Der Fund des Originalnegativs von Tinto Brass’
skandalträchtigem römischem Sittengemälde „Caligula“ ermöglichte eine
neuerliche Version des vielfach umgeschnittenen, entstellten und neu
imaginierten Films, der auch als „Ultimate Cut“ ein Kuriosum der Filmgeschichte
bleibt. Der Verleih Tiberius bringt die 178-minütige Rekonstruktion ab 7.
November ins Kino.
„Caligula. Aufstieg und Fall eines Tyrannen“ von Tinto Brass, ein zerstörtes Filmmonument aus dem Jahr 1979, war als ehrgeiziger Versuch gedacht, den Niedergang des Römischen Reiches mit beißendem Zynismus in einem starbesetzten Sittengemälde zu thematisieren. Brass’ Ansatz war dem seines vorherigen Films „Salon Kitty“ (1976) sehr ähnlich, in dem es um ein Berliner Bordell unter der Kontrolle der Nazis in den 1940er-Jahren geht. Nach einem Drehbuch des US-amerikanischen Romanciers Gore Vidal erzählt „Caligula“ die Geschichte des korrupten Aufstiegs von Gaius Caligula (Malcolm McDowell) zum größenwahnsinnigen Nachfolger von Kaiser Tiberius (Peter O’Toole). Das großzügige Budget von Penthouse Production in Höhe von rund 10 Millionen Dollar ermöglichte es dem Regisseur, zahlreiche internationale Stars für die Hauptrollen zu gewinnen: neben McDowell und O’Toole Teresa Ann Savoy als Caligulas Schwester Drusilla, John Gielgud als Nerva, Helen Mirren als Cesonia und John Steiner als Longinus.
Es erscheint fast unmöglich, die Handlung des Films zusammenzufassen – zu bruchstückhaft ist das Endergebnis. Es bleiben nur einzelne Eindrücke, Situationen und Schocks, die ein beunruhigendes Durcheinander hinterlassen, zumal der Film in seiner heute kursierenden Fassung mit nachträglich von dem Produzent Bob Guccione inszenierten Hardcore-Szenen durchsetzt ist, die nach den Hauptaufnahmen gedreht wurden.
Alles wird zum Fetisch
In diesem Film wird alles zum Fetisch: Körper, Waffen, Blut, Sperma, Exkremente, Treppen, Pferde und Blumen. Die ungeschnittene Kinofassung von „Caligula“ (1979) lässt sich am besten als klassisches Stationendrama beschreiben, das mit den Mitteln des sensationsorientierten Pariser „Théâtre du Grand Guignol“ erzählt wird: Jede Szene ist als kleiner, episodischer Höhepunkt inszeniert und erschöpft sich in einer schockierenden Pointe, sei es Sex, Gewalt oder purer Wahnsinn. Der neurotische Caligula ermordet seinen Vorgänger Tiberius, der schon viel Unheil angerichtet hat, und tritt dessen Nachfolge an. Doch anstatt sich um die Staatsgeschäfte zu kümmern, pflegt er ein Verhältnis mit seiner Schwester Drusilla und heiratet die Hure Cesonia. Willkürlich schickt er seine besten Soldaten in den Tod oder lässt sie direkt hinrichten. Er ernennt sein Lieblingspferd zum Senator und versammelt die Frauen und Töchter seiner Senatoren auf einem Bordellschiff, um sie zu demütigen. Die Verschwörung gegen den größenwahnsinnigen Gottkaiser nimmt ihren Lauf. Der gesamte Clan wird auf einer riesigen Treppe brutal ermordet. Caligulas Lieblingspferd salutiert vor den Leichen.
Das Hauptproblem besteht darin, dass sich ein Film, der bewusst so umfassend Tabus bricht, schnell in der Darstellung seiner Exzesse erschöpft. Alle Zeichen und Symbole funktionieren als Konfrontation, als Schock, aber immer geradlinig. Was auch immer Tinto Brass im Sinn gehabt haben mag: Als politische Parabel bietet die Kinofassung nicht viel, denn sie erschöpft sich in der offensichtlichen Aussage, Rom sei an seiner eigenen Dekadenz zugrunde gegangen. Doch gerade auf dieser kontraproduktiven Direktheit, die damit experimentiert, einen aufwändig erzählten Spielfilm mit buchstäblich pornografischen Details zu würzen, beruht der Kultstatus, den „Caligula“ vor allem in den Videotheken der 1980er-Jahre einnahm. Absurderweise wurde der einzige Film, von dem sich Tinto Brass offiziell distanzierte, sein weltweit bekanntester und erfolgreichster.
