Unter den deutschen Fernsehkrimis stechen die Filme des Regisseurs Lars Becker durch ihre ambitionierte Machart, ihre gebrochenen Figuren und ihre geradlinigen Plots heraus. Seit mehr als zwanzig Jahren schreibt und inszeniert Becker für das ZDF diverse Langzeitreihen, zuletzt lieferte er den vierten Teil um den von Armin Rohde gespielten „guten Bullen“. In „Heaven can wait“ bekommt es der von Leben und Arbeit gezeichnete Kommissar neben dem erwartbaren Mordfall auch mit einer fatalen Diagnose zu tun.
Im Einerlei dessen, was das ZDF seit Jahren mehrheitlich auf dem Fernsehfilmtermin am Montag um 20.15 Uhr an Krimis anbietet, fallen sie auf. Filme, die Lars Becker als Regisseur und Drehbuchautor seit vielen Jahren für den Mainzer Sender und dessen Produktionstochter Network Movie herstellt.
Denn seine Filme sind bereits
nach wenigen Einstellungen und Szenen zu erkennen: Die Dialoge kommen ohne die
üblichen Erklärungen aus, sind schnörkellos und situativ. Die Handlung wird
schnell vorwärtsgetrieben, und für szenische Arabesken bleibt keine Zeit. Die
Figuren werden nicht mit psychologischem Ballast beladen; sie werden durch ihre
Handlungen charakterisiert. Der jeweilige Plot strebt seinem Ziel nicht nach
klassischem Drei-Akt-Muster zu und benötigt auch keine Peripetie, die sich bei
vielen anderen Fernsehfilmen nach spätestens 75 Minuten einstellt. Und die
Bilder sind dunkler als gewöhnlich und zeigen besondere Ansichten der
Stadtgesellschaften von Hamburg oder Berlin, in denen die Filme spielen.
Es sind meist Genrefilme, die aber anders als gewöhnlich ordentlich durchgearbeitet sind, mit starken Figuren aufwarten und deren Handlungen selbst dann ungewöhnlich erscheinen, wenn man sie so oder so ähnlich schon gesehen haben mag. Kurz gesagt: Lars Becker ist neben Dominik Graf der beste deutsche Krimi-Regisseur.
Das alles konnte man am 25.
November erneut beobachten, als der Film „Der gute Bulle -Heaven can wait“
im ZDF lief. Er war zuvor bereits im Februar von arte ausgestrahlt worden, da
sich der deutsch-französische Kultursender an der Finanzierung vieler Filme des
Regisseurs beteiligt. In der ZDF-Mediathek ist er bis November 2025 zugänglich.
Diese Folge stammt – wie der Titel bereits besagt – aus einer Serie um einen
ungewöhnlichen Polizisten, der einerseits mit der Schmähvokabel „Bulle“ bedacht
wird, die aber andererseits durch das in diesem Zusammenhang ungewöhnliche
Adjektiv „gut“ relativiert wird. Armin Rohde spielt in diesem
Film Fredo Schulz, den „guten Bullen“, bereits zum vierten Mal.
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Der erste Auftritt: Torkelnd in der Nordsee
Das erste Mal tauchte er 2017
in einem Film auf, der so hieß, wie man vermutlich erst
anschließend die Serie benannte, von der dann alle zweieinhalb Jahre eine neue
Produktion herauskam. (Auch die erste Folge „Der gute Bulle“ ist online
verfügbar) Sein erster Auftritt im ersten Film war fulminant: Fredo Schulz
torkelt in einem Trenchcoat durch das Wasser der Nordsee, in der Hand eine
Schnapsflasche, aus der er trinkt, wenn er nicht in den Wind schreit: „Hol mich
doch, hol mich doch!“ Ein Mann, der mit seinem Leben abgeschlossen hat, ist der
erste Eindruck. Da ereilt ihn der Ruf seiner alten Dienststelle in Berlin, die
ihn wegen seines Alkoholismus suspendiert hatte. Man braucht ihn im Fall von
verschwundenen Kindern.
Ein Blick in die Ferienhütte, in der er haust, zeigt seiner Kollegin und seinem Kollegen, die ihn wieder in Dienst stellen wollen, dass er von seiner Arbeit nicht lassen konnte, denn an den Wänden hängen lauter Hinweise auf ungelöste Fälle. Schneller und einfacher kann man keine Figur eines Fernsehkrimis charakterisieren: Fredo Schulz mag wie ein gebrochener Mensch erscheinen, doch er ist zäh und wird nicht aufhören, bis ein Fall gelöst ist; es sei denn, man beurlaubt ihn, oder er stellt sich selbst ein Bein. Beispielhaft das zentrale Bild dieser Eingangssequenz, bei der Armin Rohde seinen schweren Körper durch das bewegte Meer schiebt, als er dann doch Land gewinnen will, um wieder als Kriminalbeamter in Berlin tätig zu werden.
