Rand Beiruty ist Autorin, Regisseurin und Produzentin. Sie lebt zwischen Amman und Berlin und hat an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam promoviert. Fünf Jahre lang begleitete sie für ihren Dokumentarfilm „Über uns von uns“ eine Gruppe von Teenagerinnen mit Migrationshintergrund im brandenburgischen Eberswalde. Die jungen Frauen nehmen an von ihr angeleiteten Workshops teil, in denen sie mit Malerei, Theater, Musik und Film ihre eigenen Befindlichkeiten und Träume ausdrücken.
Wie ist dieses ungewöhnliche Filmprojekt entstanden?
Rand Beiruty: Ich hatte von diesen Projekten in Eberswalde gehört, denn eine Freundin von mir hatte dort einen Workshop mit Roma-Mädchen gemacht. Das läuft über die Bürgerstiftung Barnim Uckermark, die haben ganz verschiedene Projekte mit Jugendlichen. Die Stiftung unterstützte mich dabei, Mädchen im Teenager-Alter zu finden und sie zur Mitarbeit zu bewegen. Ich traf einige Leute, die dort Workshops gemacht hatten, und bot dann einen Theaterkurs für Mädchen aus der arabischsprachigen Community an. Schon nach der ersten Begegnung mit Ihnen war ich total begeistert. Nachdem wir uns einige Male getroffen hatten, brachte ich eine Kamera mit, damit sie sich dran gewöhnen konnten. Ich habe angefangen aufzunehmen, und so entstand dieser Film, ganz organisch. Aber insgesamt hat es fünf Jahre gebraucht, bis er fertig war, fünfeinhalb, wenn man die Postproduktion noch einrechnet. Aber am Anfang habe ich sehr viel gedreht, was gar nicht in den Film gekommen ist. Was im Film zu sehen ist, sind etwa die letzten vier Jahre.
Hatten Sie von Anfang an vor, einen dokumentarischen Ensemblefilm zu machen?
Rand Beiruty: Am Anfang habe ich noch mit der Idee gespielt, einen Spielfilm zu machen, aber das hat sich dann geändert. Ich wollte die Mädchen aber auch nicht unter Druck setzen mit so einem ambitionierten Dokumentarfilmprozess, sie sollten sich ihre Zeit nehmen und auch erst einmal mitkriegen, was Dokumentarfilmemachen eigentlich bedeutet.
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Wie schwer ist es, im selben Projekt vor und hinter der Kamera zu arbeiten, also gleichzeitig die Regisseurin eines Dokumentarfilms zu sein und als Leiterin des Workshops vor der Kamera zu stehen?
Rand Beiruty: Das war eine ziemliche Herausforderung. Besonders in den ersten zwei Jahren. Ich habe das Projekt ganz allein begonnen: Es war ein Jonglieren zwischen der Kamera, dem Kontakt zu den Mädchen, dem Workshop, der ja auch noch laufen musste. Und manchmal musste ich dann noch zwischen den Mädchen und anderen Workshop-Mentoren vermitteln. Nach zwei Jahren kam dann Marco Müller für die Kamera dazu. Langsam bekam ich dann das beruhigende Gefühl, im Team zu arbeiten. Es war eine Erleichterung, jemanden für die Kameraarbeit und die Kameratechnik zu haben. So konnte ich mich auf Regie und Ton konzentrieren. Aber selbst der Ton war manchmal zu viel, weil ich dauernd bei den Mädchen sein musste.
Die Mädchen öffnen sich sehr und erzählen viel aus ihrem Leben. War es schwer, diesen Kontakt zu ihnen aufzubauen?
Rand Beiruty: Ich habe viel Zeit darauf verwendet, nicht nur sie kennenzulernen, sondern auch ihre Familien. Das ging Stück für Stück. Am Anfang war ich vorsichtig, aber ich wurde eingeladen zu den Familien nach Hause. Zunächst hatte ich da keine Kamera dabei, aber dann doch, weil es ein wichtiger Teil im Alltag der Mädchen ist. Das war sehr wichtig, damit das Projekt sich weiterentwickelte. Um in die Phase zu kommen, in der wir alle ganz natürlich miteinander umgehen und die Anwesenheit der Kamera einfach vergessen konnten. Diese Zeit musste ich mir einfach nehmen, sie und ihre Familien richtig kennen zu lernen, auch manchmal ohne Kamera und noch vor dem Dreh, um vertraut miteinander zu werden.
