© imago/Prod.DB (Barbara Loden in "Wanda")

Disziplin & Kontrolle: "Wanda"

Im SKS-Blog "Disziplin & Kontrolle" (XI) geht es um den Autorinnenfilm "Wanda" von Barbara Loden, in dem die Filmemacherin Reflexionen aus einem beschädigten Leben miteinander verleimt

Veröffentlicht am
11. Dezember 2024
Diskussion

Eine historische Betrachtung des Heist-Movies fördert viele interessante Werke zutage, wobei die Dominanz von Männern unter den Regisseuren gegenüber Frauen erdrückend ist. Um dies zumindest exemplarisch aufzubrechen, wendet sich der neue Beitrag des Blogs „Disziplin & Kontrolle“ dem Autorinnenfilm „Wanda“ (1970) von Barbara Loden zu, in dem sich eine unzufriedene Frau an einen Kleinkriminellen hängt. Dabei wird sie zur sprachlosen, passiven Mittäterin, deren Körper aber dennoch auf seiner Existenz beharrt.



Meine über das Jahr 2024 hin veröffentlichten Texte zum Heist-Movie zeichnen den Wandel eines Genres vor dem Hintergrund der Veränderungen der es hervorbringenden Gesellschaften nach. Angefangen bei John Hustons „Asphalt-Dschungel“ (1950), einem Produkt der Disziplinargesellschaft, setzt sich meine skizzenhafte Chronologie der filmischen Raubüberfälle bis zu Jacques Audiards „Lippenbekenntnisse“ (2001) fort, dessen Bildwelt vom verflüssigten Herrschaftsmodus der Kontrolle geschliffen wurde.

An diesem Punkt halte ich es für notwendig, die bisherige Dramaturgie der Auseinandersetzung mit dem Genre zu ändern und einen Rücksprung in das Jahr 1970 zu wagen. Der Grund dafür ist das männliche Monopol des filmischen Raubs. Bei den neun bisher untersuchten Filmen handelt es sich außer Kathryn Bigelows „Gefährliche Brandung“ (1991) ausschließlich um von Männern inszenierte Heist-Movies.

Dass fast ausschließlich Filme von Männern sich zum Genre-Kanon kristallisiert haben, mag an Hürden der von den produktionell aufwendigen Handlungsabläufen bedingten Abhängigkeit der Filmindustrie und ihren Entscheidungsträgern sowie auch an Hürden der Kuration – sowohl der Filmgeschichtsschreibung generell als auch meiner Auswahl im Spezifischen – liegen. Um dieser Schieflage etwas entgegenzuwirken, möchte ich über einen Film nachdenken, der unter dem Stichpunkt des filmischen Raubs vielleicht nicht unmittelbar ins Auge springt.


Im toten Winkel

Wanda“ (1970) ist ein Autorinnenfilm. Er wurde geschrieben, inszeniert und in der Hauptrolle gespielt von Barbara Loden. Es hat keinen Sinn, über „Wanda“ zu schreiben, ohne die Produktionsbedingungen des Films zu umreißen. In einem Gespräch mit Marguerite Duras erzählt Elia Kazan, der Ehemann der früh an Brustkrebs verstorbenen Barbara Loden, dass das Budget nur 160.000 US-Dollar betrug und die Crew lediglich aus dem von der dokumentarischen Form kommenden Kameramann Nicholas T. Proferes, einem Tonmann, einem Lichttechniker und einem Assistenten bestand. Die Abwesenheit der technischen Maschinerie, die für gewöhnlich eingesetzt wird, um einen Film herzustellen, nötigte oder befähigte Loden, über weite Strecken mit natürlichem Licht auf den Straßen zu drehen sowie größtenteils Laiendarsteller:innen zu besetzen. Die Abwesenheit der Maschinerie schenkte Loden die notwendige Leichtigkeit, um das Nomadentum der von ihr selbst dargestellten Protagonistin, ihr zielloses Umherdriften, zu fotografieren, ohne es im Akt des Abbildens zu zerdrücken. Wie eine Insektensammlerin weiß Loden ihre erzählerische Nadel mit äußerster Sorgfalt in den Körper jener Existenzweise zu stechen, die sie mit ihrem Film präpariert.

Wie eine Insektenforscherin: Barbara Loden in "Wanda" (Foundation for Filmmakers)
Wie eine Insektenforscherin: Barbara Loden in "Wanda" (© Foundation for Filmmakers)

Wanda hat genug. Sie will nichts mehr von ihrer bisherigen Lebensform wissen, einer sich um andere sorgenden Mutterschaft, wie sie von ihrer Schwester personifiziert wird. Zu Beginn des Films erwacht sie auf der schwesterlichen Couch im Eingangsbereich eines Hauses, das sich direkt neben einer Kohlemine in Pennsylvania befindet. Auf der Lehne liegen eine Packung Zigaretten und ein Aschenbecher. Wanda hat ihren Ehemann verlassen. Zum Gerichtstermin, bei dem es um die Scheidung und das Sorgerecht geht, erscheint sie verspätet, die Lockenwickler noch im Haar, in der Hand eine Zigarette („No smoking!“). Sie sucht Arbeit in einer Näherei, wird aber abgewiesen. Ein Mann, der aussieht wie einer, der für eine Versicherung arbeitet, zahlt die Kneipenrechnung, nimmt sie mit in ein Motel, setzt sie danach an einer Eisdiele ab und fährt davon.

