Wie man mit Bildern lügt

Leni Riefenstahl als Taschenkalender und Bildbiografie

Veröffentlicht am
29. August 2024
Diskussion

Zur Frankfurter Buchmesse 2000 geriet der Kölner Taschen-Verlag in die Schlagzeilen der Kritik. Vorgeworfen wurde ihm, dass er mit einer Trias aus Postkartenmäppchen, Kalender im A5-Format sowie dem „magnus opus“ einer Bildbiografie Leni Riefenstahl einzig zum Zwecke eigenen Profits zu weiterem Nachruhm verhilft. Interessanterweise hielt sich das Feuilleton zurück, was die publizierten Bilder selbst berifft. Über Auswahl und/oder Anordnung wurde kaum geschrieben, stattdessen kam es zum üblichen Schlagabtausch über Leni Riefenstahl, nur diesmal im Kontext der ökonomischen Chuzpe eines Verlags. Dass·es diesem (auch) ums Geld geht, darf vorausgesetzt werden. Der so genannte Diary-Kalender, gedruckt in Korea, gleich dreisprachig im Text, in der Behandlung der Fotos teilweise schlampig (abgeschnittene, halbseitige Querformate, auf je nach Gusto schwarzem oder weißem Grund) macht aus diesem Fakt auch keinen Hehl. Was er verschweigt, ist an den Bildern selbst zu sehen. In ihrer Mehrzahl zeigen sie Riefenstahl persönlich, meist in Porträtaufnahmen aus ihren Filmen oder auf so genannten Starfotos. Angeordnet sind die Bilder bis auf vereinzelte Ausnahmen in der Chronologie, dabei werden sie doppelt gerahmt. Einmal durch die Umschlagfotos, vorne ein Porträt aus „Das blaue Licht“, hinten eine Aufnahme vom Dreh von „Tiefland“, innen gerahmt von einem weiteren, undatierten Porträt und einer Aufnahme von der Ausstellungseröffnung in Tokio 1991. Zwischen Porträt und Arbeit und Porträt und Ruhm entfaltet sich in den Bildern ein Leben als Werk oder das Werk als Lebenswerk. Mehr Leben nämlich gibt es im Kalender nicht: keine privaten oder halbprivaten Bilder, keine Aufnahmen weiterer öffentlicher Auftritte, sei es bei Preisverleihungen, Pressekonferenzen, Buchpräsentationen oder Gerichtsverhandlungen. Stattdessen nur Riefenstahl, ihr Gesicht und ihr Werk. So, wie das Leben scheinbar nur aus Kunst besteht, wird auch die Kunst (das Werk) durch die rahmenden Bilder bestimmt: Die Umschlagfotos decken die Spielfilme als Regisseurin ab, die inneren Bilder die Zeit des Ausdruckstanzes und den Erfolg als Fotografin. Den Nationalsozialismus als „Rahmung“ gibt es nicht, obwohl sich Riefenstahls „Größe“, wie Rainer Rother treffend schreibt, nur ihm verdankt, und obwohl schließlich Bilder aus „Olympia“ den meisten Raum einnehmen werden. „Olympia“ folgen die Bergfilme, dann die Nuba. „Tiefland“ ist häufiger vertreten als „Das blaue Licht“, die Unterwasserwelt bedeutsamer als „Triumph des Willens“, der mit nur zwei Bildern repräsentiert wird. Das eine, vielgedruckt, zeigt die Aufsicht auf die soldatischen Kolonnen aus dem eigens für die Filmproduktion angefertigen Aufzug, das andere, eher selten zu sehen, eine kauernde Riefenstahl im Vordergrund, die dem hinter ihr eine Rede haltenden und entsprechend kleinen Hitler den Rücken zuwendet. So wird es wohl gewesen sein, und so einfach lässt sich schon durch Quantitäten, gezielte Auslassungen und die Motivwahl mit Bildern lügen. Alle Fotos aus dem Kalender finden sich in der Bildbiografie wieder. Sie ist ebenfalls für den internationalen Markt konzipiert, zumindest im Hauptteil, der aus dem dreisprachigen Vorwort und dem Bildteil besteht. Interessanterweise gibt es den von Ines Walk (Filmmuseum Potsdam) verantworteten Anhang, der alle Fotos noch einmal mit einem Text versieht, einen nach Jahreszahlen geordneten Lebenslauf sowie eine Filmografie bietet, nur noch auf Deutsch. Obwohl