© Pathé Films/Editions René Château (Alain Delon in "Der eiskalte Engel")

Schön, schweigsam & unbeweglich - Alain Delon

Zum Tode von Alain Delon, der am 8. August 2024 im Alter von 88 Jahren gestorben ist

Veröffentlicht am
04. September 2024
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Alain Delon war der perfekte Darsteller, wenn es um Entfremdung oder den Tod ging. Von Jean-Pierre Melville bis Michelangelo Antonioni verließen sich die größten Filmemacher auf seine Ausstrahlung, diese einzigartige Mischung aus Einsamkeit und Attraktivität, Unerreichbarkeit und Kälte, Melancholie und Disziplin. Dass er vor der Kamera nie gelacht habe, ist allerdings eine Legende, die sich leicht widerlegen lässt.


Am Ende von Jean-Pierre Melvilles „Der eiskalte Engel“ (1967) gibt es eine Szene, in der Alain Delon als Jeff Costello in jenen eleganten Nachtclub geht, in dem seine Freundin arbeitet. Er gibt seinen Hut an der Garderobe ab, doch die als Pfand dargebotene Marke schiebt er wieder zurück. Er weiß, dass er sie (und somit den Hut) nicht mehr brauchen wird. Eine Geste, die wie in einer griechischen Tragödie die Unausweichlichkeit des Schicksals verdeutlicht.

„Der eiskalte Engel“, den viele auch unter seinem Originaltitel als „Le samourai“ kennen, ist ein Film über Einsamkeit, Entfremdung und den Tod; Alain Delon – schön, schweigsam und unbeweglich – ist die perfekte Verkörperung dieser Isolation.

Alain Delon in "Vier im roten Kreis" (Studiocanal)
Alain Delon in "Vier im roten Kreis" (© Studiocanal)

Noch ein anderer Film von Melville fällt einem sofort ein: „Vier im roten Kreis“ (1970). Delon, der zusammen mit anderen einen Juwelenraub plant, hat wahrgenommen, dass beim Halt an einer Tankstelle jemand heimlich in den Kofferraum seines Wagens gestiegen ist. Er fährt auf ein matschiges Feld, steigt aus und wartet, bis Gian Maria Volonté aus dem Kofferraum klettert. Aus mehreren Metern Entfernung wirft er ihm eine Schachtel Zigaretten zu. Ohne miteinander zu reden, schließen hier zwei Männer Freundschaft. Eine kleine Geste nur, und doch erzählt sie eine ganze Geschichte.

Nicht vergessen werden soll auch der riesengroße Pfeiler in der Börse von Rom, der Alain Delon in „Liebe 1962“ von Monica Vitti trennt. Man ahnt, dass ihrer Verliebtheit, die gerade erst begonnen hat, keine Zukunft beschieden ist.

Das sind drei Filme, die zeigen, wie sehr Alain Delon sich auf seine Ausstrahlung verließ, diese einzigartige Mischung aus Einsamkeit und Attraktivität, aus Unerreichbarkeit und Kälte, Melancholie und Disziplin, aus Grazie und „der Aura eines modernen jungen Mannes“ (David Thomson). Ein natürliches Lachen, so wie beim extrovertierten Jean-Paul Belmondo, war seine Sache nicht, schon gar nicht, wenn er Gangster, Polizisten oder wie in Robert Enricos „Die Abenteurer“ (1966) – einen Schatzsucher spielte.

Alain Delon war sich seiner Schönheit bewusst, er ließ sich gern anschauen. Ich erinnere mich noch, wie er 1998 nach der Verleihung der „Goldenen Kamera“ mit Jean-Paul Belmondo zusammen durch den Konzertsaal am Berliner Gendarmenmarkt streifte. Hier ein Spaß, dort eine kurze Unterhaltung. Delon genoss sichtlich die Aufmerksamkeit.


Das Wissen, eine Rolle spielen zu müssen

Alain Delon wurde am 8. November 1935 in Sceaux bei Paris geboren und wuchs bei Pflegeeltern auf. Mit René Clements „Nur die Sonne war Zeuge“ katapultierte er sich 1959 in den Mittelpunkt der französischen Filmszene. Er war genau der richtige Darsteller für Tom Ripley, jenen von Patricia Highsmith erfundenen Charakter, der einfallslos, innerlich kalt und ohne Skrupel, die Identität eines anderen annimmt und dafür zu morden bereit ist. „Ripley ist Delons erste Studie seelischer Entfremdung, des Bewusstseins, der Welt gegenüber immer eine Rolle spielen zu müssen“, schrieb Gerhard Midding über ihn.

Alain Delon und Marie Laforêt in "Nur die Sonne war Zeuge" (Studiocanal)
Alain Delon und Marie Laforêt in "Nur die Sonne war Zeuge" (© Studiocanal)

Im gleichen Jahr entstand „Rocco und seine Brüder“ unter der Regie von Luchino Visconti. Delon spielt die Titelfigur, einen von vier Brüdern, der Profi-Boxer wird, um seinen Bruder Simone vor dem Gefängnis zu bewahren. Zu Anfang ist er noch sensibel, idealistisch, fast scheu. Er verabscheut die Gewalt und muss doch boxen. So wird er im Laufe des Films urplötzlich erwachsen und verliert seine Unschuld und Freundlichkeit. Delons Gesicht verhärtet sich und wird zur steinernen Maske. Sie wird zu seinem Markenzeichen.

