Die Weite der mit Sommerblumen übersäten Wiesen im Fürstentum Cagliostro, die sich im Wind leicht zu wiegen scheinen, erinnert nicht von ungefähr an die Bergwiesen aus den „Heidi“-Trickfilme der 1970er-Jahre. In beiden Fällen stammen sie aus den Tuschestiften des japanischen Filmemachers Hayao Miyazaki. Beide Male sind die grünen Idyllen nicht naturalistisch-detailliert ausgemalt, strahlen als flächige Kunst des japanischen Animationsfilmmeisters aber sozusagen Geruch und Gefühl aus. Es braucht nicht viel, um sich in der filmischen Welt des immer schon grauhaarigen Herrn aus Tokio zu Hause zu fühlen.
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In „Das Schloss des Cagliostro“ (1979) saust die adelige Clarissa von
Cagliostro mit ihrem zerbeulten Citroën 2CV durch diese Landschaft. Sie kurvt
über die Feldwege des kleinen Fürstentums und fegt dabei fast den Meisterdieb Lupin
III und dessen Begleiter Daisuke in ihrem ähnlich lädierten Fiat 500 von der
Straße. Clarissa ist auf der Flucht vor bewaffneten Schergen. Für den Anime-Klassiker
ist das eine Steilvorlage für eine großartig montierte Verfolgungsjagd, an deren
Ende Lupin III und Clarissa umschlungen an einer Steilklippe hängen, lediglich
gehalten von einer alten Wurzel und Lupins Rettungsseil, das er fast so gekonnt
wie Spider-Man gerade noch so aus dem Handgelenk werfen konnte.
Lupin III ist allerdings kein Superheld, aber er wäre einer, würde er bei Marvel oder DC mitspielen. Bei Miyazaki ist er „nur“ der Enkel des berühmten Meisterdiebs Arsène Lupin, im gleichen Beruf tätig und nur noch ein bisschen draufgängerischer und noch viel, viel chaotischer als sein Vorfahr.
Was ihn und seinen kettenrauchenden, waffenliebenden Hippie-Kumpel Daisuke an diesen abgelegenen Ort verschlagen hat? Stunden zuvor hat er in Monte Carlo ein Casino ausgeraubt, dabei aber nur schäbiges, wenngleich gut gemachtes Falschgeld erbeutet. Dessen Spur weist eindeutig Richtung Cagliostro, wo schon zu Zeiten seines Großvaters erfolgreich gefälschte Devisen für aller Herren Länder gedruckt wurde. Deshalb wollte Lupin III eigentlich die Bande dahinter finden, doch dann kommt ihm Clarissa in die Quere, und alles wird ganz anders.
Eine aberwitzige Abenteuergeschichte
Denn Clarissa wird ihrerseits vom selbsternannten Grafen von Cagliostro verfolgt. Sie soll ihn ehelichen und den windigen Emporkömmling damit zum rechtmäßigen Herrscher über den kleinsten Staat der Welt machen. Dazu hat Clarissa aber nicht die geringste Lust – erst recht nicht, als sich der fesche Dieb und die adrette Adelige ineinander verlieben. Und damit alles ein wenig komplizierter und aufregender wird, schaltet sich auch noch Inspektor Zenigata von Interpol ein, der es sich schon lange zur Aufgabe gemacht hat, den flinken Meisterdieb hinter Gittern zu bringen. Nun grätscht er höchst polternd in Lupins Jagd nach dem Fiesling Cagliostro.
Eingebettet ist dies in schwelgerische Raumfantasien: Sommerwiesen, die an „Heidi“ erinnern, enge Gässchen um das hoch aufragende Schloss, gestaltet in klassischer Flächigkeit, ohne Schnörkel und 3D, aber mit viel Gespür für Atmosphäre. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich eine geradezu aberwitzige Abenteuergeschichte. In Tempo und Spannung überflügelt „Das Schloss des Cagliostro“ mühelos alles, was Miyazaki seit Mitte der 1970er-Jahre vollbracht hat. Sogar heute findet man kaum einen Animationsfilm, der es mit der überbordenden Manie aufnehmen kann, die hier in jeder Aktion der Akteure steckt.
Ein wenig blitzt da die Lust am Absurden aus den alten Cartoons von Chuck Jones auf, in denen Wile E. Coyote den Road Runner jagt, über die Klippe sprintet und immer noch ein wenig zurückrudern will, wenn er merkt, dass er keinen Boden mehr unter den Pfoten hat und gleich in die Tiefe stürzt. Oder das Flair der Cartoons um Bugs Bunny. Es ist eine sehr organische und stoffliche 2D-Animation, die dem Abenteuer im Schloss des Cagliostro immer etwas Amüsantes und Verschmitztes verleiht, auch wenn es durchaus um Leben und Tod geht.
Ein Hauch von Steampunk
Ein bisschen „Steampunk“ lugt hie und da zudem hervor, wenn es um die aberwitzigen Erfindungen des Grafen geht, mit denen er fliegt, kämpft oder fälscht. Auch seine Helfershelfer scheinen mitunter nicht von dieser Welt, weshalb die Spannung schon mal ins Unheimliche kippt; der wahnsinnige Graf erinnert in seinem Habitus überdies ein wenig an Frankenstein. So lädt der Film gleichermaßen zum Staunen und Gruseln wie zum Lachen ein; zudem kann man gar nicht aufhören, sich über die Volten zu wundern, die der Trickfilm immer wieder schlägt.
Wer am Ende mit wem in welches Auto steigt und durch die wundersamen Wiesen neuen Abenteuern entgegen - oder hinter schwedische Gardinen - rumpelt, ist nicht schwer zu erraten. „Das Schloss des Cagliostro“ brachte den Hype um den Meisterdieb Lupin III erst richtig in Gang, was in mehreren Serien und sogar in einer Realfilmvariante, „Lupin the 3rd - Der Meisterdieb“ (2014), gipfelte. Auch wenn der erste Langtrickfilm von Miyazaki noch nicht so erfolgreich war wie seine späteren Werke, hat er von John Lasseter bis Steven Spielberg Generationen von Filmemachern inspiriert. Und der beste aller „Lupin III“-Filme ist „Das Schloss des Cagliostro“ sowieso!
Hinweis
Der aufwändig restaurierte Anime „Das Schloss des Cagliostro“ kehrt ab 9. April 2024 ins Kino in einer synchronisierte wie auch einer deutsch untertitelten Fassung ins Kino zurück.