In den Händen von Bob Guccione
Bereits Anfang der 1980er-Jahre kursierten verschiedene Versionen von „Caligula“, die zum Teil unterschiedlich zensiert waren. Enorme Streitigkeiten verzögerten seine Fertigstellung um Jahre. Der Schriftsteller Gore Vidal war der erste, der jahrelang an einem Drehbuch arbeitete. Zuerst sollte der Film „Gore Vidals Caligula“ heißen, nachdem der neomarxistische Filmemacher Tinto Brass hinzugezogen worden war, als Guccione „Salon Kitty“ entdeckt hatte. Doch Brass betrachtete Vidals Drehbuch nur als Basis. Er bestand darauf, dass seine eigene Kunst und sein Stil in erster Linie auf dem Schnitt beruhen. Allerdings gewannen weder Vidal noch Brass den Kampf um die künstlerische Kontrolle. Beide zerstritten sich mit Bob Guccione und distanzierten sich von der Produktion, ebenso wie viele der Schauspieler. Guccione übernahm den endgültigen Schnitt der Kinofassung selbst und verwarf Brass’ ambitioniertes Konzept.
Nur in wenigen Ländern war eine Kinoaufführung in dieser pornografischen Form erlaubt, der Film galt zunächst als finanzielles Desaster. Erst mit den Video- und DVD-Veröffentlichungen wurde „Caligula“ für Penthouse zu einer Geldmaschine. Dass der Film immer unvollendet wirkte, beförderte einen filmhistorischen Mythos, so als gäbe es eine vom Regisseur präferierte „Urversion“. Die „Imperial Edition“, die 2008 in England auf DVD und Blu-ray veröffentlicht wurde, vereint drei Versionen des Films: die „offizielle ungeschnittene Version“, die „Alternative Version“ (die einige Szenen neu arrangiert und erweitert und nur Softcore- statt Hardcore-Sex-Inhalte bietet) und eine gekürzte internationale „Theatrical Version“.
Diese Edition war mit Spannung erwartet worden. Der Grund dafür war aber weniger die bekannte offizielle ungeschnittene Fassung, sondern vielmehr die Premiere der „Alternative Version“, die von Nathaniel Thompson auf der Grundlage früherer Versionen und Berichte erstellt wurde. Damals hoffte man, dass diese Version einige der als verloren geglaubten Szenen enthalten und die Fehler des verpfuschten Schnitts der ungekürzten Fassung korrigieren könnte. Die Unterschiede sind jedoch marginal, zumal die alternativen Szenen meist nicht in geeigneter Qualität vorlagen. Eine Restauration schien damals aussichtslos.
Ein Lagerhaus voller Filmkisten
Im Jahr 2016 entdeckte ein deutscher Sammler zusammen mit dem
neuen Management von „Penthouse“ in einem Lagerhaus in Los Angeles Kisten
voller Rohmaterial des Films: das Originalnegativ und 96 Stunden zusätzliches
Filmmaterial. Auf diese Weise konnten zahlreiche Lücken geschlossen werden. Der
Versuch, in Zusammenarbeit mit und nach den Wünschen von Tinto Brass eine neue
Fassung zu realisieren, kam allerdings nicht zustande. Stattdessen sollte das
ursprüngliche Drehbuch von Gore Vidal als Grundlage verwendet und in einer
neuen Version interpretiert werden.
2018 machten sich der Produzent Thomas Negovan und der Regisseur E. Elias Merhige an die Arbeit, um das Material neu zu ordnen und einen komplett neuen Film zu schneiden, der auf bisher nicht genutzten alternativen Kameraperspektiven und Einstellungen basiert. Der Film trug nun den Titel „Caligula - The Ultimate Cut“ und sollte im Herbst 2020 einen limitierten US-Kinostart erhalten. Ein Video der Restaurierung wurde erst Ende Februar 2023 veröffentlicht. Beim Filmmaterial wurden Schmutz und Kratzer entfernt, die Tonspur wurde mit modernster Technik bearbeitet. Die Originaldialoge wurden auf der Grundlage von Tonaufnahmen vom Dreh verwendet. Außerdem wurden die meist flachen Hintergrundprojektionen bei den Studioaufnahmen mit digitalen Effekten aufgewertet und teilweise alternative Kameraperspektiven eingesetzt.
