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Filmklassiker: "Das Mädchen mit dem leichten Gepäck"

Einer der Filme, mit denen die Italienerin Claudia Cardinale um 1960 berühmt wurde

Veröffentlicht am
08. Mai 2024
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Valerio Zurlinis Drama „Das Mädchen mit dem leichten Gepäck“ gehörte um 1960 zu den Filmen, die dem italienischen Star Claudia Cardinale zum großen Durchbruch verhalfen. Die Geschichte um eine „unmögliche“ Liebe zwischen einem Oberschichtsjungen und einer Frau aus einfachen Verhältnissen besticht durch die Gefühlsbandbreite, die die Cardinale schon in dieser frühen Rolle zeigt, ebenso wie durch die sensible Inszenierung. Ab 2. Mai eröffnet der Film eine Claudia-Cardinale-Hommage im Berliner Kino Arsenal und ist außerdem auf DVD & Blu-ray verfügbar.


Claudia Cardinale – da werden Erinnerungen an schöne Kinomomente wach. Meine erste Begegnung mit ihr war Philippe de Brocas „Cartouche, der Bandit“ (1961), der 1967 zum ersten Mal im deutschen Fernsehen lief. Unvergessen, wie CC vor Jean-Paul Belmondo tanzend die Röcke rafft und dann anschließend an den Fingern abzählt, was sie sonst noch so kann. Dann erinnere ich mich an ein frühes Kinoerlebnis als Oberschüler in den 1970er-Jahren mit Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968). Voller Erwartung steigt die Cardinale am Bahnhof von Flagwater aus dem Zug, um ihren angehenden Ehemann und dessen drei Kinder zu treffen. Doch sie sind tot, und so liegt sie von Trauer verzerrt auf einem Bett, aufgenommen von hoch oben. Sie ist die einzige Frau unter Männern und muss sich behaupten. Am Ende wird sie auf Geheiß des sterbenden Jason Robards Wasser vom Brunnen holen und es, aufgenommen aus der Ferne, an die Arbeiter der Eisenbahn verteilen. Eines der großen, emblematischen Frontier-Bilder des Western-Kinos.


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„Die einzig normale Künstlerin im Milieu der Neurotiker und Hysteriker“

Ein Glas Wasser reicht die Cardinale auch Marcello Mastroianni in Fellinis „“, dem sie in ihrer weißen Kleidung wie eine Fata Morgana erscheint. In Viscontis „Der Leopard“ verdreht sie allen Männern den Kopf und steckt sie mit ihrem einzigartigen Lachen an. Unvergessen der Walzer mit Burt Lancaster in der berühmten Ballszene. In „Petroleum-Miezen“ prügelt sie sich 1972 mit Brigitte Bardot, ihrer großen Rivalin, mit der sie häufig – ungerechterweise – verglichen wurde, und schlägt sie k.o., in „Der rosarote Panther“ macht David Niven sie mit unlauteren Hintergedanken betrunken, in Henry Hathaways „Circus-Welt“ turnt sie im engen Trikot auf dem Trapez, in Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ kommt sie zusammen mit Klaus Kinski zu spät in die Oper und verfolgt, hinter der letzten Reihe stehend, angestrengt und fasziniert das Geschehen.

Der Star-Appeal der Cardinale ist schon im Frühwerk "das Mädchen mit dem leichten Gepäck" unübersehbar (© Arsenal – Institut für Film und Videokunst)
Der Star-Appeal der Cardinale ist schon im Frühwerk "Das Mädchen mit dem leichten Gepäck" unübersehbar (© Arsenal – Institut für Film und Videokunst)