sich das Buch mit Filmografie und Bibliografie seriös gibt, folgt seine Konzeption der gleichen imaginären Biografie, wie sie schon der Kalender konstruierte. Die Rahmungen des Kalenders sind durch eine Art filmischen Vorspann ersetzt. Er bebildert nach einem Porträt-Aufmacher in fünf doppelseitigen Fotos das Narrativ des Titels: „Fünf Leben“. Gemeint ist die chronologische Abfolge der Karriere Riefenstahls als Tänzerin, Schauspielerin, Regisseurin, Nuba- und Unterwasserfotografin. Der Titel selbst stellt eine signifkante Umwandlung einer Textüberschrift von Claudia Lenssen dar, die seinerzeit von den „fünf Karrieren“ der Riefenstahl schrieb. Die Metonymie hat Folgen: „Leben“ statt „Karriere“ postuliert nicht nur jeden neuen Schritt in der Karriere als radikalen Neuanfang, sondern suggeriert ebenso einen ständigen „Kampf“ um Leben und Werk, der jeden neuen Karriereschritt als neues Leben erst generiert. Im Reich romantischer Fantasie Titel, Aufmacherporträt und die fünf doppelseitigen Bilder evozieren also bereits den ganzen Mythos, der das Buch auch im weiteren strukturiert: die Parthenogenese der Riefenstahl als „Riefenstahl“, die Selbstgenerierung des für die Kunst unbeugsamen, ansonsten aber romantischen Genies. In dem weichgezeichneten Foto des Aufmacher-Porträts sind bezeichnenderweise nur Riefenstahls große Augen scharf und blicken über den Betrachter hinweg nach oben - wohin, wenn nicht ins Reich von „Visionen“ und romantischer Fantasie? Das Vorwort der Verlegerin füllt dieses Selbstbildnis Leni Riefenstahls durch eine vermeintliche Außenperspektive auf: „außergewöhnlich“, „gefeiert“, „Legende“, „weltweit Aufsehen“, „präzise“, „wie ein junges Mädchen“, „Lebendigkeit und Grazie“, „Neugier und Enthusiasmus“, „besessene Künstlerin“ und „Vision“ - das sind Worte, die den Riefenstahl-Mythos nun schon über Jahrzehnte tragen. Je älter aber Leni Riefenstahl wird, desto mehr tritt sie in den Zustand einer natürlichen Unschuld ein. Die real alternde Physiognomie wird durch eine bewusst kindliche Sprache konterkariert und ihrer Erfahrungen beraubt: Riefenstahl „krabbelt [...] über den Boden“, dann „springt sie die steile Holztreppe [...] hinunter“ wie eine Dreijährige, deren „blitzende Augen“ und „mädchenhafter Charme“ ihr wahres Alter vergessen machen. Am Ende bleiben Dankbarkeit, Glück und Begeisterung über die Zusammenarbeit an einem Buch, das Riefenstahls Vorstellungen von „Kunst“ allein in seinem Format wohl trefflich repräsentiert. Der Bildteil vergrößert Riefenstahls Tanzkarriere (die in der Geschichte des modernen Tanzes keine Rolle spielt) auf ein Maximum und stellt neben den Filmen als Schauspielerin vor allem „Olympia“ heraus. Gegenüber dem mit 43 Fotos repräsentierten Sportfilm verblasst „Triumph des Willens“ mit acht Abbildungen erneut. Erneut werden Riefenstahl bei den Dreharbeiten, Hitler von hinten, die soldatischen Kolonnen und Zuschauer mit zum Hitlergruß erhobener Hand gezeigt. Der Bildteil bleibt aufs Werk bezogen, Fotos von Riefenstahl selbst stammen aus Filmen und Produktionskontexten. So, wie die Propagandafilme Riefenstahls sich des Kommentars enthalten, so enthält sich der Verlag einer schriftlichen Kontextualisierung der Fotos. Doch Riefenstahls Bilder sind jeder Polysemie abhold. Man braucht keinen Text (und deshalb fehlt er in ihren Filmen), um die „Romantik des heldischen Heidentums“ (Ernst Bloch) zu sehen: Der expressionistisch überspannte Körpergestus der Tänzerin und Schauspielerin, die unscharfen Bilder bäuerlicher Gesichter, schneebedeckter Gipfel und kantiger Männerköpfe bilden wie jeder