© DEFA/Filmjuwelen

Filmklassiker: Reise in die Urzeit

Der fantastische Filmtrick-Klassiker von Karel Zeman ist in einer filmhistorisch ambitionierten und qualitativ würdigen Blu-ray-Edition jetzt auch in Deutschland erhältlich.

Veröffentlicht am
08. August 2024
Diskussion

Der tschechische Filmemacher Karel Zeman (1910-1989) war ein Meister des Animationsfilms und des fantastischen Kinos. Zu den erklärten Liebhabern seines Werkes gehören Regisseure wie Terry Gilliam und Tim Burton. In „Reise in die Urzeit“ (1955) lässt er vier Jungen auf den Spuren von Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ in ein Land vor unserer Zeit gelangen und erweckt lange vor „Jurassic Park“ Dinos zu imposantem Leinwandleben. Nun ist „Reise in die Urzeit“ in einer schönen Blu-ray-Edition erschienen.


Bevor Karel Zeman die Mammuts, Flugsaurier oder den T-Rex auf das Publikum loslässt, beginnt „Reise in die Urzeit“ in einer Rahmenhandlung fast beschaulich. Petr, ein blonder Junge im Pfadfinder-Look mit rotem Halstuch (dem fast einzigen Hinweis, dass dieser Film 1955 entstand, zur Zeit des kommunistischen Regimes), wird als Erzähler eingeführt; stolz streicht der Junge über sein Tagebuch und präsentiert seinen Bericht einer einmaligen Expedition, die mit einem versteinerten Trilobiten beginnt, einem Stein, der ein Millionen Jahre altes Tier verewigt, und dann zu leibhaftigen Urzeitwesen führt.


     Das könnte Sie auch interessieren


Vier Heranwachsende begeben sich in „Reise in die Urzeit“ auf eine Zeitreise zurück zum Ursprung der Evolution, die mit der Durchfahrt einer Grotte beginnt. Danach befinden sich sie sich zunächst in der Eiszeit, sind aber bestens vorbereitet und informiert. 

Jungs auf Urzeit-Exkursion (© DEFA/Filmjuwelen)
Jungs auf Urzeit-Exkursion (© DEFA/Filmjuwelen)

Die älteren Knaben Petr, Tonik und Jenda wirken fast wie jugendliche Wissenschaftler. Sie kennen sich aus und gleichen ihr theoretisches Wissen mit den neuen empirischen Erfahrungen ab. Zum Sympathieträger wird jedoch der Vierte im Bunde, der etwa zehnjährige Jirka, der auch für das Kind in uns allen steht und sich so schön begeistern kann.

Wo T-Rex und Stegosaurus miteinander kämpfen

Regisseur Karel Zeman drehte den Film auf einem DDR-Agfacolor-Film aus Wolfen; in der restaurierten Fassung, die nun auf einer Blu-ray-Edition beim Label „Film- und Fernsehjuwelen“ zugänglich ist, wirken vor allem die vielen Grün- und Ockertönen kräftig, aber nie knallbunt. Man sieht die vier Protagonisten oft in ihrem Ruderboot sitzen, während im Hintergrund gezeichnete Urwaldlandschaften auftauchen oder auf dem Festland Millionen Jahre alte Tiere erscheinen. Zeman verbindet dabei Realfilm mit handgefertigten Trickelementen. Lange vor Steven Spielberg mit seinen digitalen Sauriern in „Jurassic Park animierte Zeman die Urtiere durch die Einzelbild- (also Stop-Motion-)Technik. 

Liebevoll zum Leben erweckte Giganten (© DEFA/Filmjuwelen)
Liebevoll zum Leben erweckte Giganten (© DEFA/Filmjuwelen)

Er ließ anschauliche und überzeugende Puppen der urzeitlichen Kreaturen wie Säbelzahntiger, Flugsaurier, Styracosaurus oder Brontosaurus bauen, die manchmal nur 50 Zentimeter klein waren, teilweise aber auch als Großmodelle gefertigt wurden – je nach gewünschter Einstellung und Perspektive. Eine handgemachte Tricktechnik, die aus dem Zeitalter perfekter digitaler Computerbilder heraus betrachtet viel nostalgischen Charme besitzt. Dabei verzichtet der tschechische Regisseur nicht auf Spannungselemente. Ein Höhepunkt ist der tödliche Kampf zwischen einem Stegosaurus und einem T-Rex, den die Jungen im rötlichen Licht der Abendsonne vom Ufer aus beobachten. Am nächsten Morgen suchen sie das tote Tier auf und erklimmen sogar den Stegosaurus.