Noch in einem weiteren Visconti-Film spielte Delon mit, in „Der Leopard“ (1962), einem großen Meisterwerk über die Einigung Italiens. Delon ist Tancredi, ein schöner junger Mann, der mit seiner Unbekümmertheit und Cleverness genau in die neue Zeit passt, während der von Burt Lancaster gespielte Fürst von Salina, jener Leopard, den der Filmtitel meint, ahnt, dass er bald abtreten muss.

Mit seinem Charme und seinem Ungestüm nimmt Delons Figur in diesem Historien-Epos alle Menschen für sich ein; Tancredi verliebt sich in die schöne Angelica (Claudia Cardinale) und macht ihr beharrlich den Hof. Die Szenen, wie sich sie durch die leeren, verstaubten Flure eines alten Herrenhauses verfolgen, haben sich dem Gedächtnis eingeprägt, aber auch die Eifersucht, mit der Tancredi auf den Tanz des Fürsten mit Angelica beim abschließenden, 40-minütigen Ball reagiert.

Die Lebendigkeit und Energie dieser Rolle nahm Delon ein Jahr später noch einmal auf, in der Dumas-Verfilmung „Die schwarze Tulpe“ von Christian-Jacque. Da schlägt und ficht sich Delon wie ein Haudegen durch die Handlung, und das doppelt, weil er gleichzeitig seinen Zwillingsbruder spielt. Dass Delon nie gelacht habe, wie in einigen Nachrufen zu lesen stand, wird hier widerlegt. Seine fröhliche Unbekümmertheit signalisiert in diesem Mantel-und-Degen-Film vielmehr seine Überlegenheit – ihm kann keiner etwas anhaben. Einige Jahre später wird er sogar den „Zorro“ (1975) spielen.

Der doppelte Delon: "Die schwarze Tulpe" ( Méditerranée Cinéma/Mizar Film)
Der doppelte Delon: "Die schwarze Tulpe" (© Méditerranée Cinéma/Mizar Film)

1962 begegnete Delon auch seinem großen Idol Jean Gabin. In „Lautlos wie die Nacht“ spielt er unter der Regie von Henri Verneuil einen ständig rauchenden Rebellen in Lederjacke, der sich von jedem Geld leiht. Eine Narbe auf der rechten Wange zeugt von einem turbulenten Vorleben. Erst durch Jean Gabin lernt er Manieren und elegantes Aussehen. Gemeinsam planen sie einen großen Coup. Delon klettert behände über das Dach des Palm-Beach-Casinos in Cannes und kriecht durch Luftschächte, um im Tresor zu landen und Gabin die Tür zu öffnen. Doch durch eine Unbedachtheit geht die Beute, in einer überraschenden, minutenlangen Pointe, verloren. Später arbeiteten Delon, Gabin und Verneuil „Der Clan der Sizilianer“ (1969) nochmals zusammen.


Sinn fürs Abwegige

Wenigstens einmal hat Alain Delon auch einen Sinn fürs Abwegige bewiesen. In „Nackt unter Leder“ (1967) nach dem Roman des französischen Schriftstellers André Pieyre de Mandiargues spielt er einen jungen Mann namens Daniel. Seiner Freundin (Marianne Faithfull) hat er eine Harley Davidson Elektra Glide geschenkt, damit sie vom Elsass aus ihn in Heidelberg besuchen kann. Erst gegen Ende des Films trifft sie auf Alain Delon. „Unskin me! Häute mich“, haucht sie, und der willige Liebhaber zieht genüsslich am langen Reißverschluss des schwarzen Lederoveralls, in den sie am frühen Morgen nackt gestiegen ist. „Dein Körper ist wie eine wunderschöne Violine im Samtkasten“, sagt er dabei völlig ohne Ironie. Das muss man sich erst einmal trauen.

Viel Aufmerksamkeit erregte Alain Delon mit seinem Privatleben. Fünf Jahre lang war er mit Romy Schneider liiert, die er 1958 bei den Dreharbeiten zu „Christine“ kennengelernt hatte. „In Paris lernte ich den wahren Alain kennen. Einen Verrückten. Einen blutjungen Burschen in Blue Jeans und Sporthemd, einen ungekämmten, schnellsprechenden, wilden Knaben, der immer zu spät kam, mit einem Rennauto durch Paris raste, rote Ampeln überfuhr – einen Alain, von dem man sich die ungeheuerlichsten Geschichten erzählte“, erinnerte sich Romy Schneider in ihren Memoiren. 1969 spielte sie noch einmal mit ihm, in „Der Swimmingpool“. Darin verbringen sie einen scheinbar glücklichen Urlaub, bis Maurice Ronet, der Antagonist aus „Nur die Sonne war Zeuge“, mit seiner Tochter vorbeischaut und sich ein Spiel aus Eifersucht und Demütigungen entspinnt. Erneut zieht Ronet den Kürzeren. Delon ertränkt ihn; die Polizei kann ihm nichts nachweisen.