Blick von ihr eine Pose mit festgelegtem Sinn: Tapferkeit, Mut, Entschlossenheit, Vision, Träumerei, Willensstärke - solche Tugenden sind den Bildern abzulesen wie den Physiognomien von Comic-Helden. Trotz ihrer Lesbarkeit betextet der Anhang die Bilder auf einer Ebene banalster Alltäglichkeit, einzig bezogen auf Riefenstahl, den Star. Die Fotos, die man im Hauptteil je nach eigenem Wissen - sei es mentalitätsgeschichtlich, sei es stilgeschichtlich - rekontextualisieren kann, werden nun zu Belegen der „fünf Leben“. Was man auf ihnen nicht sieht, wird dazugeschrieben, und was dazu geschrieben wird, ergibt das Leben. Zu einer Serie Tanzfotos aus den 20er-Jahren heißt es: „Sie wird stets von ihrer Mutter begleitet, die auch die Kostüme nach den Entwürfen der Tochter näht.“ Zu den Dreharbeiten von „Triumph des Willens“: „Die Kameraleute experimentieren mit innovativen Aufnahmetechniken und Perspektiven... Damit begründet Leni Riefenstahl einen neuen Dokumentarfilmstil.“ Zu einer Unterwasseraufnahme: „Das Gefühl der Schwerelosigkeit [...] befreit sie von den starken Schmerzen, die sie seit einem Skiunfall hat.“ Die Filmografie ist derjenigen aus dem Katalog des Filmmuseums Potsdam nachempfunden, mit zeitgenössischen Plakaten oder Titelseiten des „Illustrierten Film Kuriers“ bebildert, bestehend aus Stabangaben, Inhaltsangabe und „Bemerkungen“, die erneut die Größe Riefenstahls herausstellen und sich von den Anmerkungen im Potsdamer Katalog deutlich unterscheiden. Heißt es zu „Sieg des Glaubens“ im Katalog lapidar „lief gemeinsam mit dem Kulturfilm ‘Blut und Boden’, ursprünglich war die Uraufführung für Ende September vorgesehen“, so heißt es nun: „Die Filmabteilung der Reichspropagandaleitung der NSDAP, der sie offiziell untersteht, behindert die Regisseurin während der Dreharbeiten, da Hitler ihr persönlich den Auftrag an der Filmabteilung vorbei erteilt hatte, sie eine Frau und außerdem auch kein Parteimitglied ist. Obgleich der unter Schwierigkeiten entstandene Film Leni Riefenstahl missfällt, wird er von der Partei und der Presse sehr gelobt.“ Spricht der Katalog als Faktum aus, dass „Triumph des Willens“ „der Selbstdarstellung der Nationalsozialisten optimal entspricht“, kontert der Taschen-Verlag mit: „Der Regisseurin wird zum Vorwurf gemacht, dass sie mit diesem Film die emotionale Bindung der Deutschen an Hitler und die NSDAP maßgeblich verstärkt hat.“ Die ganzseitige Besprechung von „Tag der Freiheit, unsere Wehrmacht“ schrumpft auf einen Sechszeiler zusammen. Mit der systematischen Herunterstufung von Riefenstahls Arbeit im Dritten Reich korrespondiert die Aufwertung der nicht realisierten Projekte. Im Potsdamer Katalog fehlen diese ebenso wie im Anhang bei Rother, selbst der Riefenstahl-Hagiograf Charles Ford führt sie nicht gesondert auf. Hier aber werden sie durch Abbildungen diverser Art (von der Reproduktion eines Selbstporträts van Goghs bis zu einem Foto Jean Cocteaus) gleichsam in den Status des bereits Lebendigen erhoben, das ihr Scheitern nur noch als „Mord“ am Werk lesbar werden lässt. Auslassungen als Strategie Die abschließende, durch Jahreszahlen gegliederte Biografie stellt den Mythos Riefenstahl in reinster Form dar. Sie ist die Schriftfassung des erträumten Lebens, das aus sportlichen und filmtechnischen Höchstleistungen besteht, aus seit dem Elternhaus erprobtem Widerstand, aus Preisen, Demütigungen und Wiederauferstehungen. Die zwar nicht mit dem Text synchron laufende Bilderleiste zeigt jetzt das Leben einer Erfolgreichen unter ihresgleichen. Die Eingemeindung Riefenstahls in die Gruppe