Von der Werbung zum Animationsfilm

Wie detailbesessen Karel Zeman arbeitete, lernt man im Bonusmaterial, das unter anderem die kurzweilige 15-Minuten-Dokumentation „Die fabelhafte Welt des Karel Zeman“ umfasst, die den Tüftler zu Recht als einen legitimen Nachfolger des ersten Trickfilmers der Filmgeschichte, George Méliès, lobt.

Ein weiterer Bonusfilm und auch ein Essay im Booklet beschäftigen sich eingehender mit der Biografie von Karel Zeman (3.11.1910-5.4. 1989). Schon als junger Mann ging er nach Frankreich und wurde dort Werbezeichner. Später war er in Brno Schaufensterdekorateur und Hobbyfilmer. Mitte der 1930er-Jahre kam er in die kleine Industriestadt Zlín im Mähren. Dort hatte der Schuhfabrikant Tomas Bata ein Imperium aus dem Boden gestampft und Filmstudios errichten lassen, die Werbefilme produzierten.

Die „Mutter des tschechischen Animationsfilms“, Hermína Týrlowá (11.12. 1900-3.5. 1993), die mit „Ferda, die Ameise“ (1942) den allerersten tschechischen Puppenfilm drehte, war eine ehemalige Mitarbeiterin der Bata Werbeabteilung; Karel Zeman wurde später ihr Assistent. Nach dem Krieg, als Tomas Bata von den Kommunisten enteignet wurde, dienten die Filmstudios von Zlín dem Animations- und Kinderfilm. Die Stadt selbst wurde nach Klement Gottwald, dem kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei, im Gottwaldov umbenannt. In den dortigen Filmstudios drehte Karel Zeman seine Filme.

Zum Vergleich liegen mehrere Sprachversionen vor

„Reise in die Urzeit“ liegt nun auf dem deutschen Markt erstmals in der stimmigen tschechischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln sowie den beiden deutschen Synchronfassungen vor, also der Synchronfassung der DEFA aus dem Jahr 1955 sowie der westdeutschen Fassung des ZDF aus dem Jahr 1976. Die DEFA-Fassung wirkt dabei etwas realistischer und passt mehr in die 1950er-Jahre. So sagt der Junge Tonik, als er sich mit seiner Kamera auf den Weg macht, dass er „knipsen“ will; in der westdeutschen Synchro „fotografiert“ er.

Noch prägnanter ist der Unterschied in einer Szene, in der die vier Jungs auf den toten Stegosaurus klettern und Jirka in der DDR Fassung kommentiert, der Kadaver sei „ein richtiger Panzerkreuzer“, was im DDR-Kontext wohl an „Panzerkreuzer Potemkin“ erinnern soll; in der ZDF-Fassung heißt es dagegen „wie ein versteinerter Drache“. 

Ist der tote Stego "wie ein Panzerkreuzer" oder "wie ein versteinerter Drache"? (© DEFA/Filmjuwelen)
Ist der tote Stego "wie ein Panzerkreuzer" oder "wie ein versteinerter Drache"? (© DEFA/Filmjuwelen)

Die ebenfalls beiliegende US-Fassung ist eher skurril und sagt viel über den Umgang mit osteuropäischen Filmen im Kalten Krieg aus. Erst Mitte der 1960er-Jahre erschien der Film mit neuem Prolog und Epilog sowie anderer Musik in den USA unter dem Titel „Journey to the Beginning of Time“. Alles Tschechische wurde getilgt, die Jungs stammen aus New York und besuchen zu Beginn das US-amerikanische Naturmuseum.

So kann man dank der Ausgabe von Filmjuwelen auch in Deutschland „Reise in die Urzeit“ in einer filmhistorisch ambitionierten und qualitativ würdigen Edition (wieder-) entdecken. Die von Jules Verne inspirierte Lust am Entdeckertum, am Fantastischen und Erstaunlichen blieb Zeman auch nach diesem Urzeitabenteuer erhalten; mit der Erzählwelt von Jules Verne hat sich der Filmemacher auch später genial beschäftigt. In Deutschland ist ebenfalls auf Blu-ray (beim Anbieter „Ostalgica“) Zemans international wohl bekanntester Film „Die Erfindung des Verderbens“ aus dem Jahr 1957 erhältlich.

Die neue Blu-ray-Edition (© DEFA/Filmjuwelen)
Die neue Blu-ray-Edition (© DEFA/Filmjuwelen)


Hinweis

Reise in die Urzeit. Regie: Karel Zeman. 86 Min. Die Blu-ray-Edition enthält unter anderem neben dem tschechischen Original mehrere Synchronfassungen (ost- und westdeutsche Version) sowie die US-Fassung, einen Audiokommentar von Rolf Giesen, ein 36-seitiges digitales Booklet, die Doku „Die fabelhafte Welt des Karel Zeman“, Trailer und viele weitere Features. Anbieter: Film- und Fernsehjuwelen. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.

Kommentar verfassen

Kommentieren