Es ist nie genug, aber immer von Neuem wichtig, dass man sich für Menschenrechte engagiert. Der in den 1990er-Jahren ins Leben gerufene Menschenrechtsfilmpreis ehrt filmische Arbeiten, die zum Verständnis der Menschenrechte beitragen und sich in aktuelle Debatten einmischen. Bei den 2024 ausgezeichneten Beiträgen ging es nicht zuletzt um Fragen von Migration und Integration.
Mit der Verleihung in den sechs Kategorien – Langfilm, Kurzfilm, Non-Professional, Hochschule, Magazin und Bildungspreis – fand der 14. Wettbewerb des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises am 7. Dezember in Nürnberg seinen feierlichen Abschluss. Die sechs Preise sind mit je 2.500 Euro und einer individuell angefertigten Statue dotiert. Moderator Christoph Süß führte souverän durch das Programm und sorgte dafür, dass trotz der schweren und oft belastenden Filminhalte die Veranstaltung zu einer Feier von Engagement und Kreativität geriet.
Direkt zu Beginn stellte Süß, der schon mehr als zehn Jahre die seit 1998 stattfindende Veranstaltung begleitet, die Frage nach der Wirksamkeit solcher Filmpreise. Über den Satz, dass Menschenrechte immer eingefordert und ihre Einhaltung unterstützt werden solle, lasse sich ja schnell Einigkeit erzielen. Aber hat dieses Einfordern die weltweite Situation der Menschenrechte verbessert?
Der Blick in den aktuellen Amnesty-Bericht zur Lage der Menschenrechte spricht eine andere Sprache: „Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind weltweit so bedroht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zahlreiche Regierungen beschädigen mit Verstößen gegen das Völkerrecht und durch die Missachtung grundlegender Rechte die internationale Ordnung. Sie stellen die Universalität der Menschenrechte infrage, während Kriege und Konflikte, wachsende soziale Ungleichheit und die sich zuspitzende Klimakrise den Schutz der Rechte aller Menschen erfordern.“
Schnell scheint also das Verdikt der Vergeblichkeit im Raum zu stehen. Aber, so Christoph Süß, das alles sei ihm an solch einem Abend „wurscht“. Denn das „Dennoch“ zählt: Dennoch muss die Ungerechtigkeit angeprangert und dagegen vorgegangen werden. Dennoch müssen Geschichten über Menschen erzählt werden, die sich für die Menschenrechte einsetzen und die durch ihr Handeln sicherlich etwas bewirken, wenngleich die Situation sich auf den ersten Blick oft nicht entscheidend verändert.
Die eigene Geschichte erzählen
Im Zentrum der Preisträger-Beiträge stand oft das Schicksal Geflüchteter und Fragen nach gesellschaftlicher Integration oder der Blick auf das Versagen von Institutionen oder Strukturen. Erzählt wurde aber nicht ausschließlich von Niederlagen, sondern auch von Erfolgen und Fortschritten.
Gleich in der ersten Preiskategorie „Non Professional“ wurde zwar die Problematik gesellschaftlicher Integration von geflüchteten Menschen thematisiert, doch der Titel deutet bereits einen erfolgreichen Prozess an: „Alles gehört zu dir“, eine Dokumentation von Hien Nguyen und Mani Pham Bui, zeigt am Beispiel von Yen Nguyen, wie schwer es ist, einfach dazuzugehören und zugleich auch der eigenen Herkunft und Familie gerecht zu werden. Erst als junge Erwachsene gelang es Yen Nguyen, „beide Welten“ – das Kind vietnamesischer Vertragsarbeiter und in Deutschland geboren zu sein – in ihrer Biografie zu integrieren. Alle Erfahrungen gehören zu ihr, sowohl Ausgrenzung und Unterschiede als auch Freundschaft und Gemeinsamkeiten.
Der Film ist ein sehr berührendes, eindringliches Statement für die Akzeptanz von Anderssein. Dazu beigetragen hat, dass der Bruder der Protagonistin mit Regie führte und selbst im Film auftritt. Das Programm „Dreh’s um“ der Filmhochschule Babelsberg, in welcher der Film entstand, will nicht nur Ansporn sein, sich überhaupt an das Drehen von Filmen zu wagen, sondern es wird auch zu einem Perspektivwechsel eingeladen.