Seine erotischste Rolle: "Der Schwimmingpool" (arte/Getty Image)
Seine erotischste Rolle: "Der Schwimmingpool" (© arte/Getty Image)

Es ist Delons körperlichste, vielleicht sogar erotischste Rolle, in der er häufig nur in Badehose zu sehen ist. Nur sein unbewegtes Gesicht beweist, dass er mit etwas ganz anderem beschäftigt ist. Unter der gelassenen Oberfläche brodelt es.


Mit eigener Produktionsgesellschaft

Bereits 1968 hatte Delon die Filmgesellschaft Adel Productions gegründet. Nun konnte er seine eigenen Pläne verwirklichen oder sich an kommerzielleren Projekten beteiligen. So entstand 1969 unter der Regie von Jacques Deray „Borsalino“, eine leichtfüßige Gangsterfilm-Parodie mit Jean-Paul Belmondo an Delons Seite. „Oktober in Rimini, 1972 von Valerio Zurlini inszeniert, zeigt einen anderen Alain Delon: müde, unrasiert, langes Haar, desillusioniert und gelangweilt. Fast hat man den Eindruck, als habe er sich einen radikalen Imagewechsel gewünscht. Delon landet hier als Aushilfslehrer an einer Schule in Rimini. Doch der Unterricht interessiert ihn kaum; nicht einmal seinen dicken Mantel mag er ausziehen. Stattdessen hängt er lieber mit Strauchdieben zusammen und fängt etwas mit einer Schülerin an – der Anfang vom Ende.

Zuvor war noch „Das Mädchen und der Mörder – Die Ermordung Trotzkis“ (1971) von Joseph Losey entstanden. Delon spielt hier den Attentäter des sowjetischen Revolutionärs. Äußerlich sieht er wieder aus wie in den Melville-Filmen: Hut, Anzug, dazu aber eine Weste, die ihn ein wenig konservativer erscheinen lässt. Auffällig die runde Sonnebrille, die seine Identität versteckt. Später arbeitete Delon mit Joseph Losey bei einen seiner besten Filme zusammen. In „Monsieur Klein“ spielt er im Paris des Jahres 1942 einen arroganten, stets auf seinen Vorteil bedachten Antiquitätenhändler, der durch eine fälschlich zugestellte jüdische Mitgliedszeitschrift verdächtigt wird, Jude zu sein. Prompt gerät er in die Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Delon entspricht hier zunächst seinem üblichen Rollenprofil: kühl, unbewegt, emotionslos. Ohne Skrupel haut er verfolgte Juden, die das Land verlassen müssen, übers Ohr. Doch mit zunehmendem Druck durch die Behörden wird er immer nervöser, unruhiger, unsicherer. Es ist seine vielschichtigste Rolle.

Noch einmal drehte er mit Melville, 1972 in „Der Chef“. Darin aber ist er kein Gangster mehr, sondern der Kommissar. Ein Rollentausch, der aber keinen anderen schauspielerischen Zugang verlangte. Alain Delon ist hier genau so gefühllos und professionell wie als Killer oder Juwelendieb. Gangster und Polizist sind längst austauschbar.


Fast nur gute Filme

Von Visconti bis Antonioni, von Melville bis Losey: Alain Delon hat mit den besten Regisseuren Europas gedreht. 1984 war er sogar der Baron Charlus in Volker Schlöndorffs Proust-Verfilmung „Eine Liebe von Swann“, mit Schnäuzer und Spitzbart und schwarz lackiertem vollen Haar. 2008 erfolgte sein Abschied vom Kino - als Julius Cäsar in „Asterix bei den Olympischen Spielen“.

Herrlich selbstironisch resümierte er seine eigene Karriere: „Cäsar hat alles geschafft, alles erobert! Er ist ein Leopard! Ein Samurai! Und er schuldet niemandem etwas, weder Rocco noch dessen Brüdern, noch dem Clan der Sizilianer!“ Wenn man sich seine Filmografie vergegenwärtigt, fällt einem auf, wie viele gute Filme Alain Delon gedreht und wie wenig Preise er dafür bekommen hat. Gewiss sind auch ein paar schlechtere Filme darunter, „Der Panther“ (1985) oder „Der Panther 2“ (1988) etwa. Doch mit „Der Leopard“, „Liebe 1962“ und „Vier im roten Kreis“ ist er als Hauptdarsteller in drei Meisterwerken zu sehen, die viele zu ihren Lieblingsfilmen zählen. Nun ist Alain Delon am 18. August 2024 im Alter von 88 Jahren gestorben.

Fast nur gute Filme: Alain Delon und Jean Gabin in "Lautlos wie die Nacht" (imago/Photo 12)
Fast nur gute Filme: Jean Gabin und Alain Delon in "Lautlos wie die Nacht" (© imago/Photo 12)

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