Fredo Schulz bleibt in den Filmen ein Außenseiter, ist aber kein Einzelgänger. Er arbeitet durchaus in einem Team mit, das ihm aber wie die Vorgesetzten nicht auf all seinen Wegen als Ermittler folgt. Eine Zeit lang scheint er abstinent zu sein, um dann wieder einen Rückfall zu erleiden. Er teilt gerne aus, setzt seinen massigen Körper immer wieder ein, dem er so viel, manchmal zu viel zumutet. Er löst seine verwickelten Fälle, aber das hilft ihm seelisch nicht unbedingt, denn die Taten, die er aufklärt, kann er ja nicht ungeschehen machen. Die Melancholie desjenigen, der oft zu spät kommt, ist ihm in ruhigen Momenten, zu denen es auch in den action- und temporeichen Filmen immer mal wieder kommt, anzumerken. Und gelegentlich wird es in den Off-Kommentaren, in denen Schulz in dieser Folge über sich Auskunft gibt, sogar ausgesprochen.
Zu Beginn von „Heaven can wait“ verschärft sich die Situation von Fredo Schulz. Ein Arzt sagt ihm, dass seine Bauchschmerzen, über die er seit längerem klagt und die er mit Medikamenten zu unterdrücken versucht, auf eine Darmkrebserkrankung zurückzuführen sind. Da der Tumor bereits gestreut hat, müsse er schleunigst eine Strahlen- und Chemotherapie antreten, wolle er seine Lebenszeit um mehr als drei Monate verlängern. Der Kommissar reißt daraufhin sein Hemd auf, um dem Arzt die Narbe einer schweren Schussverletzung zu zeigen, die er einst ebenso überlebt habe, wie er nun den Krebs zu überleben gedenkt. Aber er ist seit dieser Diagnose und auf Grund der fortschreitenden Erkrankung schwer angeschlagen. Wie er trotzdem am Ende den Mann, der hinter den Verbrechen innerhalb eines Drogenkartells steckt, überwältigt, das ist von Becker ebenso gut ausgedacht, wie von Armin Rohde grandios gespielt.
Der ruhende Pol in „Nachtschicht“
Der Schauspieler gehört zur
Stammbesetzung einer anderen Polizei-Serie, die Lars Becker für das ZDF 2003
entwickelt hatte: „Nachtschicht“ erzählte in bislang 18 Folgen
von der Arbeit einer Einheit des Kriminaldauerdienstes in Hamburg. Während
andere Darstellerinnen und Darsteller wie Barbara Auer oder Ken Duken irgendwann ausstiegen, blieb Rohde
der Serie als ruhender Pol erhalten. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass in
jeder Folge die Ereignisse einer Nacht geschildert werden, was Zeit für
Nebengeschichten und für atmosphärische Szenen lässt. In der bislang letzten
Episode „Die
Ruhe vor dem Sturm“, die 2022 das erste Mal ausgestrahlt wurde, wird in
Hamburg auf Grund einer Orkanwarnung der Notstand ausgerufen. Wie das zu einer
Beschleunigung der ohnehin schon absurden Ereignisse, für die zwei entsprungene
Menschenaffen mitverantwortlich sind, und zu Szenen voller Schrecken und Komik
führt, ragte selbst aus dieser qualitativ hochwertigen Serie heraus.
Mit „Nachtschicht“ und „Der gute Bulle“ hat es Lars Becker nicht bewenden lassen. Der Regisseur, der mit Gangsterfilmen wie „Bunte Hunde“ (1995) oder „Kanak Attack“ (2000) anfangs für das Kino arbeitete, ehe er sich weitgehend für das Fernsehen entschied, erzählte zwischen 2013 und 2022 in vier Folgen – erneut für das ZDF – von zwei Hamburger Polizisten, die aus Drogenabhängigkeit oder aus Geldnöten selbst straffällig wurden und nun zwischen Kollegen und Gangstern lavierend zu überleben trachten. Wie die beiden Männer, mit hoher körperlicher Präsenz von Fritz Karl und Nicolas Ofczarek gespielt, beginnend mit „Unter Feinden“ in immer neue Schwierigkeiten geraten, wie sie sich wechselseitig belauern, weil sie dem anderen, von dem sie abhängig sind, nicht trauen, wie sie um sich schlagen und selbst geschlagen werden, war in jeder Folge ungewöhnlich und gerade für das ZDF mit seiner Tradition der braven Kommissare wie „Derrick“ und Konsorten geradezu sensationell.
Nicht alle Plots der Filme von Becker überzeugen. In „Heaven can wait“ muss wieder mal ein arabischer Clan als Handlungsmotiv herhalten, der nicht nur das Drogengeschäft im Kiez organisiert, sondern auf dem Weg, sozial und wirtschaftlich aufzusteigen, in den Immobilienhandeln eingestiegen ist. Da ist manche Entwicklung absehbar, etwa dass die auf Distanz zum Clan lebende Tochter (Sabrina Amali) nach der Ermordung ihres Vaters zurückkehrt und die Jagd auf den Täter anführt. Auch ist man an Johann von Bülow, der in dieser Serie einen Vorgesetzten spielt, so gewöhnt, dass man jede Geste und Mimik erahnt, ehe sie zu sehen ist. Aber wie Becker dann diese bekannten Bausteine auf neue und ungewöhnliche Weise zusammenfügt, lässt auch diesen Film aus dem Fernsehangebot dieser Tage herausragen.
Bleibt nur die Frage, ob Fredo Schulz noch einmal zurückkehrt?