Claudia Cardinale ist aus dem italienischen Kino wie aus dem Weltkino nicht wegzudenken. Mehr noch: Sie ist eine der beliebtesten Schauspielerinnen Italiens, sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum. Und: Sie hat das Frauenbild des italienischen Films verändert. Den erotisch aufgeladenen Filmdiven wie Gina Lollobrigida und Sophia Loren setzte die Cardinale Ende der 1950er-Jahre eine Anziehungskraft anderer, faszinierend ambivalenter Art entgegen: begehrenswert und doch scheu, verführerisch und doch keusch, weiblich und doch burschikos, temperamentvoll und doch sensibel. Ihre Ausstrahlung ist impulsiv, spontan und offenherzig, aber niemals kokett. Das Schönste aber: Sie scheint sich dieser Ausstrahlung gar nicht bewusst, was sie umso natürlicher wirken lässt. In einem Interview mit Alberto Moravia gestand sie denn auch, „ein ganz normales Mädchen“ zu sein. Und Marcello Mastroianni befand, sie sei die „einzig normale Künstlerin im Milieu der Neurotiker und Hysteriker“. Nicht zu vergessen ihre tiefe und raue Stimme, die – David Thomson zufolge – „zu einem anderen Gesicht zu gehören scheint“.


Eine Frau auf der Flucht in eine bessere Zukunft

Meine Lieblingsszene mit CC stammt aus Valerio Zurlinis „Das Mädchen mit dem leichten Gepäck“ von 1960, der im Mai 2024 eine Claudia-Cardinale-Hommage im Berliner Kino Arsenal eröffnet und in Deutschland auch als Blu-ray erschienen ist, allerdings in einer um zehn Minuten gekürzten Fassung. Da schreitet sie als Aida Zepponi nach einem Bad in einer großzügigen Villa, nur angetan mit einem Bademantel und einem Handtuch als Kopfbedeckung, langsam und würdevoll die Treppe hinunter, eine Arie aus Verdis „Aida“ spielt dazu. Dem jungen Lorenzo (Jacques Perrin) bleibt nichts anderes übrig, als staunend dazustehen und dieser fleischgewordenen Göttin zuzuschauen. Angefangen hatte der Film ganz anders. Da fährt Aida mit einem reichen Playboy namens Marcello (Corrado Pani) im Sportwagen von Riccione nach Mailand, um ihre Vergangenheit mit verflossenem Liebhaber und die Provinz der Emilia-Romagna hinter sich zu lassen.

Aida sucht nach einer besseren Zukunft (© Arsenal – Institut für Film und Videokunst)
Aida sucht nach einer besseren Zukunft (© Arsenal – Institut für Film und Videokunst)

Eigentlich hatte Marcello ihr aufgrund seiner Beziehungen eine Filmkarriere in der Großstadt versprochen, doch nun lässt er sie an einer Autowerkstätte in Parma einfach stehen. Während des Vorspanns heftet sich die Kamera lange Zeit auf den Koffer, der einsam auf dem Gelände steht. Die verzweifelte Aida marschiert kurzentschlossen zu Fuß zu Marcellos Elternhaus in Parma, einem riesigen, schlossähnlichen Palast, in dem er mit seiner Tante Martha und seinem 16-jährigen Bruder Lorenzo lebt. Auf Marcellos Geheiß soll Lorenzo Aida an der Haustür abwimmeln. Doch der ist einfach hingerissen von der älteren Frau und macht ihr fortan schüchtern und unbeholfen den Hof. Nicht nur, dass er ihr noch in derselben Nacht ein Hotelzimmer in der Stadt besorgt – er kauft ihr auch teure Kleider – das Geld dafür hat er sich von seiner Tante erschwindelt. Doch dann bekommt ein Priester Wind von der unschicklichen Liaison und überredet Aida, die Stadt zu verlassen, um die Zukunft des Jungen nicht zu gefährden. Doch der fährt ihr in seiner Sturheit einfach hinterher.


Eine Liebe über Klassen- und Altersschranken hinweg

Ein naiver, unschuldiger Mann verliebt sich in eine ältere Frau, die sich geschmeichelt fühlt – das kann im italienischen Kino der 1960er-Jahre schwerlich gutgehen. Doch noch dramatischer als der Altersunterschied ist der Unterschied der Klassen: Aida kommt aus einfachen Verhältnissen und hofft auf eine Karriere im Showbusiness, Lorenzo stammt aus einer Oberschichts-Familie mit großem Besitz, der eine unwirtliche Kälte ausstrahlt. Hier scheint eine Liebe gar nicht möglich, die sozialen Schranken lassen sich nicht überwinden – im Gegensatz zu den romantischen Behauptungen der italienischen Erfolgsschlager der 1960er-Jahre, die das Radio ständig spielt oder die als Schallplatte laufen und so die Stimmung der Zeit wiedergeben.