Am Anfang habe ich viel nur zu Recherchezwecken gefilmt. Für mich am schönsten waren die Momente, in denen wir alle zusammen getanzt haben, die Mädchen und ich, und wir einfach Spaß hatten. Es war ein sehr schöner Dreh! Natürlich, es sind Teenager, die brauchen ihren Freiraum, wollen sich mal zurückziehen. Ich hoffe, dass viele junge Leute sich diesen Film anschauen und sich darin wiederfinden.
Das wirkt im Film alles ganz natürlich. Wenn Sie mit den Mädchen reden, scheint es, als seien Sie selbst eine von Ihnen.
Rand Beiruty: Meine Rollen im Projekt sind sehr unterschiedlich. Manchmal wirke ich wie eine von ihnen, und man sieht auch im Film, wie sie mich direkt ansprechen. Ich war aber auch die Verantwortliche für das Filmprojekt, und darunter konnten sie sich lange nichts so richtig vorstellen. Nach einem Jahr kam ihnen die Zeit schon sehr lange vor, sie fragten: wann sind wir endlich fertig? Sie konnten sich nicht vorstellen, noch weitere drei Jahre daran zu arbeiten. Ich habe Ihnen dann schon geschnittene Szenen gezeigt, so wussten sie, in welche Richtung es gehen würde. Ich glaube, sie dachten, dass ich so eine langweilige Standard-Fernsehdokumentation machen würde, aber als ich ihnen dann fertige Szenen gezeigt habe, reagierten sie wirklich toll. Sie lachten, kicherten und sind mitgegangen, und ich habe gemerkt: der Film gefällt Ihnen total.
Wie haben Sie aus den Mädchen die ausgewählt, die im Film eine Rolle spielen?
Rand Beiruty: Es gab kein förmliches Casting. Die Leitidee war, dass sich alles organisch entwickeln muss. Ich wollte keinen Druck ausüben, keine zwingen, mitzumachen. Ich war einfach da, und ich glaube, sie haben mich mehr dazu eingeladen, den Film zu machen, als ich sie. Manche Mädchen aus dem Workshop haben mir auch gesagt, dass sie nicht vor die Kamera wollten, und das habe ich respektiert. Eine hat mir, nachdem sie schon drei Jahre beim Film mitgemacht hatte, mitgeteilt, dass sie aussteigen müsste. Das hat mich traurig gemacht, aber ich habe es natürlich respektiert.
Wie war die Begegnung mit dem Publikum?
Rand Beiruty: Die
Erfahrungen sind unterschiedlich in unterschiedlichen Ländern, aber ich fühle,
dass viele ältere Frauen im Kino über die Mädchen auch zurückschauen in ihre
eigene Jugend. Auch wenn die Lebensumstände völlig verschieden sind, so gibt es
doch generationsübergreifend Gemeinsames in diesem Alter. Also Themen wie
Liebe, Freundschaft, Familie – das ist eine universelle, länderübergreifende
Geschichte. Ich glaube, dass wir noch mehr solcher Räume der Selbstfindung und
des Austausches brauchen.
Was hat Sie am meisten überrascht bei der Arbeit?
Rand Beiruty: Ich bin nicht mit vielen Erwartungen in das Projekt reingegangen, mehr mit Neugier. Es gab manchmal angespannte Situationen, wenn die Mädchen mit sehr unfreundlichen Menschen konfrontiert wurden, die ihnen zu verstehen gaben, dass sie nicht willkommen sind. Das war hart zu beobachten, aber es gab immer auch viele sehr warmherzige und freundliche Menschen, die sehr viel investierten, dass die Mädchen sich wohlfühlten. Beide Erfahrungen können in dem Alter sehr prägend wirken.
Im Projekt haben sich die Mädchen geöffnet, von ihren Träumen und Hoffnungen erzählt. Sind solche Projekte nicht auch eine Chance für einen Dialog?