Im Kino, in das es Wanda sodann zieht und in dessen Innern sie einschläft, wird ihr die Handtasche gestohlen. In einer leeren Kneipe trifft sie auf Mr. Dennis (Michael Higgins), der, ohne dass Wanda es bemerkt, gerade dabei ist, den unter dem Tresen geknebelt liegenden Barkeeper auszunehmen. Weil Wanda sonst keine Pläne hat, hängt sie sich an den autoritären Kleinkriminellen, der sie schließlich gewähren lässt, weil er in ihr eine potenzielle Ressource für einen von ihm geplanten Banküberfall sieht.


Situiertes Wissen

Es ist kein Zufall, dass Barbara Loden sich selbst in ihrem ersten und einzigen Film inszeniert. Ebenso wie es kein Zufall ist, dass Chantal Akerman sich in „Ich, du, er, sie“ (1974) selbst spielte, oder dass Nina Menkes in ihrem Debüt „Magdalena Viagra“ (1986) die Hauptrolle mit ihrer Schwester Tinka Menkes besetzte. In den Worten der Theoretikerin Donna Haraway: „Nur diejenigen, die die Positionen der Herrschenden einnehmen, sind selbstidentisch, unmarkiert, entkörpert, unvermittelt, transzendent und wiedergeboren.“ Denen, die aus den Peripherien oder den Tiefen sprechen – und das taten Loden, Akerman und Menkes, damals wie heute –, bliebe nichts weiter übrig, als vom eigenen Körper auszugehen, auf der eigenen Differenz zu beharren, sich in der eigenen Idiosynkrasie zu situieren, weil sie im vermeintlich Universellen (männlich, weiß, bürgerlich, heterosexuell und so weiter) sowieso nur vorkommen können als das Andere. „Die neuen Wissenschaften, die der Feminismus begehrt“, so Haraway, „sind Wissenschaften und Politiken der Interpretation, der Übersetzung, des Stotterns und des partiell Verstandenen.“ Loden zerstottert die tragische Genre-Struktur des Heist-Movies (Planung, Überfall, Nachspiel), indem sie ihre Wanda als sprachlose Mittäterin inszeniert, über der das sich Ereignende ebenso unvermittelt hereinbricht wie über ihr Publikum.

"Ich, du, er, sie" von Chantal Akerman (imago/Capital Pictures)
"Ich, du, er, sie" von Chantal Akerman (© imago/Capital Pictures)

Lodens Film verleimt Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Er macht Kintsugi, eine traditionelle japanische Reparaturtechnik für zerbrochenes Keramik, in der die zerbrochenen Scherben mit einer goldenen Kittmasse wieder zusammengefügt werden; die Bruchlinien werden dabei nicht verhehlt, sondern als ästhetischer Gewinn ausgestellt. Es sind Bilder von eben jener ausgearbeiteten Spezifizität, Differenz und liebenden Fürsorge, von der Haraway schreibt. Ebenso insistiert Wandas Körper auf seiner Existenz. Ihre Haut tut es, wenn sie entkleidet und misshandelt wird; ihr Magen tut es, wenn er sich vor dem Überfall in der Toilette des Motels entleert; ihr Kinn tut es, wenn es bekleckst wird von Tomatensoße, weil Wanda ihre Spaghetti auf ungelenke Weise mit einer Gabel aufspießt und zum Mund balanciert, ohne die Nudeln zuvor um das Besteck zu wickeln.

So sehr insistiert Lodens Körper auf einer Existenz, die das „universelle“ Erzählkino abzuschmirgeln gewohnt ist, dass Marguerite Duras sich zu dem Ausspruch veranlasst sah: „Das Wunder liegt für mich nicht im Schauspiel. Es liegt darin, dass sie [Barbara Loden] in dem Film sogar mehr sie selbst zu sein scheint, zumindest für mich – ich habe sie nicht gekannt –, als sie im Leben gewesen sein muss. Sie ist im Film noch realer als im Leben; es ist ein vollkommenes Wunder.“


Literaturhinweis

Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie. Von Elvira Scheich (Hrsg). Hamburger Edition, Hamburg 1996.


Zum Siegfried-Kracauer-Stipendium

Das Blog „Disziplin & Kontrolle“ von Leo Geisler über die Wandlungen im Heist-Genre entsteht im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums, das der Verband der deutschen Filmkritik zusammen mit MFG Filmförderung Baden-Württemberg, der Film- und Medienstiftung NRW und der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) jährlich vergibt.

Die einzelnen Beiträge des aktuellen Stipendiums, aber auch viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.

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