Charakteristisch für den Stil ist auch die Aufmerksamkeit, mit der der Regisseur Valerio Zurlini die Stille oder einzelne Geräusche betont, die die Aktionen der Figuren begleiten. Der italienische Filmjournalist und -historiker Aldo Tassone lobte den Film in seinem Buch „Parla il cinema italiano“: „Dem Regisseur ist es gelungen, das Innere zweier Personen zu schildern, die sich durch eine lebendige, intensive Menschlichkeit auszeichnen, voller Schwung, Unschuld, Widersprüche und Schwächen.“


Die ganze Bandbreite der Emotionen

Und die Cardinale? Die seinerzeit gerade 22-jährige, damals noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehende Schauspielerin besticht nicht nur durch ihre schiere Schönheit – zunächst im geblümten, weiten Rock mit schmaler Taille, später in einem weißen Designer-Kleid, das sie stolz wie ein Model trägt – sondern zeigt eine ganze Bandbreite an Emotionen: Freude kann urplötzlich in Traurigkeit umschlagen, Temperament in Verzweiflung. Als sie gegen Ende des Films den ehemaligen Liebhaber wiedertrifft, drischt sie wütend auf ihn ein, bei einer Prügelei mit Fremden aus nichtigem Anlass ist sie mittendrin und schlägt wild um sich. Und dann dieser Blick, mit dem sie den blutjungen Jacques Perrin lange anschaut, bevor sie ihn küsst. Ein Fehler, gewiss. Und doch ein schöner Fehler, den man nicht bereuen muss.

Kurzes Glück (© Arsenal – Institut für Film und Videokunst)
Kurzes Glück (© Arsenal – Institut für Film und Videokunst)

Jetzt ist es endlich Zeit, vom Regisseur dieses Films zu sprechen. Valerio Zurlini (1926-1982) zählt zu den (neo-)realistischen Filmemachern des italienischen Kinos, ähnlich wie Florestano Vancini interessierte er sich auch für die Alltags-Wirklichkeit im Faschismus. Er war zunächst Drehbuchautor und drehte Dokumentarfilme, bevor er 1954 mit der Komödie „Die schönen Mädchen von Florenz“ im Spielfilm-Fach debütierte. Am bekanntesten dürfte sein Film „Die Tartarenwüste“ sein, den Zurlini 1976 inszenierte. Der Bologneser Filmemacher konnte nur wenige Filme in Abständen von vier bis fünf Jahren realisieren. Zumeist waren sie nicht kommerziell erfolgreich. Bis zu seinem Tod 1982 ist es ihm nicht mehr gelungen, einen weiteren Film zu drehen. Heute ist er nahezu in Vergessenheit geraten – Im Gegensatz zu Claudia Cardinale, die zu den Unsterblichen des Kinos gehört.



Claudia-Cardinale-Hommage im Kino Arsenal

Claudia Cardinale zählt seit den 1960er-Jahren zu den herausragenden Schauspielerinnen des italienischen Kinos. In mehr als 100 internationalen Produktionen hat sie unterschiedlichste Frauenbilder eigenwillig verkörpert. Das Kino Arsenal in Berlin zeigt vom 2. bis zum 31. Mai in Kooperation mit dem Istituto Italiano di Cultura di Berlino eine Auswahl von 14 italienischen (Ko-)Produktionen aus Cardinales produktivster Schaffensperiode, den Jahren 1958 bis 1971. Mehr Informationen und das komplette Programm finden Sie hier.


„Das Mädchen mit dem leichten Gepäck“ im Heimkino

Seit Dezember 2021 ist „Das Mädchen mit dem leichten Gepäck“ beim Label Filmjuwelen als BD und DVD erschienen. Die Edition umfasst ein 20-seitiges Booklet; im Bonusmaterial finden sich entfallene Szene sowie ein (französischsprachiges) Interview mit dem Filmhistoriker und -kritiker Jean Antoine Gili zum Film. Mehr Informationen finden Sie hier.

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