Die Premiere feierte dieser neue „Caligula“ schließlich bei den Filmfestspielen von Cannes 2023. Zuvor schon hatte die Zeitschrift „Variety“ Tinto Brass zitiert, der sich erneut vehement von der neuen Version distanziert, zumal sein Name als Regisseur auftaucht: „Nach zahlreichen und fruchtlosen Verhandlungen, die im Laufe der Jahre zunächst mit ‚Penthouse‘ und dann mit anderen unklaren Personen geführt wurden, um das von mir gedrehte und in den ‚Penthouse‘-Archiven gefundene Material zu bearbeiten, ist eine Version entstanden, an der ich nicht beteiligt war und von der ich überzeugt bin, dass sie nicht meiner künstlerischen Vision entspricht. [...] Das Publikum in Cannes wird also durch die willkürliche Verwendung meines Namens in die Irre geführt.“
Es muss noch einmal deutlich gemacht werden, dass diese neue Version „Gore Vidals Caligula“ am nächsten kommt, wenngleich mit digitaler Filmtechnik modernisiert: Raumklang, bereinigtes Filmmaterial, andere Farbkorrekturen, ein sehr flüssiger Schnittrhythmus, alternative Titeleinblendungen und eine eher archaisch-rituelle Musik. Diese Version mag für heutige Sehgewohnheiten sehr gut funktionieren, zumal sie nun auch inhaltlich recht geradlinig erzählt wird. Gleichzeitig kann man beim Betrachten dieser Version aber kaum erkennen, zu welcher Zeit der Film tatsächlich entstanden ist – die Bilder sehen aus wie neu gefilmt. Die experimentelle Schnitttechnik von Tinto Brass wird hier komplett vermieden. Und auch die eher drastischen Nahaufnahmen der Gewalttaten wurden durch distanziertere Aufnahmen ersetzt. Von den offiziellen Fassungen ist „Caligula - The Ultimate Cut“ die längste mit einer Laufzeit von fast drei Stunden. Es ist verständlich, dass sich vor allem einige Schauspieler positiv über die neue Fassung geäußert haben, da der Film nun hauptsächlich von ihnen getragen wird.
„Caligula - The Ultimate Cut“ beginnt mit einem langen Prolog, der die Geschichte des Films erklärt. Der Vorspann und die folgenden gemalten Visionen wurden für die neue Fassung erstellt. Anschließend wird die Handlung chronologisch neu geordnet. Vor allem die Beziehung zwischen Caligula, Drusilla und Cesonia wird stärker herausgearbeitet. Der Verlust von Drusilla – ein ikonisches Bild aus allen Versionen des Films, in dem McDowell den nackten Körper weinend in den Armen hält – wird so zum emotionalen Höhepunkt nach zwei Stunden Laufzeit. Darüber hinaus wird die politische Satire in dieser Fassung in jenen Szenen deutlicher, in denen sich Caligula unter das Volk mischt, oder im ständigen Streit mit Longinus, der immer absurdere Anweisungen umsetzen muss.
Ein Kuriosum der Filmgeschichte
„Caligula - The Ultimate Cut“ bleibt ein Kuriosum der Filmgeschichte: Immer wieder umgeschnitten, variiert und neu imaginiert, liegt nun eine Fassung vor, die zumindest die kreativen Einzelleistungen voll zur Geltung bringt und als epische Filmerzählung funktioniert. Einige werden sie nicht akzeptieren, weil Tinto Brass sich auch von dieser neuen Version distanziert, andere werden die echte 1970er-Jahre-Roheit des Kinocuts vermissen, aber es wird durchaus auch Cineasten geben, die diesen Film als eine epische Tour de Force mit erstklassigen Schauspielern, einer brillanten künstlerischen Leitung und einem Willen zur Überschreitung erleben wollen, wie man das bis heute in keinem anderen historischen Spielfilm gesehen hat.
Hinweis
Caligula – The Ultimate Cut. USA/Italien 1979/2023. Regie: Tinto Brass. Mit Malcolm McDowell, Teresa Ann Savoy, Guido Mannari, John Gielgud, Peter O’Toole, Helen Mirren, John Steiner. 178 Min. FSK: ab 18. Kinostart: 7. November 2024.
Am 6. Februar 2025 wird "Caligula - The Ultimate Cut" außerdem bei Tiberius als Mediabook-Editon erscheinen. Es enthält eine 4K UHD und Blu-Ray, die Original-„Caligula“-Fassung von 1979 als Blu-Ray sowie eine DVD mit Bonus-Material.