Rand Beiruty: Diese Projekte sind eine Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen und Jugendliche dazu zu bringen, über sich selbst nachzudenken und über sich selbst zu sprechen. Es gibt auch Programme für Jungen, wo sie sich über ihre Zukunft Gedanken machen. Es ist toll, wenn du als Teenager weißt, was du willst, und solche Räume können dir dabei helfen. Die Gesellschaft profitiert von solchen Theaterworkshops, denn die Jugendlichen lernen sich besser kennen.
Wie waren die Erfahrungen in einer kleinen Stadt in der, wie es im Trailer heißt, „ostdeutschen Provinz“?
Rand Beiruty: Das ist ein interessanter Ort, eine ehemalige Industriestadt. Viele der Häuser sind heute von Immigranten und Flüchtlingen bewohnt. Da gibt es einen großen Kontrast mit der Warmherzigkeit, der lebhaften Atmosphäre und dem guten Essen in den Häusern und einer gewissen Kälte und Stille außerhalb. Für so einen kleinen Ort ist es sicherlich auch hart, so nah an Berlin zu sein, aber es gibt viele Studenten, die eine positive Stimmung nach Eberswalde bringen. Du hast ein bisschen von allem da.
Durch die Wahlen in Ostdeutschland und den Aufstieg der AfD ist Ihr Film wieder brandaktuell. Wie fühlen Sie sich heute mit Ihrem Film, wie empfinden Sie seine Wichtigkeit?
Rand Beiruty: Meine Motivation, diesen Film zu machen, war es, mit den Mädchen zu arbeiten und ihnen so den Raum und eine Plattform zu bieten, sich auszudrücken. Aber auch, mehr Verständnis für sie zu schaffen. Diese Teenager bringen eine Menge ganz universeller Themen aufs Tablett, etwa Freundschaft und die Suche nach Orientierung. Ich halte es für wichtig, den Film heute, genau jetzt, zu sehen. Er ist immer wichtig, aber jetzt vielleicht noch mehr als sonst. Wir haben nicht oft die Gelegenheit, die Perspektive junger Mädchen zu sehen.
Aber wieweit beschäftigt Sie die aktuelle politische Situation in Deutschland, in Ostdeutschland, in Brandenburg?
Rand Beiruty: Migration, Integration und Diversität sind im Moment die Schlüsselthemen der deutschen Politik. Film und das Erzählen von Geschichten ganz allgemein können die öffentliche Meinung beeinflussen, Empathie hervorrufen, Brücken bauen und Stereotypen abbauen. Zugleich glaube ich, dass Film weit über die aktuellen Schlagzeilen in den Medien hinaus informieren muss. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Menschen aus Randgruppen auch Menschen sind. Wir sollten die Bereitschaft wecken, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen, zuzuhören und nicht nur Sympathie über Mitleid zu entwickeln. Wir müssen vermitteln, dass die Menschheit unendlich vielfältig ist.
Ihr Film wirft auch die Frage nach den unterschiedlichen Begrifflichkeiten in die Diskussion, wie Assimilierung oder Integration oder einfach Toleranz und gegenseitiger Respekt.
Rand Beiruty: Ich glaube, das Wichtigste ist, miteinander zu reden und einander zuzuhören. Das geht aber über den reinen gegenseitigen Respekt hinaus, denn ich kann Sie respektieren, aber trotzdem nichts mit Ihnen zu tun haben wollen. Eine gesunde und gute Gesellschaft sollte mehr bewegen! Mein Hauptanliegen, diesen Film zu machen, war es, die Mädchen ins Gespräch zu bringen. Im Film zeige ich sieben junge Frauen, aber es gibt sehr viele wie sie.
Sie leben zwischen Amman und Berlin. Ist dieses Pendeln zwischen zwei Welten hilfreich für Ihre Arbeit?
Rand Beiruty: Ja, denn das Leben zwischen oder in zwei Kulturen hilft mir, meine Wahrnehmung zu schärfen und besser zu verstehen, wie die Welt funktioniert. Es ist zum Beispiel aufregend, Filmschaffende aus anderen Kulturen auf den Festivals kennenzulernen. Es bereichert meine Fähigkeit, Geschichten zu erzählen.