In der durchaus als „elitär“ erfahrenen Filmhochschule sollen junge Menschen, die eben nicht zum üblichen Kreis der Filmemacher:innen gehören, die Gelegenheit erhalten, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Es soll nicht über sie, sondern durch sie erzählt werden, was ihre Geschichte ausmacht und was sie bewegt.
Veränderungsprozesse anstoßen
Einen Perspektivwechsel hat auch die Dokumentation „Hausnummer Null“ von Lilith Kugler im Blick. Das Porträt des jungen, heroinabhängigen Chris, der als Obdachloser an einer Berliner S-Bahn-Haltestelle lebt, führt in dessen Perspektive und Leben hinein; die Regisseurin schaut nicht aus der Distanz zu oder gar weg. Durch den Verzicht auf Emotionalisierungen oder einen erhobenen Zeigefinger verdichtet Kugler ihre Beobachtungen zu einer unaufgeregten Bestandsaufnahme, unterstützt durch eine eindringliche Kameraarbeit.
Das Filmprojekt mündete zudem in einer Kampagne, mit der durch den Einsatz von „Hausnummer Null“ in Bildungszusammenhängen versucht wird, das Thema Obdachlosigkeit präsent zu halten und Veränderungen anzustoßen. Die Regisseurin hat weiter Kontakt zu Chris und berichtete, dass der im Film bereits begonnene Weg in ein Leben, wie Chris es sich wünscht, von ihm fortgesetzt wird.
In jeder Person zuerst den Menschen sehen
Die Kategorie „Bildungspreis“ greift auf alle eingereichten Formate zu. In diesem Jahr war der Kurzfilm „Fünfzehn Minuten“ von Sejad Ademaj der Gewinner. Der Regisseur berichtete, dass das Thema Abschiebung, welches sein Film am Beispiel einer Familie behandelt, auch in seinem persönlichen Umfeld eine Rolle gespielt habe. Der Titel bezieht sich auf die Aussage der Polizisten, die nachts plötzlich in der Wohnung der nur „geduldeten“ Familie Salihovic stehen, dass ihnen lediglich fünfzehn Minuten blieben, um für die bevorstehende Abschiebung die nötigsten Dinge einzupacken.
In der Laudatio wies das Jurymitglied Claudia Lohrenscheit auf die intensive Diskussion zum Film innerhalb der Jury hin: „Ist ein Film, der gleich zwei harte Themen behandelt – Abschiebung und selbstverletzendes Verhalten – überhaupt für Schülerinnen und Schüler geeignet?“ Die Preisvergabe zeigt, dass die Jury diese Frage positiv beantwortet, es sich aber nicht leicht gemacht hat. Beide Themen seien für jüngere Menschen hoch relevant. Und dies gerade in einer Zeit, in der Politiker sich in Debatten zu Migration und Zuwanderung mit negativen Aussagen zu überbieten versuchen. So ist dieser herausfordernde Film ein anspruchsvolles Medium in der Bildungsarbeit und ein gelungener Beitrag zur Förderung der Menschenrechte beziehungsweise des Bewusstseins, in jeder Person zuerst einen Menschen zu sehen.
Die „Monitor“-Redaktion sorgte dann mit dem Beitrag „Migrationskrise? Eine Gemeinde zeigt, wie es geht“ für eine Wendung der Perspektive auf Migration und Geflüchtete ins Positive. Die beiden Journalisten Herbert Kordes und Julius Baumeister stellen mit der oberbayerischen Gemeinde Hebertshausen, die fünfmal so viele Geflüchtete aufnimmt wie vorgesehen und zugleich gelungene Formen der Integration und Betreuung gefunden hat, ein positives Beispiel für Migration vor. Hierfür gewannen sie den Preis in der Kategorie „Magazin“. Der Bürgermeister von Hebertshausen, Richard Reischl, beantwortete die Frage von Christoph Süß nach dem speziellen Geheimnis der Gemeinde mit dem Hinwies, dass es darum gehe, den jeweils anderen weder als Geflüchteten oder Hilfesuchenden noch als Empfänger von Sozialleistungen, sondern immer zuallererst als Menschen zu sehen. Mittlerweile hat die Verfahrensweise der kleinen Gemeinde dank des Fernsehbeitrages zahlreiche Nachahmer gefunden.
