© Crefilm ("Anora")

Goldene Palme für „Anora“

Das 77. Filmfestival in Cannes war bis zum Schluss spannend wie ein Thriller. Eine Übersicht über die wichtigsten Preise und Gewinner

Veröffentlicht am
12. Oktober 2024
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Das 77. Filmfestival in Cannes war bis zum Schluss spannend wie ein Thriller und endete mit einem aufregenden Finale. Die „Goldene Palme“ gewann das US-amerikanische Drama „Anora“ von Sean Baker; der iranische Film „The Seed of the Sacred Fig“ wurde mit einem Spezialpreis geehrt und erhielt den Ökumenischen Preis und den Preis der Filmkritik.


Spannender hätte sich kein Drehbuchautor das Finale des 77. Filmfestivals in Cannes ausdenken können. Unter den vielen guten, höchst interessanten Wettbewerbsfilmen gab es früh etliche Palmen-Kandidaten, allen voran das Transgender-Musical „Emilia Pérez“ von Jacques Audiard, das hoch gehandelt wurde. Doch dann drängten auf den letzten Metern gleich mehrere außergewöhnliche Werke ins Rennen, unter denen vor allem das erschütternde iranische Drama „The Seed of the Sacred Fig“ von Mohammad Rasoulof starke Sympathien auf sich zog und mit den längsten Standing Ovations des diesjährigen Festivals bedacht wurde.

"The Seed of Sacred Fig" von Mohammad Rasoulof (Cannes 2024)
"The Seed of the Sacred Fig" von Mohammad Rasoulof (© Cannes 2024)

Auch unter den Filmkritikern hatten viele keine Zweifel, dass die Jury unter Vorsitz von Greta Gerwig für den heimlich während der blutigen Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini in Teheran gedrehten Film votieren würde; die FIPRESCI-Jury zeichnete Rasoulofs packende Auseinandersetzung mit dem theokratischen System im Iran folgerichtig mit ihrem Preis aus. Die Ökumenische Jury tat es ihr gleich und hob in ihrer Begründung auch auf die religionsgeschichtlich so belastete Verbindung von politischer Macht, repressivem Patriarchat und religiösen Strukturen ab. In ihren Augen macht die Mischung aus Subtilität und Nüchternheit, herzzerreißendem Drama und einem Hauch von Humor plus einem hoffnungsvollen Ende den Film nicht nur zu einer „Metapher für jede autoritäre Theokratie“, sondern auch zu einem aufrüttelnden Appell, die Würde des Einzelnen zu achten.


Treffen der US-Giganten

Doch die Internationale Jury ließ sich von der Woge aus Solidarität für den aus dem Iran geflohenen Mohammad Rasoulof und der Begeisterung für den raffinierten Film, der die gesellschaftlichen Spannungen des Iran innerhalb einer Familie eskalieren lässt, nicht davontragen. Als bei der Preisverleihung Rasoulof mit einem Spezialpreis der Jury geehrt wurde, war das Rennen um die Goldene Palme plötzlich wieder offen; und als dann „Emilia Pérez“ mit dem Prix Jury nur auf Platz drei landete, schoss die Spannung nach oben, wer denn am Ende wirklich ganz oben stehen würde. Nachdem das indische Frauendrama „All We Imagine as Light“ von Payal Kapadia mit dem Grand Prix überraschend auf Platz zwei landete, glaubte man den Weg endlich frei für – ein Gipfeltreffen der Giganten, da Francis Ford Coppola mit staatsmännischer Noblesse die Präsentation der Goldenen Ehrenpalme für George Lucas übernahm.

Payal Kapadia und ihre Schauspielerinnen aus "All We Imagine as LIght" (imago/Abacapress)
Payal Kapadia und ihre Schauspielerinnen aus "All We Imagine as LIght" (© imago/Abacapress)

Dann aber war endlich der Hauptpreis an der Reihe: die Goldene Palme für „Anora“ von Sean Baker, einen „unglaublich menschlichen Film, der unsere Herzen erobert hat, uns lachen und hoffen ließ, der uns das Herz gebrochenen hat und dennoch nie die Wahrheit aus den Augen verlieren ließ“, wie dies Greta Gerwig für die Jury bei der Preisverleihung formulierte. „Anora“ erzählt von einer jungen Stripperin aus Brooklyn, die für viel Geld einem verzogenen Oligarchen-Sohn eine Woche lang gefällig ist. Als dies in Las Vegas auch noch in eine Eheschließung mündet, intervenieren die Eltern von Russland aus, was ungeheuer dynamischen Film Richtung Komödie treibt, aber auch die Möglichkeit gibt, die Autonomie und Würde der Protagonistin markant herauszuarbeiten.

Mit der „Goldenen Palme“ erfährt das Filmschaffen von Sean Baker, der seit zwei Jahrzehnten sehr genaue Filme über Abhängigkeits- und Machtverhältnisse innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft dreht, eine Anerkennung, die zumindest „Anora“ aus der Arthouse-Nische befreien könnte.

Sean Baker und die Goldene Palme für "Anora" (imago/Valentina Claret)
Sean Baker und die Goldene Palme für "Anora" (© imago/Valentina Claret)

Die Preise des 77. Filmfestivals in Cannes


Goldene Palme: „Anora“ von Sean Baker


Großer Preis der Jury: „All We Imagine as Light“ von Payal Kapadia

Preis der Jury: „Emilia Pérez“ von Jacques Audiard

Spezialpreis der Jury: „The Seed of the Sacred Fig“ von Mohammad Rasolouf


Beste Regie: Miguel Gomez für „Grand Tour“

Bestes Drehbuch: Coralie Fargeat für „The Substance“


Beste Darstellerin: Karla Sofiá Gascón, Zoe Saldaña, Selena Gomez, Adriana Paz in „Emilia Pérez“

Bester Darsteller: Jesse Plemons in „Kinds of Kindness“


Bester Film „Un Certain Regard“: „Black Dog“ von Guan Hu

Bester Debütfilm: „Armand“ von Halfdan Ullman Tondel


Preis der Ökumenischen Jury: „The Seed of the Sacred Fig“ von Mohammad Rasolouf

FIPRESCI-Preis: „The Seed of the Sacred Fig“ von Mohammad Rasolouf

FIPRESCI-Preis „Un certain regard“: „The Story of Souleyman“ von Boris Lojkine


Ehrenpalme: Meryl Streep, George Lucas, das Anime-Studio Ghibli

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