Während der Olympischen
Spiele in München nahmen am 5. September 1972 palästinensische Terroristen Mitglieder
des israelischen Teams als Geiseln. In „September 5“ schildert Regisseur Tim Fehlbaum die Ereignisse aus Sicht von Sportjournalisten des US-Senders ABC und
umkreist damit einen mediengeschichtlichen Markstein: Es war das erste Mal,
dass live von einem Terroranschlag berichtet wurde. Der Film soll auch zum
Nachdenken anregen, wie man selbst Nachrichten konsumiert, betont Fehlbaum im
Interview.
Wo waren Sie am 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Überfalls auf Israel?
Tim Fehlbaum: Bei der Arbeit, in der Postproduktion von „September 5“. Wir haben gerade die Tonmischung im Studio gemacht.
Da drehen Sie einen Film über die erste große palästinensische Attacke auf israelische Zivilisten – und dann passiert das wieder, im großen Maßstab. Hätten Sie danach etwas an Ihrem Film ändern wollen?
Tim Fehlbaum: Wie hätten wir können? Wir hatten den Film geschrieben, gedreht und geschnitten.
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Haben Sie in diesem Moment daran gedacht, dass dieses Ereignis eine Auswirkung darauf haben würde, wie man Ihren Film sieht?
Tim Fehlbaum: Oh ja, natürlich. Es war mir völlig bewusst, dass das aktuelle Weltgeschehen einen Einfluss darauf haben musste, wie der Film wahrgenommen wird. Ich glaube dennoch, dass unser Film zuallererst ein Film über Medien und ein Film über einen ganz bestimmten historischen Tag ist, und ein Film, der aus einer ganz bestimmten Sicht erzählt wird, der berichterstattender Journalisten. Er soll zum Denken anregen, wie man selbst Nachrichten konsumiert, und eine Vorstellung von der Komplexität von Krisenberichterstattung geben.
Eine der wesentlichen Entscheidungen, die Sie von Anfang an zu treffen hatten – und die nach dem 7. Oktober noch dringlicher war – bestand in der Frage, wie Sie von den Akteuren des Schwarzen September reden wollten. Sie merken, ich bemühe mich um eine neutrale Formulierung.
Tim Fehlbaum: In unserer Recherche kam zum Ausdruck, dass damals genau diese Diskussion geführt worden ist. Die Recherche hat auch ergeben, dass während des Münchner Attentats zum ersten Mal der Begriff „Terrorist“ im Fernsehen verwendet wurde. Wir haben versucht, diese Diskussion von damals nachzuerzählen. Nun verwenden wir in unserem Film viel Archivmaterial von ABC, und damit verwenden wir auch das Vokabular der Journalisten von damals.
Was haben die Reporter von ABC damals gesagt?
Tim Fehlbaum: Teilweise haben sie „Guerillas“ gebraucht, auf Englisch „commando guerillas“, eine damals übliche Bezeichnung.
Also eine Mischung aus einem militärischen Begriff, „commando“, und den lateinamerikanischen Befreiungskämpfern, den Guerillas. Wer verwendet in Ihrem Film den Begriff „Terrorist“?
Tim Fehlbaum: Die meisten sagen "terrorists", auch Jim McKay, der legendäre Sportreporter. Peter Jennings, der einzige in diesem Team aus Sportjournalisten, der aus der Nachrichtenabteilung kam, rät dazu, den Begriff „commando guerillas“ zu verwenden.
Wie lief bei euch die Debatte, welche Terminologie die Richtige wäre?
Tim Fehlbaum: Wir erzählen alles streng aus der Perspektive dieser Journalisten und können die Terminologie auf den alten Bändern nachhören. Es wäre absurd und nicht authentisch, den Männern jetzt andere Begriffe in den Mund zu legen.
Euer Film hatte Weltpremiere auf dem Festival von Venedig im September. Viele Filme wandern von dort gleich weiter zum Festival im kanadischen Toronto. Dort wart ihr aber nicht im Programm, obwohl „September 5“ einer der Top-Filme in Toronto gewesen wäre.
Tim Fehlbaum: Er lief dort, aber nur in geschlossenen Vorführungen für Teilnehmer des Filmmarkts, Käufer und Verleiher. Wir sind stattdessen direkt von Venedig nach Telluride geflogen, ein renommiertes Festival in den USA. Telluride ist ein ganz besonderes Festival, in einem kleinen Bergdorf, wo sich im Winter nur Skitouristen tummeln, da wurden wir auf den Straßen angesprochen, dort hat der Film wohl sein Momentum bekommen. Daraufhin hat sich Paramount entschieden, ihn herauszubringen.
Was hat euch die Beteiligung von Sean Penn als Produzent gebracht?
Tim Fehlbaum: Zunächst: Es
war nicht nur Sean Penn, es waren auch John Palmer und John Wildermuth, und vor allem aus
Deutschland Thomas Wöbke und Philipp Trauer und das
ganze Team von Constantin, die sich als wahnsinnig kreative
Produzenten herausgestellt haben. Natürlich ist es als europäische Produktion
nicht einfach, eine amerikanische Besetzung von diesem Kaliber zu gewinnen. Da
ist Penn ein Türöffner. Wenn du eine Email schreibst, in der „produced by Sean
Penn“ steht, bekommst du innerhalb von Minuten eine Antwort, sonst kommt
manchmal wochenlang keine oder nie eine.