Der Dokumentarfilm „Zelle 5 - Eine Rekonstruktion“ von Mario Pfeifer, Gewinner in der Kategorie „Kurzfilm“, führt das tragische Schicksal eines Geflüchteten vor Augen. Im Mittelpunkt des Films stehen jedoch Versagen und Fehler zahlreicher Personen und Institutionen. Der an Händen und Füßen gefesselter Asylbewerber Oury Jalloh stirbt am 7. Januar 2005 bei einem Brand in der Zelle Nummer Fünf eines Dessauer Polizeireviers. Der Regisseur Mario Pfeifer rekonstruiert den Todesfall anhand von Gerichtsdokumenten, Zeugenaussagen und audiovisuellen Archiven und kann mit Hilfe des Forensikers Iain Peck schließlich sogar eine Klage der Familie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unterstützen. Das Medium Film verhilft hier der Suche nach Gerechtigkeit zu einem langen Atem.
Sich nicht entmutigen lassen
Der Gewinner in der Kategorie „Langfilm“ ist die Dokumentation „Sieben Winter in Teheran“. Darin geht es um Reyhaneh Jabbari, die sich als 19-Jährige bei einem Geschäftstreffen mit einem neuen Kunden gegen einen Vergewaltigungsversuch wehrt und den Täter in Notwehr ersticht. Reyhaneh wird verhaftet, des Mordes angeklagt und zum Tode verurteilt. Dank heimlich aufgenommener Videos, die von Reyhanehs Familie zur Verfügung gestellt wurden, ihrer Zeugenaussage, der Briefe, die Reyhaneh im Gefängnis geschrieben hat, und anderer Archive zeichnet die Regisseurin Steffi Niederzoll den Prozess, die Inhaftierung und das Schicksal dieser Frau nach, die zum Symbol des Widerstands wurde.
Die Mutter der im Oktober 2014 hingerichteten Reyhaneh bittet auf der Bühne in Nürnberg das Publikum um ein Gedankenexperiment, damit alle sich in die emotional schreckliche Situation hineinfühlen können; ein Familienmitglied sei zum Tode verurteilt und man werde gezwungen, für immer Abschied zu nehmen. Was ein Mensch für die von der Hinrichtung bedrohte Person tun möchte, das solle man festhalten und sich immer wieder daran erinnern, wenn es darum geht, beim Kampf für Menschenrechte niemals zurückzuweichen und sich trotz aller Ohnmachtsgefühlen nicht entmutigen zu lassen.
Deshalb lohnt es sich, noch einmal auf die Frage nach der Wirkung zu schauen. Das Projekt Menschenrechtsfilmpreis hat seit seiner Gründung eine enorme Wirkung entfaltet. Der Wettbewerb wird von einem Trägerkreis aus über 20 Organisationen der Zivilgesellschaft getragen, darunter Menschenrechts-, Bildungs-, Kultur- und Medienorganisationen, konfessionelle Einrichtungen, Gewerkschaften sowie Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Trägern. Die Keimzelle des Wettbewerbs in seiner heutigen Form bildeten das Nürnberger Menschenrechtszentrum, die Evangelische Medienzentrale Bayern, der Kirchliche Entwicklungsdienst Bayern, die Missionszentrale der Franziskaner in Bonn, das Bildungszentrum der Stadt Nürnberg, Pro Asyl Frankfurt, Amnesty International Bonn sowie Missio Aachen.
Mit 420 Filmeinreichungen hat sich die Zahl der Beiträge im Vergleich zum Gründungsjahr verzehnfacht. Ähnliches gilt für die Wahrnehmung des Preises in Gesellschaft und Öffentlichkeit. So konnte für die Preisverleihung in diesem Jahr die Schauspielerin Katja Riemann als Patin gewonnen werden.
Für den Veranstalterkreis des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises bedeutet das: Auf jeden Fall weitermachen. Helfen, Menschenrechtsverletzungen sichtbar zu machen und für Menschenrechtsthemen zu sensibilisieren.
Die Gewinner der 14. Menschenrechtsfilmpreise
Kategorie Langfilm: „Sieben Winter in Teheran“ von Steffi Niederzoll
Kategorie Kurzfilm: „Zelle 5 – Eine Rekonstruktion“ von Mario Pfeifer
Kategorie Magazin: „Migrationskrise? Eine Gemeinde zeigt, wie es geht“ von Julius Baumeister, Herbert Kordes
Kategorie Hochschule: „Hausnummer Null“ von Lilith Kugler
Kategorie Non Professional: „Alles gehört zu dir“ von Hien Nguyen, Mani Pham Bui
Kategorie Bildung: „Fünfzehn Minuten“ von Sejad Ademaj