nationaler Berühmtheiten wie Hildegard Knef, Horst Buchholz oder Reinhold Messner hin in die internationale Pop-Szene mit Andy Warhol und Mick Jagger schreibt ihrer Figur einen Grad an Normalität zu, den sie historisch nie haben wird. Taschen präsentiert also zwei Versionen des Riefenstahlschen Lebens, die sich dennoch in eins verschränken: Die dem Kalender analoge Bildbiografie zementiert den Mythos der visionären Künstlerin, die der Bildleiste behauptet eine internationale Erfolgsgeschichte genau aufgrund ihrer künstlerischen Leistungen. Damit begibt sich der Verlag in eine direkte Gegenposition zur Monografie von Rainer Rother (vgl. fd 24/2000), der die „Größe“ Riefenstahls als diskursiven Effekt begreift und sich zu Recht davor hütet, sie auf immanente Qualitäten ihrer Werke zurückzuführen. Die Konkurrenz der Positionen ist auf nationaler Ebene gewollt. Da der gesamte Anhang nicht übersetzt wurde, ist er allein an ein deutschsprachiges Umfeld gerichtet, wo er sich im diskursiven Feld „Riefenstahl“ positioniert und Deutungsmacht in einer permanenten Auseinandersetzung beansprucht. In seiner Komplexionslosigkeit ähnelt er dabei sowohl dem Riefenstahlschen Werk als auch ihren Memoiren, die er diesbezüglich sogar noch übertrifft. In den Memoiren sehr wohl erwähnte Konflikte werden ganz ausgelassen oder bis zur Unkenntlichkeit heruntergespielt. So etwa der sich über mehrere Jahre ziehende Prozess um die Urheberrechte an „Triumph des Willens“, aus dem Erwin Leiser für seine antinazistische Kompilation „Mein Kampf“ Material abgeklammert und - wie der Verlag erbost schreiben lässt „mit Aufnahmen aus Konzentrationslagern“ zusammengeschnitten hatte. Hat Taschen recherchiert, wie es zur Abklammerung von Material aus „Triumph des Willens“ für den bekanntesten antisemitischen NS-Film „Der ewige Jude“ kommen konnte? Hat Riefenstahl auch 1940 ihre Rechte eingeklagt? Oder besaß sie sie gar nicht? Oder war sie wieder einmal weit weg und kannte den „ewigen Juden“ nicht? (Laut Taschen-Kalendarium war sie 1940 in die Dreharbeiten zu „Tiefland“ verstrickt und in die Liebesgeschichte mit dem „Oberleutnant“ Peter Jacob). Diese bewusst polemischen Fragen um einen spezifischen Konflikt der an weiteren strittigen Fragen nicht armen Biografie Riefenstahls zeigen erneut, dass Unterkomplexitität und Auslassungen die primären Strategien des Taschen-Verlages sind, um einer vollständig imaginären Biografie Wahrheitsanspruch zu verleihen. Die über die Texte betriebene Rekontextualisierung der zunächst unkommentierten Fotos in einen ausschließlich biografischen Zusammenhang sowie die Hinzunahme von Pressefotos bei öffentlichen Anlässen, die alle abgebildeten Personen auf ihre Zugehörigkeit zu einer „Szene der Prominenz“ reduzieren, in der sie einander funktional alle gleich werden (gleich, ob es um Albert Speer, Siegfried und Roy oder den Sony-Mitbegründer Akio Morito geht), sind die zwei wesentlichen Säulen dieser zutiefst ideologischen Operation, der weitere Strategien der Legendenbildung wie Rekurse auf familiale Muster oder die Geschlechtlichkeit zuarbeiten. Daher ist es zu wenig, die Bildbiografien des Taschen-Verlags allein aus der Perspektive ökonomischen Gewinnstrebens zu beschreiben. Sie nutzen Geld und publizistische Macht, um auf dem „Markt der Meinungen“ eine bestimmte Position durchzusetzen. 

„Leni Riefenstahl - Fünf Leben“. Taschen-Verlag, Köln 2000, 336 S., 330 Abb., 69,95 DM. „Leni Riefenstahl. 2001 Taschen Diary“. A-5-Kalender mit Spiralbindung. Taschen-Verlag, Köln 2000, 19,95 DM.

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