzte Frau vorbei. So erschreckend und verstörend diese Begegnung auch gewesen sein mag – sie zeigt auch, dass die Möglichkeit des Bösen eine nackte Alltäglichkeit besitzt. Diese Alltäglichkeit war das große Thema von David Lynch. Immerzu gelang es ihm, den unscheinbarsten Dingen einen Zauber oder einen Schrecken zu entlocken. Die Fotografien von Schneemännern, wie sie einsam vor typischen US- Häusern stehen, gehören zu den unheimlichsten Arbeiten, in denen all die Widersprüche eingefroren scheinen: das Spiel der Kindheit und die Gestalt im Schrank, unter dem Bett oder eben vor dem Haus.

Aber keine Rätsel, niemals. Lediglich das Mysterium des Lebens, wie es uns mitreißt, verführt und entzweit. Noch aus der größten Zärtlichkeit entspringt mitunter das unerbittlichste Begehren. Laura Palmer (Sheryl Lee), das erste Mordopfer im metaphysisch-schrulligen Kosmos von „Twin Peaks“, wird immer schon mehr als die unschuldige High-School-Schönheit gewesen sein. Sheriff Truman (Michael Ontkean) aber will es nicht glauben, als der Agent Cooper (Kyle MacLachlan) im Tagebuch der Verstorbenen Spuren von Kokain und einen Schlüssel zu einem Bankschließfach findet. Egal wie gut wir unsere dunklen Geheimnisse auch verstecken oder wegschließen, sie sind Teil dieser Welt.


Zärtliche Dunkelheit

Darin liegt der warme Trost, den die Filme von Lynch trotz ihrer beängstigenden Dunkelheit immer spenden: Stets begegnete er dem Horror mit einer Zärtlichkeit, sah in der filmischen Gewalt eine Schönheit. Zeitlebens wehrte er sich gegen das Klischee des leidenden Künstlers, der an der Welt verzweifle. Die Abgründe sind keinem Abgrund entsprungen. Lynch war ein dionysischer Charakter, der in allem, was er anpackte, der Intensität des Lebens nachspürte. Für den Schmerz hatte er ein verschmitztes Lächeln übrig. Und genau deshalb vermochte er dem Leiden seiner Figuren eine ungemeine Empathie entgegenzubringen, weil er ihre Verzweiflung bis zur Grenze der Lächerlichkeit treiben lässt.

David Lynch bei der Premiere von "Wild at Heart" 1990 in Cannes (imago/Bestimage)
David Lynch bei der Premiere von "Wild at Heart" 1990 in Cannes (imago/Bestimage)

Als Sarah Palmer (Grace Zabriskie) am Telefon mit ihrem Mann Leland (Ray Wise) den Tod ihrer Tochter realisiert, ergreift ein unmenschliches Schluchzen Besitz von ihr. Sie wird förmlich stillgestellt im Schrei, der eine Theatralik annimmt, weil er sich vom Körper losgelöst hat. Nicht Sarah schreit. Es ist der Schrei, der sie schreit. Diese Szene geht einem durch Mark und Bein. Sie ist lächerlich und kitschig. Sie ist erhaben und zärtlich.

Alle Figuren im Kosmos von Lynch werden in Extremsituation auf diese Weise inszeniert. In „Wild at Heart“ erstarrt Lula in den Händen von Bobby Peru (Willem Dafoe), der sie mit obszönen Worten missbraucht. Ihr ganzer Körper stülpt sich in Erregung und Abscheu nach außen. Gerade weil Lynch das Risiko dieser Lächerlichkeiten eingeht, berühren diese Momente: Der Mensch ist lächerliches und obszönes Tier, das die Kontrolle verliert. Lynch ist der Regisseur, der es verstand, die Lust der Lust, den Schmerz des Schmerzes und die Gewalt der Gewalt auf Zelluloid zu bannen. Es ist okay, sagen die Bilder.


Zärtlichkeit auch in den schrecklichsten Momenten

Einen Film von Lars von Trier ein zweites Mal zu schauen – so großartig sie auch sein mögen – kostet Überwindung. Ihnen wohnt keine Zärtlichkeit inne. Vielmehr handelt es sich um Angriffe gegen das Publikum. Lynch aber umarmt uns noch in den schrecklichsten Momenten. Die obszöne Brutalität von Dennis Hoppers Frank in „Blue Velvet“ oszilliert zwischen kindlicher Verletzlichkeit und missbräuchlicher Männlichkeit.

Am Höhepunkt einer Nacht zerrt Frank den völlig verängstigten Jeffrey (Kyle MacLachlan) aus dem Auto. Mit von Lippenstift verschmierten Lippen küsst er den jungen Mann. Das Küssen, diese Geste der Zärtlichkeit, wird ein kannibalischer Übergriff. Frank scheint Jeffrey verschlingen zu wollen, hinterlässt aber gleichzeitig Spuren in seinem Gesicht. Dann beginnt er den Text des Roy-Orbison-Klassikers „In Dreams“ zu zitieren: In dreams I walk with you / In dreams I talk to you / In dreams you′re mine all of the time / We’re together in dreams, in dreams.

Eine Liebesszene, wie sie nur von David Lynch stammen kann: eine Verschlingung zweier Charaktere. Gegensätzlich und doch vereint, einander spiegelnd. Ein jeder begehrt das jeweils Andere im Gegenüber. Frank mag eine brutale, eine schreckliche Figur sein – doch sie ist kein Monster. Sie ist verletzlich, und Lynch gibt ihr eine Seele – und sei diese auch nur erträumt.

David Lynch (20.1.1946-15.1.2025)
David Lynch (20.1.1946-15.1.2025)

Nun ist David Lynch im Alter von 78 Jahren gestorben. Vielleicht ist es eine tröstende Vorstellung, dass er irgendwo in unseren geteilten Träumen in einem roten Raum sitzt, wo er gemeinsam mit Harry Dean Stanton, seinem vor ein paar Jahren verstorbenen Weggefährten und Freund, schweigend raucht. David, it was a hell of a ride.


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