© UIP ("Schindlers Liste" von Steven Spielberg)

"Ich könnte das Telefonbuch verfilmen..."

Steven Spielberg verfilmt die Geschichte von Oskar Schindler in Schwarz-weiß

Veröffentlicht am
20. September 2024
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Wie Steven Spielberg, der Nachfahre russisch-polnisch-jüdischer Einwanderer, das Buch "Schindler's List" von Thomas Keneally verfilmte, die Geschichte eines reichen katholischen Unternehmers und NSDAP-Mitglieds, der in seinem Betrieb in Krakow 1100 Menschen vor der Gaskammer rettete.


60 neue Filme laufen während drei Monate in den amerikanischen Kinos an, mehr als in jedem der letzten Jahre. Die heißen Sommermonate versprechen abermals die härteste Konkurrenz des Jahres, gleichzeitig die höchsten Einnahmen und die schnellsten Pleiten. Alles, was Rang und Namen hat, steht zum Wettbewerb um die Publikumsgunst bereit. Schwarzenegger und Stalone rechnen sich große Chancen aus. Aber der Spitzenreiter, darüber sind sich Industrie und Meinungsforscher einig, dürfte ziemlich unangefochten Steven Spielbergs Bestseller-Verfilmung der Saurier-Saga "Jurassic Park" sein, der am 11. Juni im Massenstart anläuft. Details der Produktion wurden geheimgehalten wie die sensibelste militärische Erfindung. Selbst ein aufwendiger Beitrag in Amerikas renommiertestem populärwissenschaftlichem Magazin "National Geographie" vermochte nur vage Auskunft zu geben, wie Spielberg die Verlebendigung der urtümlichen Riesenmonstren bewältigt hat.

MANGEL AN FEINFÜHLIGKEIT?

Doch lange bevor "Jurassic Park" überhaupt ins Endstadium des Feinschnitts gekommen war, hatte sich der von russisch-polnisch-jüdischen Vorfahren abstammende Erfolgsregisseur anderen, historischen Monstren zugewandt, einem ihn seit zehn Jahren beschäftigenden Vorhaben, Thomas Keneallys Buch "Schindler's List" zu verfilmen. Es ist die Geschichte eines reichen deutschen katholischen Unternehmers, eines NSDAP-Mitglieds, der seinen Betrieb ins besetzte Krakow verlegte und, empört über die Massenmorde an polnischen Juden, 1100 Verfolgte vor dem Tod in den Gaskammern rettete. Daß ausgerechnet Spielberg diesen Stoff in Angriff nehmen wollte und über viele Jahre nicht davon abließ, hat Skepsis und Proteste aus verschiedensten Lagern provoziert. Hollywood fühlt sich nicht wohl dabei, 23 Millionen Dollar in ein Vorhaben zu investieren, das so gar nicht dem Ruf des populärsten Familien- und Abenteuerfilm-Spezialisten entspricht; das offizielle Judentum befürchtet, der Regisseur der "Indiana Jones"-Filme könne den Holocaust zum Vorwand für ein wenig feinfühliges Verfolgungsspektakel nutzen. Proteste des Weltkongresses der Juden begleiteten die Dreharbeiten, oftmals ausgelöst durch Mißverständnisse und Falschmeldungen. Die Frage nach Widerständen aus der Filmindustrie beantwortet Spielberg mit einem Lächeln. Er fühlt sich glücklich, in einer Position zu sein, die ihm gestattet, das Telefonbuch zu verfilmen, wenn er wollte. "Und wenn Sie dies für das Telefonbuch halten, dann bin ich sehr stolz darauf, es auf die Leinwand zu bringen."

Die Geschichte des Oskar Schindler, der 1974 im Alter von 66 Jahren in Frankfurt gestorben ist, wäre vielleicht nie der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden, hätte nicht ein Lederwarenhändler in Beverly Hills seinem zufälligen Kunden Thomas Keneally hartnäckig zugesetzt, sich mit Schindlers Rolle während der Judenverfolgung in Polen zu beschäftigen. Der Mann mit dem Namen Leopold Page, früher als Poldek Pfefferberg einer der von Schindler Geretteten, ließ keine Entschuldigung des australischen Schriftstellers gelten: "Keneally sagte, er sei der ganz falsche Mann, um darüber zu schreiben. Er sei erst drei Jahre alt gewesen, als der Zweite Weltkrieg ausbrach; als Katholik wisse er nicht genug über den Holocaust; und über das Leiden der Juden (während ihrer jahrtausendelangen Geschichte) wisse er noch weniger. Das machte mich zornig", sagt Leopold Page, "und ich habe ihm klargemacht, daß das schon drei Gründe seien, warum er das Buch schreiben müsse."

"DER 'SCHLAMPIGSTE' FILM, DEN ICH JE GEMACHT HABE"

Vielleicht ist es mit Spielberg ähnlich. Obgleich selbst Jude, ist auch er mit der historischen Wirklichkeit des Holocaust nie konfrontiert worden. In seinem Elternhaus (Spielberg wurde 1947 geboren) wurde nur recht allgemein von den "Murdering Nazis" gesprochen. Das Wort Holocaust, sagt er, habe er in den 70er Jahren zum ersten Mal gehört. Um so mehr empfindet er diesen Film als eine Verpflichtung. "Ich hätte ihn nie gemacht, wenn ich nicht daran gedacht hätte, daß eine Geschichte wie diese die Menschen an etwas erinnern könnte, an das sie eigentlich nicht mehr denken wollen: Daß das alles erst vor 50 Jahren passiert ist. Daß es in all seiner Monströsität wieder passieren könnte."

Die Bedenken gegen Spielberg als den Regisseur eines Holocaust-Films kommen in der Tat nicht von ungefähr. Hat er sich doch mit realistischen Sujets - trotz allem persönlichen Enthusiasmus - stets schwer getan. Auch künstlerisch waren die Höhepunkte seiner Karriere eher phantastische Stoffe wie "Der weiße Hai" und "Unheimliche Begegnung der dritten Art" als historisch und gesellschaftlich relevante Sujets vom Schlage "Die Farbe Lila" und "Das Reich der Sonne". Dennoch nimmt nicht nur Spielbergs Insistenz für den neuen Film ein, mit der er das Projekt über viele Jahre verfolgt hat, sondern auch die Kompromißlosigkeit, mit der er sich gegen jeden kommerziellen Druck behauptet. Er hat durchgesetzt, daß der Film in Schwarzweiß gedreht wurde, daß (außer Ben Kingsley) nur relativ unbekannte Schauspieler engagiert wurden (mit dem Iren Liam Neeson als Schindler-Darsteller), daß nur an Originalschauplätzen gedreht wurde, keine Kostüme, sondern in Polen aufgekaufte alte Kleidung der damaligen Zeit verwendet und die hochartifiziellen Aufnahmegeräte der 90er Jahre weitgehend durch Handkameras ersetzt wurden. Spielberg bezeichnet "Schindler's List" als "den vielleicht schlampigsten Film, den ich je gemacht habe". Er spricht von einer bewußten "Schlampigkeit", mit der er meint, daß alles Geschönte und Gedrechselte abwesend ist. Vorhaltungen, daß niemand einen solchen Film werde sehen wollen, weist er gedankenversunken von sich: "Auch wenn ihn nur ein paar Leute sehen, mag es sich schon gelohnt haben."

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