Ihr habt viel Originalmaterial aus dem Archiv von ABC. War Penn dafür auch ein Wegbereiter?
Tim Fehlbaum: Da hat Bob Iger, der Präsident von Disney, dem ABC gehört, eine wichtigere Rolle gespielt. Wir wollten unbedingt Jim McKay in dem Film haben, und zwar das Original, keinen Schauspieler in seiner Rolle. Es war superschwierig, die Lizenz für sein Archivmaterial zu bekommen, und ich habe leicht dramatisch gesagt, wenn wir diese Lizenz nicht kriegen, brauchen wir den Film nicht zu machen. Wir haben dann Hilfe von dem großen TV-Sportproduzenten Geoffrey Mason bekommen – von dem echten, der immer noch sehr vernetzt ist –, und es kam eine glückliche Fügung hinzu. Ich habe viel Recherche in Fernsehstudios betrieben, weil ich die Stimmung dort mitbekommen wollte, und eines Nachmittags war ich bei der Übertragung des Fußball-WM-Finales im Studio von CBS Sports. In den Gängen erblickte ich plötzlich Sean McManus, den früheren Chef von CBS Sports. Ich habe ihn angesprochen: „Guten Tag, ich bin Filmemacher aus Europa und in unserem neuen Projekt spielt ihr Vater – Jim McKay – eine wichtige Rolle. Können wir sprechen?“ McManus war als Teenager 1972 während des Attentats in München, und er hat uns den Segen gegeben bei der Rechteanfrage. Das war sicher mitentscheidend.
Es gibt nicht so viele Filme, die hinter den Kulissen von Fernsehsendern spielen…
Tim Fehlbaum: Auf jeden Fall „Network“ von Sidney Lumet. Es gibt Filme aus dem Newsroom, aber eine wichtige Inspiration für mich war „United 93“, in dem Passagiere an 9/11 verhindern, dass die Entführer ihr Flugzeug ins Pentagon steuern. Paul Greengrass‘ Film wird lange aus der Perspektive des Flugkontrollraums erzählt, so wie ich das Attentat aus der Perspektive des Kontrollraums von ABC auf dem Olympiagelände erzähle. Beides sind Geschichten aus der Perspektive eines Apparats, der durcheinandergerät.
Ich habe das Attentat als Kind schon medial mitbekommen, aber mir war nicht klar, dass es ein entscheidender Wendepunkt in der Medienberichterstattung gewesen ist.
Tim Fehlbaum: Das war mir vor der Recherche auch nicht bewusst. Ich kannte den Dokumentarfilm „One Day in September“, und darin spielen die Medien eine gewisse Rolle, sind aber nicht der Fokus. Die Münchner Spiele waren ja schon vor dem tragischen Ereignis ein Wendepunkt der Mediengeschichte. Zum ersten Mal wurde eine Olympiade live per Satellit in die ganze Welt übertragen, denn die Deutschen wollte das Bild des neuen, liberalen Deutschland überall in die Welt aussenden. Dafür wurden sämtliche Wettkampfstätten für TV-Übertragungen optimal ausgestattet. Es wurde ein enormer technischer Apparat aufgebaut – der dann von einer Minute auf die andere auf Krisenberichte umschwenken musste. Es war auch das erste Mal, dass die Ich-Perspektive der Reporter eine derart große Rolle gespielt hat; vorher war das eher neutral-distanziert.
Die Rolle von Medien ist ja vielen erst bei der Geiselnahme von Gladbeck klargeworden.
Tim Fehlbaum: Das war noch absurder, weil die Medien ständig näher am Geschehen waren als die Polizei; auf eine Art eine Weiterführung des Olympia-Attentats.
Die Geiselnehmer von München konnten auf Fernsehgeräten in dem israelischen Apartment ABC empfangen und damit auch sehen, was die Polizei draußen unternahm.
Tim Fehlbaum: Die Polizei hat einen Einsatz abgebrochen, aber es ist nicht erwiesen, dass dies an den Fernsehbildern lag. Es ist wahrscheinlicher, dass es an der Überforderung der Polizisten lag, die für solch einen Einsatz nicht ausgebildet waren. Was wir aber von Geoffrey Mason wissen: Die Polizei ist ins ABC-Studio gestürmt und hat die Techniker aufgefordert, die Kameras auszuschalten.
Die Berichterstattung haben Reporter besorgt, die ein paar Stunden vorher noch über Schwimmen oder Volleyball geredet haben. So etwas würde es heute nicht mehr geben. Aber war das so schlecht?
Tim Fehlbaum: Eine interessante Überlegung. Diese Journalisten sind dem Ganzen mit einem unvoreingenommenen, vielleicht sogar unschuldigen Blick begegnet und haben einfach abgebildet, was passiert ist. Sie haben nicht groß reflektiert, sondern einfach reagiert.
Hören Sie oft, dass es doch schon einen Film über das Attentat gebe, „Munich“ von Steven Spielberg? In manchen Kritiken wird ihr Film „der kleine Cousin von Spielberg“ genannt.
Tim Fehlbaum: Das höre ich zuweilen. Aber „Munich“ spielt ja kaum in München, sondern auf der Jagd nach den Hintermännern des Attentats danach. Im Übrigen: Ich bin gerne der kleine Cousin von Spielberg.